Diese Gefahr liegt für Merz in den Umfragen zur Bundestagswahl

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Wahlumfragen suggerieren, dass Friedrich Merz (CDU) der neue Kanzler der Bundesrepublik wird. Doch ist das wirklich so sicher? Was Wahlumfragen können und wo ihre Grenzen liegen.

Die US-Wahl hat gezeigt: trotz günstiger Prognosen für die Demokratin Kamala Harris wird der Republikaner Donald Trump Präsident der Vereinigten Staaten. Wie verlässlich sind also Umfragen und was bedeutet das für die Bundestagswahl im Februar? „Wahlvorhersagen sind zwar ein recht gutes Stimmungsbarometer, verlässliche Prognosen über den tatsächlichen Wahlausgang liefern sie aber so lange vor der Wahl nicht“, sagt der Wahl- und Parteienforscher Prof. Jürgen Falter von der Universität Mainz. Bis zur Bundestagswahl Ende Februar sei noch alles möglich. „Es sind immer nur Stimmungsmessungen – keine Verhaltensmessungen – bis zum Wahltag kann sich noch einiges ändern“, sagt Falter.

Schon zwei Mal haben sich die Mehrheitsverhältnisse in Deutschland komplett gedreht, erinnert Falter: 2005 hätte die rasante Aufholjagd von Gerhard Schröder in den letzten Wochen vor der Wahl die Union fast die Kanzlerschaft gekostet. Und bei der letzten Bundestagswahl 2021 konnte Olaf Scholz nach taktischen Wahlkampffehlern Armin Laschets die CDU auf den letzten Metern überholen, obwohl diese wochenlang die Nase vorn hatten. Gleichzeitig warnt der Politologe vor verfrühter Euphorie: „Wenn jetzt gesagt wird, die SPD holt auf, weil sie einen Prozentpunkt dazugewonnen hat, ist das wissenschaftlich in keinster Weise gerechtfertigt“, so Falter. „Streng genommen müsste man zu jeder Umfrage dazuschreiben, dass ihr Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent im Bereich plus minus 2-3 Prozent gültig ist.“

„Keine Verhaltensmessungen“: Diese Gefahr liegt für Merz in den Umfragen zur Bundestagswahl

Wie kommen die Ergebnisse der Umfragen zustande? Die demoskopischen Institute wie die Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap, Allensbach und andere befragen eine repräsentative, zufällig ausgewählte Gruppe von 1000-2000 Wahlberechtigten - traditionell telefonisch, neuerdings auch zunehmend online. Diese Stimmen werden demoskopisch gewichtet: nach Geschlecht und Altersgruppen, wie es dem Mikrozensus, also dem repräsentativen Querschnitt der Gesellschaft entspricht. Außerdem wird üblicherweise politisch gewichtet. „Dabei wird die Erinnerung an die abgegebene Stimme der letzten Wahl mit dem tatsächlichen Wahlergebnis ins Verhältnis gesetzt, um weitere Fehlerquellen zu korrigieren“, erläutert Falter.

Probleme gibt es bei der Erstellung der Wahlprognosen, weil immer weniger Menschen übers Festnetz erreichbar sind. Online können aber nur diejenigen befragt werden, die sich vorher dafür registriert haben und daher oft politisch interessierter und damit weniger repräsentativ für die Gesamtbevölkerung sind. Außerdem verweigern Viele die Auskunft. „Das führt dazu, dass die Demoskopen heute nur noch 40 Prozent und weniger der Menschen erreichen, die sie ansprechen wollen“, sagt Falter. Ob der Rest, die sogenannte schweigende Mehrheit, genauso denkt wie die Befragten, ist ungewiss, wird aber schweigend vorausgesetzt.

Und es gibt weitere Fehlerquellen: Nicht jeder, der bei der Umfrage angibt, wählen gehen zu wollen, weil er das vielleicht als moralische Pflicht empfindet, tue dies am Wahltag dann auch. „Außerdem steigt die Zahl derer, die noch wenige Tage vor der Wahl nicht festgelegt sind und sich erst in der Wahlkabine entscheiden, wo sie das Kreuz setzen“, sagt der Wahlforscher. Darüber hinaus gäbe es auch in Umfragen Menschen, die schlicht lügen. „Einige wollen vielleicht extreme Parteien wählen und trauen sich nicht, das offen zu sagen. Darum seien alle Prognosen eigentlich höchst riskant. „Die Wahlvorhersagen der demoskopischen Institute sind sehr viel genauer, als man es angesichts dieser möglichen Fehlerquellen erwarten würde“, sagt Falter.

Sein Fazit: Einzelnen Umfragen traue er daher weniger als einem Vergleich von Vorhersagen aus verschiedenen seriösen Instituten. „Wenn diese in ihren Ergebnissen tendenziell übereinstimmen, geht es in die richtige Richtung.“

Bundestagswahl: Der Einfluss von Umfragen auf Wählerverhalten

Die Bedeutung von Wahlumfragen darf man indes nicht unterschätzen, denn sie können Wählerverhalten durchaus beeinflussen. Das wird bei der Bundestagswahl 2025 besonders für die FDP entscheidend. So könnten traditionelle FDP-Wähler ihre Stimme einer anderen Partei geben, solange sie an der 5-Prozent-Hürde zu scheitern drohe. „Wenn die FDP in Umfragen bei 4,5 Prozent liegt, kann der Schätzwert mit der gleichen Wahrscheinlichkeit bei 3,5 oder 5,5 liegen“, erläutert Falter. „Daher muss die FDP in den Umfragen auf mindestens 6 oder besser 7 Prozent kommen, damit man einigermaßen sicher sein kann, dass sei in den Bundestag einzieht.“

Umfragen beeinflussen Wähler in zwei Richtungen. „Zum einen gibt es den Bandwagon-Effekt: Die Partei, die vorne liegt, gewinnt weiter dazu, weil sich Wähler den Siegern anschließen. Der gegenteilige Effekt ist der Underdog-Effekt: Wenn ein Wähler seine Stimme einer Partei gibt, die stark verliert, um sie stärker zu machen, oder weil er eine absolute Mehrheit der führenden Partei verhindern will“, erläutert der Politologe.

Dass Wahlumfragen auch noch am Wahltag veröffentlicht werden, findet Falter trotz ihres möglichen Einflusses auf das Wahlverhalten nicht problematisch. „Es ist demokratisch notwendig, dass die Wähler sich ein Bild über die Stimmungslage im Land machen, um ihre Stimmabgabe daran orientieren zu können. Das darf kein Herrschaftswissen der Verbände und Parteien bleiben“, betont Falter.

Also ist ein Kanzler Friedrich Merz doch noch nicht gesetzt? Prof. Falters Prognose für die anstehende Bundestagswahl lautet: „Wenn Sie jetzt wetten müssten, dann sollten Sie derzeit schon eine gute Flasche Wein auf einen Unionssieg setzen“, sagt er. „Und selbst wenn Sie wider Erwarten die Wette verlieren sollten, könnten Sie sich damit trösten, dass Sie rational, weil aufgrund der ihnen vorliegenden Informationen, gehandelt haben.“

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