„Debakel“ für „Friedrich den Allerletzten“: Ausländische Presse über „beschädigten Kanzler“ Merz

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Friedrich Merz wurde erst im zweiten Wahlgang zum Kanzler gewählt. Das historische Novum sorgte auch in der ausländischen Presse für heftige Schlagzeilen.

Berlin – Alles war angerichtet: Friedrich Merz saß locker im Bundestag, auf der Tribüne versammelten sich seine Töchter, seine Ehefrau, die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel oder auch der Astronaut Alexander Gerst, um die eigentlich rein formelle Prozedur der Kanzlerwahl zu feiern. Als dann aber Bundestagspräsidentin Julia Klöckner das Wahlergebnis vorlas, war die „Fassungslosigkeit“, wie ntv das nannte, Merz ins Gesicht geschrieben.

Zu wenige Stimmen aus den Reihen der CDU, CSU und SPD haben sich am Ende für Merz ausgesprochen. 310 wollten ihn als Kanzler, 316 hätte er gebraucht. Und darauf sprangen ausländische Medien auf. Die „historische Nichtwahl“, wie der Schweizer „Blick“ titelte, ist für „Merz oberpeinlich, für Europa gefährlich“, wenige Stunden später wurde dann betitelt: „Friedrich der Allerletzte im ersten Wahlgang historisch gescheitert. Deutschland kastriert sich selbst – im allerdümmsten Moment“. Letztendlich schaffte es Merz im zweiten Wahlgang, dennoch kein guter Tag für Deutschland, wie das Ausland empfand.

„Beschädigtem Kanzler“ Merz wird der „Dienstag noch länger in den Knochen stecken“

Auch in anderen Ländern war das Merz-Debakel, bei der auch die Mimik von Vorgänger Olaf Scholz eingefangen wurde, ein großes Thema. „Die Presse“ in Österreich schreibt: „Das gab es noch nie in der Bundesrepublik. Aber zumindest die Reaktion war bekannt. Denn die Abstimmungspleite zur ,Staatskrise‘ und zur ,Katastrophe für Deutschland‘ (CDU-Sozialflügel) hochzujazzen ist typisch deutsch. Ein Akt der kollektiven Hyperventilation. Sechs Stunden dauerte diese angebliche deutsche ,Staatskrise‘ letztlich, bevor Merz im zweiten Anlauf doch noch gewählt wurde. Aber selbst wenn man die vielen Übertreibungen abzieht: Dieser Dienstag wird Deutschland noch länger in den Knochen stecken. Der neue Kanzler ist beschädigt. (...)“

Weiter heißt es bei der „Die Presse“: „Das Debakel ist eine schlechte Nachricht für Deutschland. Und für Europa. Denn die Berliner Turbulenzen kommen zur Unzeit. In der Ukraine herrscht Krieg. Amerika wendet sich von Europa ab. Zumindest auf Deutschland, das mächtigste Land Europas, sollte daher Verlass sein.“ Auch zu der Bedrohung schreibt die US-Zeitung „Wall Street Journal“: „Die politischen Zeiten sind so unruhig geworden, dass selbst das besonnene Deutschland immer wieder für Überraschungen sorgt. Am Dienstag gab es eine große Überraschung: Friedrich Merz musste bei einer Parlamentsabstimmung einen zweiten Anlauf nehmen, um neuer Bundeskanzler zu werden. Sein Humpeln über die Ziellinie erinnert daran, dass Europas größtes Land nach wie vor tief gespalten ist. (...)“

In Deutschland „brodelt politische Unzufriedenheit“ nach Merz‘ „Parlamentsdebakel“

Im Übrigen schreibt „Wall Street Journal“: „Die erste Abstimmung sollte eine Formsache sein. Offenbar brodelt politische Unzufriedenheit unter der Oberfläche. (...) Das Parlamentsdebakel vom Dienstag bringt dies auf neuartige Weise ans Licht. (...) Doch das ist kaum eine positive Bestätigung seitens der Abgeordneten, geschweige denn der Wähler. Das Kernproblem ist, dass es den etablierten Parteien nicht gelingt, den Wählern eine überzeugende Alternative zu den Erschütterungen der AfD zu bieten, um Deutschland aus seiner Krise in den Bereichen Migration, Wirtschaft und Klimapolitik zu befreien. Sollte Merz dies auch nicht schaffen, dürfte die Aufregung vom Dienstag nicht seine letzte böse politische Überraschung gewesen sein.“

Die spanische Zeitung „El País“ kommentiert die holprige Wahl von Friedrich Merz zum Bundeskanzler: „Der Christdemokrat Friedrich Merz ist mit einem Fehlstart in sein Amt als Bundeskanzler Deutschlands gestartet. (...) Die problematische Kanzlerwahl endete gut - für Deutschland und für Europa, das in seiner führenden Wirtschaftsmacht und angesichts globaler Instabilität durch Donald Trump und Wladimir Putin eine stabile Regierung braucht. Auch wenn die deutsche Politik unter Spannung geriet, funktionierte das System und ermöglichte innerhalb weniger Stunden eine zweite Abstimmung und die Wahl von Merz.“

