Bürgergeld-Arbeitspflicht als „Ultima Ratio“: Wie ein Jobcenter-Chef Empfänger in Arbeit bringen will

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Arbeitspflicht und Streichungen sollen Bürgergeld-Empfänger dazu bringen, schnell eine Arbeit aufzunehmen. Was ein Jobcenter-Chef davon hält – und wo er erfolgreich ansetzt.

Dortmund – Das Bürgergeld war eine der zentralen sozialen Reformen der Ampel-Koalition. Dabei sollte wieder der Fokus auf der Qualifizierung und Weiterbildung der Arbeitslosen gelegt werden, statt lediglich auf eine schnelle Vermittlung zu setzen. Doch mit der schwachen Wirtschaft und klammen Kassen stehen die Ausgaben für die Empfänger in der Kritik – und damit mögliche Sparmaßnahmen.

Arbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger: Was ein Jobcenter-Chef vom Vorstoß hält

Besonders die sogenannten „Totalverweigerer“, die mehrfach Jobangebote ablehnen, sind im Fokus. Die CDU will ihnen den Regelsatz komplett streichen. Zudem fordern CDU, FDP und AfD eine Arbeitspflicht. Diese sieht gemeinnützige Tätigkeiten vor. Marcus Weichert ist Geschäftsführer des Jobcenters in Dortmund. Im Interview spricht er über den Vorschlag und die besten Wege, um Bürgergeld-Empfänger in Arbeit zu vermitteln.

Herr Weichert, im Wahlkampf gibt es die Forderung nach einer Arbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger. Sie sollen gemeinnützig arbeiten. Die Stadt Schwerin ist im vergangenen Dezember bereits vorgeprescht und hat das Modell beschlossen. Es soll über Arbeitsgelegenheiten, Ein-Euro-Jobs, umgesetzt werden. Was halten Sie davon?

Man muss aufpassen, wenn man das Prädikat gemeinnützige Tätigkeit verwendet. Es muss wirklich gemeinnützig sein. Das heißt, es ist eine zusätzliche Aufgabe, die von keinem gewerblichen Unternehmen mit Gewinnstreben betreibbar wäre. Da muss man sehr ehrlich und sachlich sein. Denn was natürlich nicht sein darf, ist, dass man dann über solche Instrumente gewerblichen Unternehmen Aufträge wegnimmt. Weil dann habe ich nichts weiter als nur eine Verschiebung. 

Haben Sie dazu ein Beispiel?

Wenn die Pflege von Grünflächen oder vom Straßenbegleitgrün eigentlich eine Aufgabe der jeweiligen Gemeinde ist, die über das Steueraufkommen ihrer Einwohner refinanziert werden müsste. Diese Aufgabe übernimmt dann ein gewerbliches Unternehmen im Auftrag der Stadt. Jetzt kommt man auf die Idee zu sagen, das könnte ja eigentlich auch gemeinnützig gemacht werden, dann fällt für das Unternehmen, das das vorher gemacht hat, diese Auftragsbasis weg. Ob ich dann auf lange Sicht wirklich etwas Positives am Arbeitsmarkt erreicht habe? Habe ich zumindest ein Fragezeichen dran.

Arbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger „kann immer nur eine Ultima Ratio sein“

Wann kann denn eine solche Arbeitsgelegenheit sinnvoll sein?

Wenn ein Kunde ein Angebot ablehnt und sagt, „ich will mich aber gar nicht weiterbilden“, dann bin ich schon der Ansicht, dass man stärker über Sanktionen herangehen kann. Dann ist vielleicht auch eine Arbeitsgelegenheit das richtige Instrument, um jemanden weiter am Arbeitsprozess und auch an Tagesstruktur teilhaben zu lassen. Aber es kann nicht das Ziel sein, bestimmte Menschen in den untersten Aufgabengebieten festzuhalten. Ich sage nicht, dass das eine schlechte Idee per se ist, aber sie kann immer nur eine Ultima Ratio sein, um Menschen weiterhin zu motivieren, um wieder Fuß zu fassen am Arbeitsleben und auch in die eigene Entwicklung zu investieren.

