Friedrich Merz will als künftiger Bundeskanzler ein Deutschland aufbauen, „auf das wir stolz sein können“. Doch seine Macht könnte sich als nutzlos erweisen.
Berlin - CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat große Visionen: „Europa und die Welt sollten wieder mit Bewunderung und nicht mit Fassungslosigkeit auf Deutschland schauen“, sagte Merz vor Monaten in einer Videobotschaft. Der Christdemokrat will seine Kraft nutzen, „um ein Deutschland aufzubauen, auf das wir wieder stolz sein können.“
Sein Problem: In dieser globalisierten und von Kriegen gebeutelten Welt könnte sich die politische Macht von Merz als nahezu nutzlos erweisen. Das prognostiziert das Portal Politico.
Vorgezogenen Neuwahlen: US-Medium prophezeit Merz nach möglichem Wahlsieg schwierige Amtszeit
Die Eurozone könnte vor einer enormen Wirtschaftskrise stehen – mitverursacht durch Frankreich und dem drohenden Regierungssturz. Auch Deutschlands Wirtschaft kennt bessere Zeiten. Hinzu kommen weitere Herausforderungen wie das Erstarken der europäischen Rechten, russische Sabotageaktionen und natürlich: der Ukraine-Krieg.
„Da Deutschlands Wirtschaftsmotor stottert und die Politik durch den Aufstieg radikaler Parteien zunehmend zersplittert ist, fehlt Berlin einfach die Kraft, Europa aus dem Morast zu führen“, schreiben die Politico-Analysten. Merz politischer Erfolg hänge in einzigartiger Weise von globalen Ereignissen ab, die sich der unmittelbaren Kontrolle eines jeden nationalen Politikers entziehen.
Über Jahrzehnte habe Deutschlands Stärke auf drei Stützen basiert: eine US-Verteidigungsgarantie, ein praktisch ungehinderter internationaler Handel und billige Energie aus Russland. Nun fehle Merz und der CDU eine umfassende Vision, „um diese überholten Säulen zu ersetzen.“
Merz will ins Kanzleramt einziehen – Trumps Rückkehr eine „existenzielle Bedrohung“ für Deutschland
Merz habe seine konservative Regierungsvision skizziert: gekürzte Sozialleistungen, weniger Asylbewerber, Bürokratie abbauen, stärkere Anreize für private Investitionen, ein höherer Stellenwert der Militärausgaben und eine Haushaltsdisziplin.
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CDU-Politiker hoffen, dass Merz‘ Konservatismus und sein unverblümter Stil ihn viel besser für den Umgang mit dem wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump positionieren werden, schreibt Politico. Trumps Rückkehr stelle für Deutschland eine „existenzielle Bedrohung“ dar.
In der Vergangenheit hatte Trump Nato-Staaten wie Deutschland für ihre zu geringen Verteidigungsausgaben kritisiert - allerdings taten dies auch frühere US-Präsidenten wie Barack Obama. In einer Debatte über den Ukraine-Krieg warf der CDU-Chef dem SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz zuletzt Panikmache vor.
Mögliche Trump-Zölle: Deutschen Exporteuren drohen enorme Einbußen
Trump drohte mehrfach, die militärische Hilfe für die Ukraine einzuschränken. Der ehemalige US-General Keith Kellogg soll für Trump den Ukraine-Krieg beenden. Auch deutsche Expertinnen und Experten warnen vor einer möglichen Konfrontation zwischen Russland und der Nato.
Zu diesen Sicherheitsrisiken droht Deutschland eine Verschärfung der wirtschaftlichen Krise. Trump könnte Zölle auf europäische Waren erheben – insbesondere auf deutsche Autos. Zuletzt hatte der Republikaner verkündet, dass er an seinem ersten Amtstag Waren aus Kanada und Mexiko mit Zöllen belegen wird.
Deutsche Exporteure müssen mit empfindlichen Einbußen auf dem US-Markt rechnen, schreibt auch das Münchener Ifo-Institut. Trumps Drohungen könnten in Deutschland einen wirtschaftlichen Schaden von 33 Milliarden Euro bedeuten. Deutsche Exporte in die USA könnten um circa 15 Prozent fallen. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich die USA weiter von einer offenen, globalen Zusammenarbeit entfernen“, warnte auch Lisandra Flach, Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft.
Merz will Deutschlands Interessen als Bundeskanzler selbstbewusster artikulieren
Laut den Politico-Analysten will Merz deutsche Interessen selbstbewusster vertreten. Merz habe angedeutet, amerikanische Waffen zu kaufen, um Trump zu gefallen. Zudem wäre ein freier Handel zwischen der EU und den USA sinnvoll, wenn beide ihre Abhängigkeiten von China reduzieren wollen.
„Lassen Sie uns lieber den transatlantischen Handel erleichtern, denn wir stehen vor der gemeinsamen Herausforderung, unsere wirtschaftlichen Abhängigkeiten von China zu verringern, insbesondere im Bereich der Rohstoffe und der kritischen Infrastruktur“, fasste CSU-Politiker Thomas Silberhorn die Argumente von Merz zusammen. „Damit uns das gelingt, müssen wir im transatlantischen Handel stärker werden und dürfen uns nicht gegenseitig schwächen.“
Wie stark ist Deutschland Trumps Entscheidungen ausgeliefert?
Dennoch bleibe Deutschland Trumps Entscheidungen ausgeliefert. Ob Trump tatsächlich von den Vorteilen des Freihandels überzeugt wird, scheint zurzeit eher unwahrscheinlich. Immer wieder verkündete der designierte US-Präsident, dass Zölle die Grundlage seiner Wirtschaftsagenda bilden werden.
Merz sagt, dass Deutschland trotz aller globalen Herausforderungen bestehen kann. „Wir müssen uns von einer schlafenden Mittelmacht wieder zu einer führenden Mittelmacht entwickeln“, sagte der mögliche künftige Bundeskanzler in einem Stern-Interview.
Nach der Bundestagswahl: Deutschlands Schicksal könnte stark von äußeren Faktoren abhängen
„In Deutschland haben wir unsere Interessen nie wirklich gut genug artikuliert und durchgesetzt, und das müssen wir ändern“, sagte Merz und weiter: „Die Amerikaner sind viel offensiver. Es sollte nicht so enden, dass nur eine Seite davon profitiert, sondern dass wir für beide Seiten gute Vereinbarungen treffen. Trump würde es einen Deal nennen.“
Die Politico-Analysten kommen zu dem Schluss: „Aber da die Welt wieder zur Rivalität der Großmächte zurückkehrt und Europa unter einer allgemeinen politischen und wirtschaftlichen Schwäche leidet, könnte das Schicksal Deutschlands als Mittelmacht weitgehend von Kräften außerhalb seiner Grenzen abhängen.“ (Jan Wendt)