Bürgergeldempfängerin spricht über Panik vor dem Jobcenter – Mitarbeiterin gibt nun Kontra

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Eine Bürgergeldempfängerin hatte jahrelang Angst vorm Jobcenter und spricht von „Schikane“. Eine Jobcenter-Mitarbeiterin will das nicht stehen lassen.

Frankfurt – Eine Bürgergeldempfängerin sprach aus, was vielleicht viele denken: Sie hat Panik vorm Amt und fühlt ständig, dass ihr nicht geglaubt wird, dass sie auf Jobsuche geht. In einem Interview mit Focus.de machte sie ihrer Angst Luft. Nun jedoch äußerte sich auch eine Mitarbeiterin eines Jobcenters zu dem Fall.

Bürgergeldempfängerin hat Panik vor Amt – Mitarbeiterin verteidigt Jobcenter: „Da wird zu leichtfertig geurteilt“

„Die will doch gar nicht“ – dieser Unterton soll laut Bürgergeldempfängerin Sarhuna (35) ständig mitgeschwungen haben, wenn sie in Kontakt mit dem Jobcenter war. Auch beim Jobcenter hätten viele das Vorurteil der Arbeitsverweigerung. Sie habe bei all den wechselnden Sachbearbeitern nichts als Druck und „Schikane“ erlebt. Als dann ein Überraschungsbesuch zu ihr kam, habe dies „regelrecht Panik in mir ausgelöst.“ Und weiter: „Ich dachte, ich drehe durch.“

Ebenfalls bei Focus.de äußert sich eine anonyme leitende Jobcenter-Mitarbeiterin zu den Vorwürfen. „Das kann so nicht stehen bleiben“, meint sie: „Da wird viel zu leichtfertig über diejenigen geurteilt, die Unterstützung anbieten.“ Sie erzählt, wie in ihrem Jobcenter Menschen begegnet wird: „Unsere Aufgabe ist nicht, Menschen mit Druck in den Arbeitsmarkt zu vermitteln.“ Sie sage den Bürgergeldempfängern: „Kommen Sie erst mal an. Schauen Sie sich das an und überlegen Sie in Ruhe. Sie können dann immer noch Nein sagen.“ Man nehme sich „für jede Person viel Zeit.“ Auch eine andere Jobcenter-Chefin äußerte sich jüngst über Bürgergeldempfänger.

Bürgergeld
Nichts als Druck und „Schikane“ erlebt: Bürgergeldempfängerin ist wütend über das Jobcenter. (Symbolbild) © Jens Kalaene/dpa

Sarhuna hat einen Herzfehler und eine Herzschwäche und ist daher nur bedingt leistungsfähig, wie sie erklärt. Auch mit Depressionen hatte sie zu kämpfen, und statt dass ihr wirklich geholfen würde, fühlte sie sich jedes Mal, wenn sie vom Jobcenter kam „mies. Mit dem zunehmenden Druck wuchsen auch die Selbstzweifel und die Versagensängste und irgendwann die heimliche Aggression gegen das Jobcenter.“

Anklage ans Jobcenter: „Spielen Spielchen mit dir und scheinen das richtig zu genießen“

Sie spricht von Angst „vor dem Jobcenter, wo man es offensichtlich cool findet, die Menschen vor sich herzutreiben. Jedes Schreiben, das kommt, eine Forderung – manchmal fast eine Anklage. Es gibt Sachbearbeiter, die spielen Spielchen mit dir und scheinen das richtig zu genießen.“

Irgendwann nahm sie Jobs an, die sie gar nicht wollte, im Casino und in einem Callcenter. Wie ihr eine Ärztin bescheinigte, führte dieser Stress zu immer mehr gesundheitlichen Problemen: „Diabetes, Bluthochdruck, eine chronische Schmerzerkrankung. Dazu Depressionen.“ Und weiter: „An schlechten Tagen, wenn ich nicht auf die Füße komme, muss mir jemand den Rollstuhl ans Bett bringen.“ Briefe vom Jobcenter habe sie aus Angst gar nicht mehr geöffnet.

Automatisiert geschriebene Briefe vom Jobcenter werden als Druck empfunden

Die anonyme Mitarbeiterin könne verstehen, wenn automatisiert geschriebene Briefe als Druck empfunden werden. Die Briefe werden falsch oder gar nicht verstanden, sagt sie: „Aus meiner Sicht ist oft ein großes Missverständnis schuld daran, wenn ‚Kunden‘ verschreckt sind und abtauchen.“

Über den Fall Sarhuna äußert sie konkret: „Sarhuna hätte man besser an die Hand nehmen müssen. Viele Kunden bräuchten eine umfassendere psychologische Betreuung.“ Abschließend urteilt sie: „Wir brauchen einen Abbau von Vorurteilen und Klischeedenken auf beiden Seiten.“ Es sei nicht fair, Menschen wie Sarhuna „mit sogenannten Sozialschmarotzern in einen Topf zu werfen.“

Überraschungsbesuch vom Jobcenter bringt die Wende für Bürgergeldempfängerin

Saruhnas Geschichte wendete sich durch den Überraschungsbesuch einer Jobcentermitarbeiterin doch noch zum Guten: „Sie kam ohne Vorurteile, hat sich ein Bild von der Situation gemacht und uns verstanden.“ Es habe „kein Drohen, keinen Druck“ gegeben. „Nach neun Jahren Kontakt mit dem Jobcenter ist es das erste Mal, dass ich das so erlebe.“

Nach intensiven Gesprächen arbeitet Saruhuna mittlerweile Teilzeit an einer Supermarktkasse. „Zum ersten Mal im Leben habe ich richtig Spaß an der Arbeit“, sagt sie. Die Beraterin habe mit dem Filialleiter gesprochen und ihn über ihre Krankheiten informiert. Er sei sehr verständnisvoll. Nun sei ohne den Druck alles anders: „Wir fühlen uns nicht mehr gegängelt, sondern gesehen.“ Ebenfalls sprach ein anderer Bürgergeldempfänger kürzlich über eine Jobcenter-Maßnahme.

Mehrheit der Deutschen will Arbeitsverweigerern Bürgergeld streichen

Eine Mehrheit der Deutschen befürwortet nach einer Umfrage die Streichung des Bürgergelds, wenn Empfänger die Aufnahme einer Arbeit verweigern. 56 Prozent fänden dies richtig, ergab eine Anfang August 2024 veröffentlichte Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Magazins stern. 40 Prozent wäre dies zu weitgehend, vier Prozent äußerten keine Meinung.

Im Zuge der Verständigung auf den Haushalt 2025 hat die Ampel-Koalition bereits Verschärfungen beim Bürgergeld beschlossen. Demnach sollen Bürgergeld-Bezieher etwa künftig Jobs mit einem täglichen Arbeitsweg von bis zu drei Stunden hin und zurück annehmen müssen. Außerdem sollen Jobcenter in einem Umkreis von 50 Kilometern vom Wohnort nach einem Arbeitsplatz suchen. Wer eine zumutbare Arbeit ablehnt oder bei Schwarzarbeit erwischt wird, muss zudem mit höheren Leistungskürzungen rechnen. Skeptiker:innen behaupten allerdings, dass damit keine nachhaltigen Verbesserungen bewirkt würden. (cgsc mit afp)

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