Trotz Ampel-Aus: Diese Projekte will Kanzler Scholz bis zum Jahresende noch umsetzen
Die Ampel-Koalition zerbricht. Dennoch verspricht Olaf Scholz, dass die Minderheitsregierung aus SPD und Grünen weiter handlungsfähig sein wird.
Berlin – Die Ampel ist Geschichte, Finanzminister Christian Lindner und die FDP verabschieden sich von der Koalition. Kanzler Olaf Scholz will die Vertrauensfrage jedoch erst im Januar stellen – bis dahin will Scholz noch wichtige Projekte durchs Parlament bringen. Er wolle in den verbleibenden Sitzungswochen des Bundestags bis Weihnachten alle Gesetzentwürfe zur Abstimmung stellen, die aus seiner Sicht „keinerlei Aufschub“ duldeten, sagte der SPD-Politiker nach dem Bruch der Koalition am Mittwochabend.
Der Kanzler nannte konkrete Vorhaben, fraglich ist nur, wie er diese umsetzten möchte. Ohne die FDP hat die Regierung keine Mehrheit mehr im Bundestag und bräuchte die Unterstützung der Union. Am 20. Dezember soll das Parlament planmäßig zum letzten Mal in diesem Jahr zusammenkommen. Im März könnte es dann Neuwahlen geben. Bis zum Stellen der Vertrauensfrage will Scholz diese Themen entschieden sehen:
Trotz Ampel-Aus: Scholz plant Steuerentlastungen gegen kalte Progression – eigentlich Lindners Projekt
Scholz will, dass der Effekt der Inflation bei der Einkommensteuer ausgeglichen wird – ein Projekt, das eigentlich der nun Ex-Finanzminister Christian Lindner maßgeblich vorangetrieben hat. „Damit alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ab dem 1. Januar mehr Netto vom Brutto haben“, begründete der Kanzler, dass er an den Plänen zum Ausgleich der kalten Progression festhält.

Als kalte Progression wird der Vorgang bezeichnet, wenn Bürger durch den ansteigenden Steuertarif auch dann mehr an den Fiskus zahlen müssen, wenn ihre Gehaltserhöhung nur die Inflation ausgleicht. Lindner wollte dafür den Grundfreibetrag und die anderen Eckwerte des Steuertarifs so verschieben, dass höhere Steuersätze erst später greifen. Nur die Grenze für die Reichensteuer, die noch über dem Spitzensteuersatz liegt, sollte gleich bleiben – damit die Vermögendsten weniger stark entlastet werden. Der FDP-Chef hatte den Grünen vorgeworfen, die Pläne zu blockieren.
SPD-Rentenpaket trotz Ampel-Aus: kein Ende für Lindners Aktienrente?
Das dürfte der für die SPD wohl wichtigste Punkt sein: die Stabilisierung der gesetzlichen Rente. Der Bundestag hat sich Ende September in erster Lesung mit dem seit langem vorbereiteten Rentenpaket befasst. Im Kern soll ein stabiles Rentenniveau garantiert werden, die Rentenbezüge sollen Schritt halten mit der Lohnentwicklung. Wegen der alternden Bevölkerung wird dies aber immer teurer – was dann zu höheren Beiträgen für jüngere Leute führt. Die Koalition will diese prognostizierte Beitragserhöhung dadurch abfedern, dass sie Geld am Aktienmarkt anlegt und die Rendite in die Rente steckt.
Insbesondere der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Johannes Vogel, pochte allerdings auf Änderungen, da das Paket aus seiner Sicht die Jüngeren über Gebühr belastet. Denn der Aktienplan kann voraussichtlich nicht die gesamten Mehrkosten auffangen. Allerdings ist das Rentenpaket auch in der Union umstritten. Fraktionsvize Hermann Gröhe nannte es Ende September eine verpasste Chance für mehr Generationengerechtigkeit. Es sei ein Neustart in der Rentenpolitik notwendig.