Ausweg aus dem Bürgergeld: Jobcenter sollten bei der Vermittlung stärker auf Arbeitgeber zugehen, fordert Marcus Weichert. (Symbolfoto) © Jan Woitas/dpa

Raus aus dem Bürgergeld: „Wir müssen noch stärker an die Arbeitgeber heranrücken“

Wie können die Menschen dann bestmöglich wieder in Arbeit kommen?

Wir müssen noch stärker an die Arbeitgeber heranrücken, und zwar Arbeitgeber sowohl denjenigen, die gerade in wirtschaftlicher schwieriger Situation stecken. Das ist der Schlüssel. Man kann Unternehmen und Verbände direkt fragen: Wo drückt euch der Schuh, wo habt ihr Probleme? Arbeitsplätze werden überwiegend in der Privatwirtschaft gehalten und geschaffen. Wir können dadurch Menschen vor der Freisetzung bewahren, indem sie mit unserer Hilfe umgeschult oder weiterqualifiziert werden. Sie bleiben im selben Betrieb, mit einer anderen Aufgabe.

Mein Wunsch ist es auch, dass offene Stellen der Arbeitsagentur gemeldet werden müssen. Gerade, wenn die Zeiten wirtschaftlich etwas schwieriger sind, wäre es gut, wenn wir einen größeren und vollständigen Überblick über Vakanzen am Arbeitsmarkt haben.

Und dann ist natürlich der Klassiker: Bei Menschen, die arbeitslos sind, müssen wir genau eine Analyse durchführen: Wo sind ihre Stärken, wo sind ihre Schwächen und in welche Richtung kann man sie dann weiterqualifizieren?

Was sind dabei die zentralen Aufgaben der Jobcenter im Umgang mit den Menschen?

Dass wir in der Lage sind, für jeden Kunden wirklich ein passgenaues Angebot zu schaffen. Insbesondere auch im Bereich von Weiterbildung und Qualifizierung. Das wird natürlich mehr Geld kosten.

Porträt von Marcus Weichert, Geschäftsführer des Dortmunder Jobcenters.
Marcus Weichert ist seit Februar 2023 Geschäftsführer des Jobcenters Dortmund. © Schaper/Agentur für Arbeit Dortmund

Wie „Totalverweigerer“ im Bürgergeld aus der „Abwärtsspirale“ kommen können

Wir hatten über die Arbeitspflicht für „Totalverweigerer“ gesprochen. Was sind dabei die großen Probleme?

Erfahrungsgemäß ist das eher eine Minderheit, die wirklich gänzlich unmotiviert ist. Oftmals ist das damit verhaftet, dass die Menschen andere Problemlagen oder große Schicksalsschläge hinter sich haben. Klassiker sind etwa Scheidung, Trennung von der Familie, Eigentum geht verloren, Schulden bleiben, Depressionen kommen dazu, der Job geht verloren, man greift zum Alkohol oder womöglich noch zu anderen Drogen und schon gibt es eine Abwärtsspirale.

Wie können Sie diesen Menschen helfen?

Das geht dann natürlich auch ein bisschen in den Bereich Sozialarbeit mit rein. Aber die wenigsten sind ab ihrem 15. Lebensjahr dauerhaft in unserem System, sondern kommen im Laufe ihres Erwerbslebens bei uns vorbei. Der Großteil hat also schon am Arbeitsleben teilgenommen, wenn auch nur in Teilzeit. Dann gibt es schon Ansätze. An dieser Stelle muss man sie packen. Und das Schöne ist, dass wir jeden Tag auch Erfolgsgeschichten schreiben. Auch bei Menschen, die schon sechs, sieben, acht Jahre bei uns in Bezug waren, aber über die verschiedenen Instrumente wieder den Bogen bekommen haben und in Vollzeit arbeiten gehen können.

Wenn Sie von Erfolgsgeschichten und wirkungsvollen Instrumenten sprechen: Welche Mittel sind denn am zielführendsten, um Bürgergeld-Empfänger wieder in Arbeit zu bringen?

