„Habe Brief für einen Scherz gehalten“: Bürgergeld-Empfänger muss nach 16 Jahren Geld zurückzahlen

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Jobcenter zahlen hin und wieder zu viel. Darum wurde ein ehemaliger Leistungsbezieher zur Kasse gebeten. Doch er sieht darin einen „Skandal“.

Berlin – Behördliche Abläufe und Papierkram gehen oft Hand in Hand. Wie schnell dabei ein Dokument in der Flut von Unterlagen verloren gehen kann, zeigt ein Fall aus Berlin-Pankow: Das örtliche Jobcenter forderte einen ehemaligen Hartz-IV-Empfänger auf, Geld zurückzuzahlen – sage und schreibe 16 Jahre nach der vermeintlichen Überzahlung. Zu dieser Zeit war von Bürgergeld eigentlich keine Rede, denn die staatliche Leistung lief noch unter dem Namen Hartz IV.

Auch eine Familie aus Berlin wurde vor Kurzem dazu aufgefordert, Geld an das Jobcenter zurückzuzahlen – mit dem Unterschied, dass es sich hierbei um eine Summe im fünfstelligen Bereich handelte. Insgesamt wurde von ihnen 22.600 Euro gefordert, weil sie zuvor eine teure Pilgerreise nach Mekka unternahmen.

Nach 16 Jahren: Bürgergeld-Empfänger wird von Jobcenter zur Kasse gebeten

Das Portal kukksi.de hakte bei dem Bürgergeld-Empfänger, der anonym bleiben wollte, nach. Seinen Angaben zufolge habe er vor vielen Jahren Hartz IV bezogen und bekam zusätzlich die Miete bezahlt. Auch die Kaution für einen Umzug wurde vom Jobcenter übernommen. Das Geld wurde demnach auf ein sogenanntes Mietkautionskonto überwiesen, auf das lediglich der Vermieter Zugriff hatte. Der damalige Hartz-IV-Empfänger hatte also mit der Zahlung nur indirekt etwas zu tun.

Anscheinend fiel der Behörde erst später auf, dass es sich dabei um eine Überzahlung gehandelt hat. Denn erst nach 16 Jahren forderte der Inkassoservice der Bundesagentur für Arbeit im Auftrag des Jobcenters Berlin Pankow 375,95 Euro plus eine Mahngebühr von fünf Euro zurück. „Jobcenter sind in der Regel schnell damit, von Leistungsberechtigten Zahlungen zurückzufordern“, befindet Sozialrechtsexperte Utz Anhalt auf dem Portal gegen-hartz.de.

Was ist eine Überzahlung?

Eine Überzahlung vom Jobcenter tritt auf, wenn Bürgergeld-Empfänger mehr Leistungen erhalten haben, als ihnen tatsächlich zustehen. Das kann zum Beispiel durch falsche Angaben, Änderungen in der Einkommenssituation oder Fehler des Jobcenters passieren. In solchen Fällen fordert das Jobcenter die zu viel gezahlten Beträge zurück. Doch nicht jede Rückforderung ist unbegrenzt gültig – es gibt rechtliche Regelungen, wann solche Ansprüche verjähren.

Quelle: Deutsche Anwaltshotline (DAHAG)

Bürgergeld-Empfänger spricht von einem „Skandal“: Ist die Forderung noch rechtens?

„Ich habe den Brief zunächst für einen Scherz gehalten“, sagte der Bürgergeld-Empfänger gegenüber KUKKSI. „Plötzlich hat man einen Bescheid vom Jobcenter im Briefkasten – wo es um eine Zahlung geht, die 16 Jahre zurückliegt. Das ist ein Skandal.“ Das Jobcenter Berlin-Pankow verteidigte sich daraufhin: „Rückzahlungsansprüche aus Darlehen, welche durch unanfechtbaren Verwaltungsakt gewährt wurden, unterliegen nach § 52 Absatz 2 SGB X der 30-jährigen Verjährung.“

Auf dem Verbraucherportal gegen-hartz.de heißt es dazu: „Das Sozialgesetzbuch (SGB) kennt zwei unterschiedliche Verjährungsfristen. Zum einen verjähren Ansprüche nach vier Jahren und zum anderen erst nach 30 Jahren. In der Regel wird die vierjährige sogenannte Regelverjährungsfrist nach § 50 Abs. 4 SGB X angewendet.“ Um die 30-Jahres-Frist anzuwenden, müsse das jeweilige Jobcenter die Überzahlung begründen und erklären, wie es dazu gekommen ist.

Anders sieht es Rechtsanwalt Imanuel Schulz. Auf dem gleichnamigen Portal heißt es: „Ein rechtswidriger Leistungsbescheid kann nur innerhalb eines Jahres aufgehoben werden. Danach können Leistungen nicht mehr zurückgefordert werden.“ Die Frist beginne aber nicht an dem Datum, an dem der Bescheid erlassen wurde, sondern mit „Kenntnis der Tatsachen (…), welche die Rücknahme rechtfertigen.“ Sprich der Zeitpunkt, an dem alle entscheidungsrelevanten Tatsachen bekannt sind.

Ein Mann geht zum Eingang des Jobcenters.
Nach 16 Jahren fordert das Jobcenter von einem Bürgergeldempfänger Geld zurück. Ist das rechtens? (Symbolbild) © Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Bürgergeld-Empfänger vermutet Strategie: Jobcenter weist Vorwürfe von sich

Der Betroffene vermutet eine Strategie hinter diesem Vorgehen. „Das Jobcenter scheint bewusst erst viele Jahre später solche Briefe zu senden“, so der anonyme Bürgergeld-Empfänger. Denn nach 16 Jahren habe er keine Beweise mehr, mit denen er dem Jobcenter widersprechen könne. Anhalt sagt dazu: „Das wäre auch verwunderlich, denn kaum jemand sammelt Behördenschreiben, die lange zurückliegen und beim Frühjahrsputz als nicht mehr notwendig aussortiert werden.“

Das Jobcenter Berlin-Pankow weist die Vorwürfe vehement zurück. Es sei gesetzlich verpflichtet, an offene Forderungen zu erinnern. „Dies gilt, solange eine Forderung noch nicht verjährt ist.“ Auf die Frage, wie lange personenbezogenen Daten in der Behörde gespeichert werden, antwortete das Jobcenter KUKKSI, dass die Daten aufgrund der 30-jährigen Verjährungsfrist gespeichert werden. Kurzum: „Ein Verstoß gegen die DSGVO liegt nicht vor.“

Trotz ausführlicher Erläuterung kritisiert Sozialrechtsexperte Anhalt das Vorgehen der Behörde: „Auf die Idee, dass es merkwürdig anmutet, eine Erstattungsforderung erst nach 16 Jahren zu stellen, kommen die Mitarbeiter beim Jobcenter Pankow nicht.“ Ausdrücklich werde betont, alles richtig gemacht zu haben. (cln)

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