Jobcenter untätig, Bürgergeld-Empfängerin reicht Klage ein – Verfassungsgericht greift durch

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Eine Frau, die auf Bürgergeld angewiesen ist, klagt erfolgreich gegen das Jobcenter und das Sozialgericht. Ein Urteil mit Signalwirkung.

München – Für Bürgergeld-Empfänger ist es oft ein täglicher Kampf gegen die Bürokratie. Fristen verstreichen, Zahlungen bleiben aus, und die Nerven liegen blank. So erging es auch einer Bürgergeld-Bezieherin mit zwei Kindern, die sich gegen das Jobcenter zur Wehr setzte, nachdem es ihre Leistungen falsch berechnet hatte – und nicht korrigierte. Die Behörde hatte ihr ein zu hohes Einkommen angerechnet, was die Betroffene dazu zwang, Widerspruch einzulegen. Auch für Kinder und Jugendliche gibt es festgelegte Regelsätze beim Bürgergeld.

Spektakulärer Fall: Bürgergeld-Empfängerin klagt gegen Jobcenter-Verfehlung und soll selbst zahlen

Der Fall trug sich in den Corona-Jahren 2020 und 2021 zu. Sechs lange Monate ließ eine Reaktion des Jobcenters auf sich warten. Dann reichte die Frau eine Untätigkeitsklage beim Sozialgericht ein. Doch statt der erhofften Unterstützung erntete sie obendrein Vorwürfe. Das Sozialgericht Darmstadt bezeichnete ihre Klage als „mutwillig“, und verweigerte die Kostenerstattung. Es argumentierte, sie hätte sich erneut an das Jobcenter wenden sollen, bevor sie klagte.

Noch dazu sah es das Gericht als erwiesen an, dass das Verhalten der Beschwerdeführerin „nichts anderes als die Ausnutzung einer formal bestehenden Rechtsposition“ zur „Erzielung eines anders nicht erreichbaren Gebührenvorteils“ gewesen sei.

Entschlossen, sich nicht geschlagen zu geben, legte die Frau Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht gab ihr Recht und stellte klar, dass die Untätigkeitsklage begründet und zulässig war. Das Sozialgericht habe in „nicht mehr nachvollziehbarer Weise“ gehandelt, indem es die Erstattung der Kosten ablehnte. Ein klares Signal an alle Behörden: Auch sie müssen sich an Fristen und Gesetze halten. Nicht nur die Empfängerinnen und Empfänger, denen Bürgergeld-Kürzungen oder -Streichungen bei Verstößen drohen.

Der Fall

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2020 wurden der Beschwerdeführerin und ihren beiden minderjährigen Kindern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 1. November 2020 bis 30. April 2021 bewilligt. Dabei wurde auch ein Einkommen der Beschwerdeführerin aus Erwerbstätigkeit in Höhe von 1400 Euro (brutto) berücksichtigt. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin durch ihren Bevollmächtigten Widerspruch ein, da ihr Einkommen damals lediglich 907,20 Euro (brutto) betrug.

Quelle: Bundesverfassungsgericht 1 BvR 311/22

Bürgergeld-Empfängerin bekommt von Verfassungsgericht doch recht

Das Urteil stammt aus dem Jahr 2023 und jährt sich nun, am 8. Februar, zum zweiten Mal. Die Botschaft: Wer sich an die gesetzlichen Fristen hält und dann das Jobcenter wegen Untätigkeit verklagt, handelt nicht „treuwidrig“. Das macht den Fall weiterhin so relevant und damit auch zum Präzedenzfall. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts stärkt die Rechte von Bürgergeld-Empfängern erheblich. Es stellt klar, dass es keine gesetzliche Pflicht gibt, nach Ablauf einer Frist erneut Kontakt mit dem Leistungsträger aufzunehmen. Die Frau hatte sich an die gesetzliche Frist gehalten und damit korrekt gehandelt. Diese Entscheidung zeigt, dass auch Jobcenter und Gerichte sich an Recht und Gesetz halten müssen.

Mutter mit Kind auf der Straße
Falsche Jobcenter-Berechnungen haben oft große Auswirkungen auf den Alltag von Bürgergeldempfängerinnen und -Empfängern – gerade, wenn sie auch noch Kinder zu ernähren haben (Symbolbild). © Michael Gstettenbauer/IMAGO

Der Sozialrechtsexperte Dr. Utz Anhalt schreibt bei gegen-hartz.de: „Die Betroffene hat jedoch genau richtig gehandelt. Statt zu resignieren, mit dem Gefühl ‚die machen doch sowieso, was sie wollen‘ hat sie sich zu Recht darauf bezogen, dass solche Willkür von Behörden und Gerichten durch unser Grundgesetz verboten ist.“ Und weiter: Das Bundesverfassungsgericht habe dem Sozialgericht unmissverständlich klargemacht, dass es sich ebenso an Recht und Gesetz zu halten hat, wie die Bürgergeld-Bezieherin es tat, als sie ihre Untätigkeitsklage einreichte, erklärt der Experte weiter. Ein vermeintlich kleiner Sieg, der große Wellen schlug.

Für Wirbel sorgten Bürgergeld-Empfänger, die nach Mekka reisten. Sie müssen 22.600 Euro an das Jobcenter zurückzahlen. (mke)

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