Arbeiter oder Bürgergeldempfänger? - Die SPD muss sich entscheiden, für wen sie Politik macht

Wenn man sich derzeit mit hochrangigen Sozialdemokratinnen oder Sozialdemokraten unterhält, fällt auf, dass sie gar nicht genau sagen können, wen sie eigentlich als Wählerin oder Wähler vor Augen haben. Sind es Arbeiter, Facharbeiter, eine im weitesten Sinne in der Mittelschicht verankerte Gruppe – oder sind es eher Sozialleistungsempfänger, Arbeitslose? 

Über Jahrzehnte hatte die SPD vor allem die erste Gruppe im Blick. Darauf war ihre Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik ausgerichtet. Doch seit den Nullerjahren hat man das Gefühl, dass sich die SPD davon entfernt hat. Die Folge: Immer mehr Facharbeiter, Arbeiter, Menschen, die sich einer arbeitenden Mittelschicht zugehörig fühlen, wenden sich ab von der SPD, viele wandern gar zur AfD.

ANZEIGE

Kein Wunder. Denn gerade in Zeiten, in denen es wirtschaftlich bergab geht, wie eben jetzt, fragt sich genau diese Gruppe: Welche Angebote macht die Politik für uns? Wie wird die Wirtschaft in Gang gebracht?

Und diesmal ist es noch drastischer. Denn viele Menschen spüren, dass es nicht nur eine kleine Rezession ist, die Deutschland gerade durchmacht, sondern dass es grundlegende Probleme gibt. Große Stützen der deutschen Wirtschaft wie die Automobilbranche, die Stahlindustrie oder die Chemiebranche haben Probleme und spüren zu wenig politische Unterstützung. 

ANZEIGE
ANZEIGE
ANZEIGE

Natürlich müssen die Konzerne ihre eigenen Hausaufgaben machen, sich transformieren und den neuen ökologischen, technologischen und geopolitischen Gegebenheiten anpassen. Aber die Politik muss den Rahmen setzen, Anreize schaffen. Und die SPD steht oder besser stand für diese Tradition.

Immerhin. Im SPD-Parteivorstand werden jetzt Strategien erarbeitet, wie man wieder dorthin kommen kann. Ob das die richtigen Maßnahmen sind, darüber lässt sich streiten. Denn nur über Prämien wird es nicht gehen.

ANZEIGE

Ja, die FDP wird bremsen, aber das sollte kein Grund sein für Scholz und die SPD, sich bremsen zu lassen.

Auch muss klar sein, dass jeder Anreiz, jede Steuersenkung, finanziert werden muss. Und das wird entweder über nicht abgerufene Subventionen gehen oder über gekürzte Sozialleistungen zum Beispiel beim Bürgergeld. Doch da traut sich die SPD noch nicht ran. Dabei wäre es auch ein wichtiger Weg, hier zu zeigen, dass Leistung eben honoriert wird.

ANZEIGE

Oder es geht über neue Schulden. Und da kommt die FDP ins Spiel, die das ihrerseits wiederum zur Profilierung als Retterin der Schuldenbremse nutzen wird.

Aber dennoch. Es könnte für Kanzler Olaf Scholz ein Rettungsanker im Kanzleramt sein, wenn er jetzt kraftvoll versucht, diese Probleme sicht- und spürbar anzugehen. Ja, die FDP wird bremsen, aber das sollte kein Grund sein für Scholz und die SPD, sich bremsen zu lassen. 

ANZEIGE

In den kommenden Wochen und Monate wird sicher ein alter Spruch des Wahlkampfs von Bill Clinton Anfang der 90er-Jahre wieder sehr präsent sein hierzulande, der bedeuten soll, dass wirtschaftliche Themen im Mittelpunkt stehen: It’s the economy, stupid! 

Von Christian Tretbar

ANZEIGE