Vor Neuwahlen: Scholz will Reform im EU-Asylsystem und „Pakt für die Industrie“
Als weiteres Vorhaben nannte der Kanzler die schnelle Umsetzung der Regeln des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Diese will Deutschland schnell umsetzen. Am Mittwochvormittag noch hatte die Koalition dazu zwei Gesetzesänderungen beschlossen. Die Reform sieht unter anderem eine Verpflichtung zur Identitätskontrolle bei Ankommenden vor. Asylbewerber mit einer EU-weiten Schutzquote von unter 20 Prozent sollen ihr Verfahren an der EU-Außengrenze durchlaufen.
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Deutschland steckt in einer Konjunkturflaute, schlecht geht es vor allem der Industrie. Kanzler Scholz hatte Ende Oktober einen Industriegipfel mit Vertretern von Wirtschaft und Gewerkschaften veranstaltet. Er kündigte danach einen „Pakt für die Industrie“ an, der sehr konkrete Maßnahmen umfassen solle, um den Standort zu stärken. Wirtschaftsverbänden beklagen vor allem im internationalen Vergleich hohe Energiepreise.
Bis Jahresende will Scholz nun unbedingt „Sofortmaßnahmen“ für die Industrie durchsetzen. Konkret sagte er, die Netzentgelte für Unternehmen sollten gedeckelt werden und es solle ein Paket geschnürt werden, das Arbeitsplätze in der Automobilindustrie und bei den vielen Zuliefererbetrieben sichere. Denkbar wären zum Beispiel neue Fördermaßnahmen, um den Absatz von Elektroautos anzukurbeln. Maßnahmen zur Stärkung der Industrie würden aber Milliarden kosten.
Merz soll nach Ampel-Aus für Scholz die nötige Mehrheit im Bundestag sichern
Der Kanzler kündigte an, er werde sehr schnell das Gespräch mit dem Oppositionsführer suchen, dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz. Er wolle ihm anbieten, in zwei entscheidenden Fragen, „gern auch mehr“, konstruktiv zusammenzuarbeiten. Scholz nannte die schnelle Stärkung der Wirtschaft und die Verteidigung als zentrale Punkte. „Unsere Wirtschaft kann nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben, und wir brauchen jetzt Klarheit darüber, wie wir unsere Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren solide finanzieren, ohne dafür den Zusammenhalt im Land aufs Spiel zu setzen.“
Die Frage ist allerdings, ob Merz auch die Vorschläge des Kanzlers mitträgt. Merz selbst forderte am Donnerstagmorgen Scholz auf, die Vertrauensfrage spätestens in der kommenden Woche im Bundestag zu stellen. Der CDU-Chef bezeichnete die Ampel-Koalition als „gescheitert“. Die Forderung von Merz habe die Unionsfraktion einstimmig beschlossen. Denn eigentlich hatte Scholz die Vertrauensfrage erst für den 15. Januar angekündigt.
Kritik an Scholz aus SPD und FDP – Merz fordert frühere Neuwahlen nach Ampel-Aus
Und auch aus dem FDP-Lager hagelte es über den Vorschlag vom Kanzler Kritik. FDP-Fraktionschef Christian Dürr forderte unterdessen raschere Neuwahlen und mahnte den Kanzler: „Wir brauchen schnell Klarheit, ich verstehe nicht, warum der Bundeskanzler damit bis zum nächsten Jahr warten wird.“
Der Bundestag muss für das laufende Jahr außerdem noch einen Nachtragshaushalt beschließen – sonst könnte eine Haushaltssperre drohen. Im Sommer hatte die Koalition angekündigt, dass sie einige Milliarden aus zusätzlichen Krediten braucht, um geringere Steuereinnahmen, höhere Ausgaben beim Bürgergeld sowie höhere Kosten zur Förderung der erneuerbaren Energien auszugleichen. Weil die Konjunktur in Deutschland schwächer als erwartet läuft, lässt die Schuldenbremse diese größere Kreditaufnahme zu. Generell kommt das Ampel-Aus zum denkbar schlechten Zeitpunkt. Durch die US-Wahl und den Sieg Donald Trumps herrscht ohnehin Unsicherheit über die europäische Zukunft. (dpa/sischr)