Merz laut „El País“ nicht „verdammt eine ‚lame duck‘ zu sein“: „Europa wartet auf ihn“

„El País“ schreibt auch: „Dennoch bleiben besorgniserregende Signale. Die Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten ist fragil (...). Besorgniserregender ist dies noch in einem Parlament, in dem die zweitstärkste Kraft die AfD ist - eine Partei, die der deutsche Verfassungsschutz gerade als „rechtsextremistisch“ eingestuft hat (...)“, und weiter führt das spanische Blatt an: „Merz muss nicht von Anfang dazu verdammt sein, eine ‚lame duck‘ zu sein. Der neue Kanzler ist ein pragmatischer Konservativer, der bereits im Wahlkampf und in den Monaten danach seine Reaktionsfähigkeit unter Beweis gestellt hat - etwa mit einem Schuldenpaket von nahezu einer Billion Euro für Investitionen in Verteidigung, Infrastruktur und Umweltschutz. Auf seiner ersten Reise, die ihn am Mittwoch nach Paris und Warschau führt, muss er sein Engagement für die vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron vorangetriebene europäische Souveränität und die vom polnischen Premierminister Donald Tusk vorgelebte Wiederaufrüstung signalisieren. Europa wartet auf ihn.“

Auch auf der Insel hat man kritisch auf die Merz-Wahl geblickt. „The Guardian“ ordnet ein: „Ein politisches System, das auf Stabilität angelegt war, ist in ein unberechenbares neues Zeitalter eingetreten. Merz“ innenpolitische Kämpfe werden durch den Sturm, der über den Atlantik weht, noch zusätzlich erschwert. Die Trump-Administration stachelt die AfD ganz offen an und untergräbt damit die Bundesregierung. US-Zölle bedrohen eine angeschlagene Wirtschaft. Europa droht zudem die Aufkündigung der US-Sicherheitsgarantie.

„Schock von Dienstag zwingt Kanzler zur Neujustierung“: Auf der Insel sind sie auf Kanzler Merz gespannt

„Dieser Kontext sorgte dafür, dass die schließlich doch erfolgte Vereidigung von Friedrich Merz auch anderswo in Europa mit deutlicher Erleichterung aufgenommen wurde“, schreibt „The Guardian“ weiter: „Im besten Fall zwingt der Schock vom Dienstag sowohl den neuen Kanzler als auch die Mitglieder seiner Koalition zu einer Neujustierung. Die Überwindung von Unzufriedenheit erfordert von Merz Einfühlungsvermögen, Feingefühl und Geschick, die er erst noch aufbringen muss.“

Auch in den Nachbarländern von NRW, wo Merz aufgewachsen ist, gibt es Stimmen aus den Niederlanden und Belgien. Zur Wahl des Bundeskanzlers heißt es am Mittwoch in der niederländischen Zeitung „de Volkskrant“: „Nachdem Dissidenten in den Koalitionsparteien ihn gedemütigt hatten, schlossen sich die Reihen in CDU und SPD im zweiten Wahlgang dann doch noch. (...) Die Entschlossenheit, die Merz und die von ihm angestrebte Regierung ausstrahlen wollen, hat einen Dämpfer erhalten. Zwar hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Merz schließlich zum Bundeskanzler ernannt, doch er tritt das Amt nun mit einem Makel in seiner Vita an. (...)“

„Gefahr eines Aufstandes schwebt wie ein Damoklesschwert über Merz“: Kanzler-Aufgaben immens

„De Tijd“ meint: „Die Gefahr eines Aufstandes in der Koalition schwebt wie ein Damoklesschwert über Merz und droht, die Arbeit der Regierung erheblich zu erschweren. Merz steht vor großen Herausforderungen, denn er muss auch den Vormarsch der Rechtsextremisten stoppen. Die AfD ist bei den Wahlen im Februar auf den zweiten Platz geklettert und lag in den letzten Umfragen teils gleichauf mit der CDU/CSU. Nicht zufällig forderte die AfD-Vorsitzende Alice Weidel am Dienstag Neuwahlen. Wenn Merz nicht schnell überzeugen kann, droht eine reale politische Lähmung.“

Dann führt „de Volkskrant“ wieder aus: „Deutsche Medien berichten unter Berufung auf Quellen in der CDU, dass es in der Partei eine schockierte Reaktion auf den Verlauf des ersten Wahlgangs gegeben habe. Selbst bei den Oppositionsfraktionen, die alle gegen Merz gestimmt haben, war die Überraschung groß. Die Stabilität der neu gebildeten Koalition wird infrage gestellt“, und „De Tijd“ fügt an: „Was in Berlin passiert, ist nicht nur eine deutsche Angelegenheit. Das Land bleibt die Lokomotive der europäischen Wirtschaft, auch wenn diese in letzter Zeit stottert. Deutschland wird in dieser Ära des geopolitischen Chaos auch gebraucht, um ein starkes Europa zu ermöglichen, das seinen Platz in der Weltordnung behauptet und verteidigt. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass Merz nach seinem Fehlstart schnell das richtige Tempo findet.“