Das kann man leider nicht pauschal sagen. Das muss man tatsächlich branchenbezogen machen. Wir machen regelmäßig Wirkungsanalysen und schauen uns die einzelnen Instrumente an, die wir in der Arbeitsmarktförderung haben: Was hatten wir geplant? Wie viel Wirkung haben wir damit erzielt und war das erfolgreich oder hat sich der Arbeitsmarkt und die Nachfrage bei den Arbeitgebern verändert? Deswegen sind wir regional organisiert. Was ich hier in Dortmund mache, das muss in Köln oder Hamburg nicht funktionieren – und umgekehrt. Das ist ein Stück weit der Makel der Bundespolitik, die allgemeingültige Regeln von Kiel bis Garmisch machen. Das ist der Vorteil der regionalen Organisation. Aber in der regionalen Ausprägung brauche ich ein Stück mehr Freiheit. Die Instrumente sind alle da.

Wohnkostenpauschale im Bürgergeld könnte an Unterschieden der Preisniveaus scheitern

Kommen wir zurück zur politischen Debatte über die Bürgergeld-Empfänger und wo Einsparungen möglich sein könnten – noch mit einem Anreiz zu arbeiten verbunden. Dabei gibt es den Vorschlag der Wohnkostenpauschale. Statt den tatsächlichen Kosten würde es einen pauschalen Betrag geben. Was halten Sie davon?

Die Krux an der Diskussion, wenn man über Pauschalen redet ist: der Wohnraum als Beispiel in München, Stuttgart oder in Köln dürfte signifikant teurer sein als etwa im Osten, wenn ich an kleinere Städte wie Bautzen oder Grimma denke. Die Frage, wenn man Pauschalen einführen will, ist: Woran orientiert man sich dann? Man müsste einen Faktor dazurechnen, der diese Unterschiede zwischen Großstädten und dem ländlichen Raum abfedert. Wenn man ansonsten sagt, man macht als Pauschale das höchste Angebot, dann wird man wahrscheinlich Preise haben müssen wie in München. Dann haben die Menschen dort von der Kaufkraft deutlich weniger.

Also glauben sie nicht, dass das umsetzbar ist?

Mit Pauschalen innerhalb einer Gebietskörperschaft könnte man vielleicht eine vernünftige, faire Lösung finden. Aber bezogen auf ganz Deutschland, in der Unterschiedlichkeit der Lebens- und Wohnverhältnisse zwischen Großstädten, die ohnehin schon sehr teuer sind, und dem ländlichen Raum, wird das, glaube ich, eine Sache, die nicht möglich ist. Da müsste man wieder mit zusätzlichen Faktoren arbeiten. Ich glaube, das ist dann am Ende komplizierter, als wenn man das jetzige System benutzt.

„Wir wollen nicht fördern, dass Menschen in prekäre Wohnverhältnisse einziehen“

Eine weitere Diskussion dreht sich darum, welche Wohnungen als angemessen gelten, um dabei sparen zu können. Wie verhält sich das?

Die Personen, die von uns betreut werden, sollen auch angemessen, im Sinne von würdevoll und sicher wohnen. Wir wollen nicht fördern, dass Menschen in prekäre Wohnverhältnisse einziehen.

Wir können die Menschen nicht auffordern, dass sie umziehen. Das geht nur zur Kostensenkung, was manchmal im Wohnungswechsel endet. Es ist aber ein Märchen, dass das Jobcenter die Menschen zwingt, umzuziehen. Das ist rechtlich gar nicht zulässig. Zudem kann auch niemand Ghetto-Bildung für Menschen wollen, die vorübergehend in eine Notlage gefallen sind. Wir betreuen Menschen nicht im Sinne eines bedingungslosen und staatlich subventionierten Einkommens, sondern wir wollen den Menschen helfen, aus ihrer Notlage herauszukommen. Das Ziel bleibt immer, unseren Kunden wieder zu einem selbstbestimmten und damit auch selbstfinanzierten Leben zu verhelfen.

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