Jobcenter müssen Mietkosten zahlen – neues Urteil lässt viele Bürgergeld-Empfänger aufatmen

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Bei der Wohnkostenübernahme wird häufig über die Angemessenheit gestritten. Das Sozialgericht München hat ein wichtiges Urteil für Bürgergeld-Empfänger gefällt.

Hamm – Für Bürgergeld-Empfänger übernimmt das Jobcenter zusätzlich zum Regelbedarf auch die Kosten der Wohnung. Laut § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden diese in tatsächlicher Höhe berücksichtigt, sofern sie als „angemessen“ gelten. Über die Frage der Angemessenheit wird jedoch häufig gestritten und nicht selten führt dies zu gerichtlichen Auseinandersetzungen.

In einem Streitfall entschied das Sozialgericht München, dass Jobcenter bei Fehlen eines schlüssigen Konzepts die tatsächlichen Mietkosten zahlen müssen, berichtet das Branchenportal gegen-hartz.de. Nach Auffassung des Gerichts lag die objektive Beweislast beim Jobcenter: Die Behörde muss einerseits den Nachweis erbringen, dass die durch das Jobcenter angesetzten Kosten für die Unterkunft angemessen sind und ausreichen, um das Existenzminimum des Bürgergeld-Empfängers zu decken. Außerdem muss das Jobcenter nachweisen, dass die vom Bürgergeld-Empfänger beantragten Mietkosten (sofern diese höher sind) nicht angemessen sind.

Eine Frau steht vor einem Jobcenter
Eine Bürgergeld-Empfängerin bekam mit einer Klage gegen ein Jobcenter vor Gericht Recht. © Rolf Poss/Imago

Ein wiederkehrendes Bürgergeld-Streitthema: Angemessenheitsgrenzen der Wohnkosten

Im Unterschied zur Höhe des Bürgergelds, die deutschlandweit einheitlich geregelt ist, lassen sich die Angemessenheitsgrenzen für die Wohnkosten nicht pauschal beantworten. Denn diese richten sich neben der Größe der Wohnung auch nach den jeweiligen Mietobergrenzen der Kommunen. Diese variieren je nach Region. Die einzelnen Jobcenter haben zudem jeweils eigene Richtwerte für die Angemessenheit der Mieten. Wie viel Jobcenter also zahlen, ist bei allen Bürgergeld-Empfängern unterschiedlich.

Doch auch bei einer vom Jobcenter festgelegten Mietobergrenze muss diese laut dem Portal hartz4widerspruch.de nicht zwingend zutreffend sein. Häufig setze das Jobcenter eine Mietobergrenze fest, begründe diese aber nicht ausreichend. Es sei somit nicht nachvollziehbar, wie das Jobcenter auf diese Mietobergrenze gekommen ist, heißt es weiter.

Sozialgericht trifft wichtiges Urteil – Beweislast liegt bei Jobcenter

Bei der Frage, welche Kosten der Unterkunft als angemessen im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusehen sind, fällte das Sozialgericht München (30.06.2022 – S 8 AS 227/20 und – S 8 AS 1311/2) bereits ein Urteil. Es wurde unter folgenden Voraussetzungen nicht auf die Werte nach der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz zuzüglich zehn Prozent zurückgegriffen:

  • Das von einem SGB II-Leistungsträger angewendete Konzept zur Festlegung der Mietobergrenzen ist unschlüssig.
  • Erkenntnisausfall ist gegeben.
  • Der Wert nach Wohngeldtabelle plus zehn Prozent liegt noch unterhalb der Mietobergrenze im unschlüssigen Konzept.
  • Eine Nachbesserung des Konzeptes durch den Träger ist unmöglich oder trotz Aufforderung nicht erfolgt oder eine Aufforderung ist entbehrlich, weil sich der Träger darauf beruft, dass der Wert nach Wohngeldtabelle plus zehn Prozent ohnehin noch unterhalb der Mietobergrenzen im unschlüssigen Konzept liege.

Das Gericht stellte klar: „In diesen Fällen sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft als Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II anzusetzen.“ Denn „eine von den tatsächlichen Kosten der Unterkunft abweichende angemessene Bedarfshöhe ist in diesen Fällen weder vom SGB II-Leistungsträger nachgewiesen, noch ist sie durch das Gericht ermittelbar, und die Werte nach Wohngeldtabelle plus zehn Prozent sind offensichtlich und schon nach dem nicht schlüssigen Konzept nicht ausreichend, um das Existenzminimum zu sichern“, heißt es weiter.

Eine Anwendung des Wertes nach Wohngeldtabelle plus zehn Prozent in den oben genannten Fällen führe außerdem zu einem Verstoß gegen das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art 19 Abs. 4 GG) bei der gerichtlichen Überprüfbarkeit von Mietobergrenzenkonzepten. Auch hinsichtlich Leistungskürzungen hatte ein Sozialgericht zuletzt ein wegweisendes Urteil gefällt.

Koalitionsvertrag sieht schärfere Sanktionen und strengere Karenzzeiten vor

Bei beiden Urteilen wurde die Berufung zugelassen, da zum einen „die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung“ habe (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) und zum anderen das Urteil von der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts abweiche (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

Über kaum ein anderes Thema wird so häufig und vielfach kontrovers diskutiert wie das Bürgergeld. Unter der kommenden Merz-Regierung soll es nun zur Grundsicherung umgestaltet werden. Zentrales Anliegen der kommenden Regierung ist es, das Sozialhilfesystem zu überarbeiten. Laut Koalitionsvertrag sollen künftig zudem strenge Regeln bezüglich Karenzzeiten gelten. So werden die Karenzzeit für Vermögen abgeschafft, die Höhe des Schonvermögens soll an die Lebensleistung gekoppelt werden. Auch zu hohe Mietkosten werden angegangen. In einem anderen Fall lehnte das Jobcenter die Übernahme der Wohnkosten sogar ab – mit Konsequenzen. (vw)

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