Macron-Land vor Merz-Besuch: „Deutschland wird immer mehr zu einem Frankreich“

Auch der große Nachbar Frankreich hat seine Meinung zum Merz-Chaos. Die französische Zeitung „Les Échos“ am Mittwoch: „Deutschland wird immer mehr zu einem Frankreich wie alle anderen. Bundeskanzler Merz hatte es schwer, am Dienstag gewählt zu werden, unser Nachbarland ist nun bereit, mehr auszugeben, und seine Wirtschaft ist schwach... Es sind zwei Länder auf dem Drahtseil, deren Führer zuerst das deutsch-französische Tandem und dann Europa wiederbeleben müssen. (...)“, und führt aus: „Die politische Linie, die Friedrich Merz bislang vertreten hat, verspricht eine gute Übereinstimmung mit Emmanuel Macron. Obwohl es immer lange gedauert hat, bis sich ein deutsch-französisches Paar gebildet hat (...), ist dies zwischen dem derzeitigen französischen Präsidenten und Olaf Scholz nie gelungen. Der menschliche Teig zählt. Diesmal werden die Übereinstimmungen (und Meinungsverschiedenheiten) klarer sein.“

Zur Wahl des CDU-Politikers Friedrich Merz zum neuen Bundeskanzler schreibt die konservative Zeitung „Lidove noviny“ aus Tschechien am Mittwoch in ihrer Onlineausgabe: „Gewöhnlich verbindet man Deutschland bei uns mit dem Begriff ‚Ordnung‘. Selbst diejenigen, die kein Deutsch sprechen, wissen, was dieses deutsche Wort bedeutet - und dass es die Deutschen mit ihrer Liebe zur Ordnung mitunter übertreiben. Doch das gehört mehr und mehr zur Vergangenheit. Denn an den Grenzen gilt seit zehn Jahren keine Ordnung mehr. (...) Auch bei der Bahn sucht man seit geraumer Zeit vergeblich nach Ordnung, obwohl sie einst damit synonym war. (...).“

Merz-Wahl zum Kanzler ein „symbolisches Schlamassel“ – „Leichtsinnig und schlecht vorbereitet“

Das tschechische Blatt führt weiter aus, dass die Niederlage Merz in der ersten Runde noch nachwirken wird: „Doch nun hat die Ordnung dort versagt, wo es niemand erwartet hätte. Der CDU-Politiker Friedrich Merz, Anführer einer breiten Koalition aus Konservativen und Sozialdemokraten, ist in der ersten Runde der Kanzler-Wahl gescheitert. Damit ist Merz nicht abgeschrieben. Bereits am Nachmittag siegte er in der zweiten Runde. Doch dieses symbolische Schlamassel gleich zu Beginn wirft mit Sicherheit einen Schatten auf ihn, seine Koalition und die neue Regierung in Deutschland.“

Die norwegische Boulevardzeitung „Verdens Gang“ (Oslo) kommentiert die Wahl von Bundeskanzler Friedrich Merz: „Es brauchte zwei Versuche: Das, was Friedrich Merz‘ großer Tag werden sollte, begann mit einer demütigenden Niederlage. Eine Mehrheit der Vertreter im Bundestag sagte zunächst überraschend Nein zum neuen Bundeskanzler. Erst im zweiten Anlauf wenige Stunden später erhielt Merz die nötige Mehrheit. Ein schlechterer Start für eine neue Regierung ist kaum vorstellbar“, und prognostiziert eine schwere Zeit: „Deutschland steht vor den größten politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen seit mehr als 30 Jahren. Kein neuer Kanzler hatte in jüngerer Zeit eine anspruchsvollere Ausgangslage als Merz. Wie schwierig es wird, zeigte die erste Abstimmung mit aller Deutlichkeit.“

Und auch die italienische „La Stampa“ begrüßt Bundeskanzler Merz zurück im Dienst: „Willkommen zurück in der Politik, Friedrich Merz. So viele Jahre außerhalb des Parlaments und in den Kreisen der Großfinanz haben sicherlich dazu beigetragen, seine Fähigkeiten und seinen Blick zu erweitern. Aber sie haben ihn sicherlich auch jener harten Konfrontation im Tiefflug entwöhnt, ohne Rücksicht auf Benchmarks und Aktien-Portfolios, bei der keineswegs sicher ist, dass Untergebene den Anweisungen der Chefs folgen. So aber geschah es.“, und bewertet den Auftritt: „Dass Merz sich im parlamentarischen Betrieb nicht wohlfühlt, war schon bei seinen ersten Auftritten klar - etwa als das Gesetz zur Begrenzung des Migrantenzustroms nach dem Tabubruch des Bündnisses mit der AfD abgelehnt wurde. Das war nicht nur ein Scheitern in der Gesetzgebung, sondern auch in der Politik. Damals wie heute überraschte, wie leichtsinnig und politisch schlecht vorbereitet die Abstimmung war.“ (ank mit Agenturmaterial von AFP und dpa)

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