Bürgergeldempfängerin klagt über „Panik“ vor dem Jobcenter – Mitarbeiterin kontert

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Das Jobcenter habe sie unter Druck gesetzt und schikaniert, erzählt eine verzweifelte Bürgergeldempfängerin. Eine Jobcenter-Mitarbeiterin gibt Kontra.

Frankfurt – Das Jobcenter machte ihr Angst: Sarhuna, eine 35-jährige Empfängerin von Bürgergeld, äußerte ihre Erfahrungen in einem Interview mit Focus.de. Sie fühlt sich ständig unter Druck gesetzt und erklärte, dass ihr niemand dort glaube, dass sie aktiv nach Arbeit sucht. Eine Mitarbeiterin eines Jobcenters hat nun ebenfalls Stellung zu dem Fall bezogen.

Bürgergeldempfängerin: Jobcenter-Besuch löst „Panik“ aus – Angestellte: „Kann so nicht stehen bleiben“

Sarhuna behauptet, dass sie ständig den Unterton „Die will doch gar nicht“ wahrnimmt, wenn sie mit dem Jobcenter in Kontakt tritt. Sie fühlt sich von den wechselnden Sachbearbeitern ständig unter Druck gesetzt und erlebt nichts als „Schikane“. Ein unerwarteter Besuch einer Mitarbeiterin bei ihr zu Hause löste „regelrecht Panik in mir aus.“ Sie fügte hinzu: „Ich dachte, ich drehe durch.“

Deutschland Symbolbilder  Bürgergeld - 2023 Eine Person sitzt am Tisch mit Smartphone und App Service
Eine Bürgergeldempfängerin berichtete über wenig erfreuliche Erfahrungen mit dem Jobcenter. (Symbolbild) © K. Schmitt/IMAGO/Fotostand /

Eine leitende Mitarbeiterin eines Jobcenters, die anonym bleiben möchte, äußerte sich ebenfalls bei Focus.de zu den Vorwürfen. Sie betont: „Das kann so nicht stehen bleiben“ und fügt hinzu: „Da wird viel zu leichtfertig über diejenigen geurteilt, die Unterstützung anbieten.“ Sie beschreibt, wie in ihrem Jobcenter mit den Menschen umgegangen wird: „Unsere Aufgabe ist nicht, Menschen mit Druck in den Arbeitsmarkt zu vermitteln.“

Sie spreche den Kandidaten und Kandidatinnen stattdessen nach eigener Aussage Mut zu und sage ihnen: „Kommen Sie erst mal an. Schauen Sie sich das an und überlegen Sie in Ruhe. Sie können dann immer noch Nein sagen.“ Sie betont, dass man sich „für jede Person viel Zeit“ nimmt. Eine andere Jobcenter-Mitarbeiterin kritisierte zuletzt ein „bedingungsloses Grundeinkommen durch die Hintertür“.

Angst vor dem Jobcenter: „Spielen Spielchen mit dir und scheinen das zu genießen“

Die 35-Jährige leidet unter einem Herzfehler und einer Herzschwäche und ist daher nur eingeschränkt leistungsfähig. Sie kämpft auch mit Depressionen und fühlt sich nach jedem Besuch beim Jobcenter „mies. Mit dem zunehmenden Druck wuchsen auch die Selbstzweifel und die Versagensängste und irgendwann die heimliche Aggression gegen das Jobcenter.“

Sie beschreibt ihre Angst „vor dem Jobcenter, wo man es offensichtlich cool findet, die Menschen vor sich herzutreiben. Jedes Schreiben, das kommt, eine Forderung – manchmal fast eine Anklage. Es gibt Sachbearbeiter, die spielen Spielchen mit dir und scheinen das richtig zu genießen.“

Bürgergeldempfängerin leidet unter gesundheitlichen Problemen

Sie habe schließlich Jobs angenommen, die sie eigentlich nicht wollte, im Casino und in einem Callcenter. Laut einer Ärztin führte dieser Stress zu immer mehr gesundheitlichen Problemen: „Diabetes, Bluthochdruck, eine chronische Schmerzerkrankung. Dazu Depressionen.“ Sie fügt hinzu: „An schlechten Tagen, wenn ich nicht auf die Füße komme, muss mir jemand den Rollstuhl ans Bett bringen.“ Sie öffnete die Briefe vom Jobcenter aus Angst gar nicht mehr.

Die anonyme Mitarbeiterin des Jobcenters kann nachvollziehen, dass automatisch generierte Briefe als Druck empfunden werden. Sie sagt: „Aus meiner Sicht ist oft ein großes Missverständnis schuld daran, wenn ‚Kunden‘ verschreckt sind und abtauchen.“

Jobcenter-Mitarbeiterin: „Man hätte sie besser an die Hand nehmen müssen“

Sie äußert sich auch konkret zum Fall 35-jährigen Empfängerin von Bürgergeld: „Sarhuna hätte man besser an die Hand nehmen müssen. Viele Kunden bräuchten eine umfassendere psychologische Betreuung.“ Sie schließt mit den Worten: „Wir brauchen einen Abbau von Vorurteilen und Klischeedenken auf beiden Seiten.“ Es sei nicht gerecht, Menschen wie Sarhuna „mit sogenannten Sozialschmarotzern in einen Topf zu werfen.“

Sarhunas Situation änderte sich zum Positiven, als eine Mitarbeiterin des Jobcenters sie überraschend besuchte: „Sie kam ohne Vorurteile, hat sich ein Bild von der Situation gemacht und uns verstanden.“ Es gab „kein Drohen, keinen Druck“. „Nach neun Jahren Kontakt mit dem Jobcenter ist es das erste Mal, dass ich das so erlebe.“

Glückliche Wendung nach Jobcenter-Ärger: „Habe richtig Spaß an der Arbeit“

Nach intensiven Gesprächen arbeitet Sarhuna nun Teilzeit an einer Supermarktkasse. „Zum ersten Mal im Leben habe ich richtig Spaß an der Arbeit“, sagt sie. Die Beraterin hat mit dem Filialleiter gesprochen und ihn über ihre Krankheiten informiert. Er zeigte viel Verständnis. Nun ist ohne den Druck alles anders: Sie und ihr Mann „fühlen uns nicht mehr gegängelt, sondern gesehen.“

Eine Mehrheit der Deutschen unterstützt laut einer Umfrage die Streichung des Bürgergelds, wenn Empfänger die Aufnahme einer Arbeit verweigern. 56 Prozent halten dies für richtig, so eine Anfang August 2024 veröffentlichte Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Magazins stern. 40 Prozent halten dies für zu weitgehend, vier Prozent äußerten keine Meinung. Bürgergeldempfänger können sich übrigens vom Rundfunkbeitrag befreien lassen.

Regierung beschließt Verschärfungen beim Bürgergeld

Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen für 2025 hat die Ampel-Koalition bereits Verschärfungen beim Bürgergeld beschlossen. So sollen Bürgergeldempfänger künftig Jobs mit einem täglichen Arbeitsweg von bis zu drei Stunden hin und zurück annehmen müssen. Zudem sollen Jobcenter in einem Umkreis von 50 Kilometern vom Wohnort nach einem Arbeitsplatz suchen.

Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt oder bei Schwarzarbeit erwischt wird, muss zudem mit höheren Leistungskürzungen rechnen. Skeptiker behaupten jedoch, dass damit keine nachhaltigen Verbesserungen erzielt werden könnten. Eine Behörde urteilte zuletzt, dass eine Bürgergeldempfängerin zu genügsam lebe. (cgsc mit afp)

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