Zwei Jahre Krieg gegen die Ukraine - Putin profitiert: Russland-Experte enthüllt russischen Propaganda-Code

 

Russland-Experte über Kriegspropaganda und einen russischen Code

Viele in Russland wissen nicht, was wahr und was erlogen ist. Wie sieht die Kriegspropaganda derzeit in Russland aus?

Libman: Die Kriegspropaganda kombiniert verschiedene Erzählungen, die zum Teil widersprüchlich sind, aber gerade deshalb unterschiedliche Gruppen erreichen. Es gibt einerseits nationalistische Narrative über Russland, das auf Bedrohungen seitens der Nato reagieren muss, starke Unterstützung im globalen Süden – oft „globale Mehrheit“ genannt – genießt und die Menschen von Donbass vor einem Genozid durch ein faschistisches Regime in Kiew schützt.

Es gibt andererseits jedoch auch Erzählungen, dass das Leben in Russland weitgehend normal ist und der Krieg – die „special military operation“ – etwas ist, was nur die „Professionals“ aus dem Militär und die Freiwilligen betreiben. Das soll also für die meisten Menschen keine direkten Auswirkungen haben.

Welche „Geschichte“ erzielt die stärkere Wirkung?

Libman: Die zweite Erzählung ist besonders wichtig, denn die russische Gesellschaft bleibt nach wie vor stark depolitisiert. Es gibt auch eine dritte Gruppe von Erzählungen - sie präsentieren keine kohärente Geschichte, sondern fokussieren sich eher darauf, Zweifel zu verbreiten, was und warum in der Ukraine passiert. Der russische Code dafür ist „Alles ist nie eindeutig“, was letztendlich auch Putin hilft - denn es entwertet die möglichen Gegenargumente der Opposition und des Westens als lediglich eine mögliche Geschichte.

Krieg wird nur durch Verhandlungen beendet, in denen Ukraine Zugeständnisse machen wird

Gibt es Anzeichen oder Hoffnungsschimmer, dass Russland freiwillig den Krieg beenden könnte? In welcher Form auch immer ...

Libman: Das hängt davon ab, wie man genau den Kriegsbeendigung definiert. Ein Szenario, in dem Russland freiwillig seine Truppen zurückzieht - sogar auf die Trennungslinien von Februar 2022, geschweige denn von den international anerkannten Grenzen der Ukraine - sehe ich nicht. Wenn der Krieg beendet wird, dann nur durch Verhandlungen, in denen leider nicht nur Russland, sondern auch die Ukraine Zugeständnisse machen wird.

Ist so etwas wie Kriegsmüdigkeit bei den Russen zu erkennen?

Libman: Ganz eindeutig! Der Krieg war eigentlich in Russland nie wirklich populär. Die Gruppe der Bevölkerung, die den Krieg wirklich unterstützt, ist sehr klein. Die meisten betrachten den Krieg als eine Art Naturkatastrophe: Es ist aus irgendwelchen Gründen passiert, ist schrecklich, dagegen kann man jedoch nichts machen, außer vielleicht „unseren Jungs“ an der Front zu helfen. Die russische Gesellschaft wird ein Kriegsende - aber keine komplette Kapitulation Russlands - sofort begrüßen. Sie toleriert aber auch den langen Krieg, was Putin ausnutzt.

Was muss aus Ihrer Sicht jetzt passieren, damit der Krieg beendet wird oder ein Ende in Sicht ist?

Libman: Es ist eine schwierige Frage. Man kann von externen Schocks reden, zum Beispiel dem Tod von Putin, die die Verhandlungsbereitschaft Russlands erhöhen. Angesichts der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Situation in Russland sehe ich jedoch kein Szenario, in dem die Ukraine den Krieg bedingungslos gewinnt - aber auch kein Szenario, in dem Putin alle seine Ziele erreicht, die er sich vor 2022 gesetzt hat.

Was heißt das für dieses Jahr?

Libman: Es ist ein Abnutzungskrieg, der noch lange dauern wird, bis die Parteien bereit sind, - wahrscheinlich sehr schwierige - Verhandlungen zu führen. Wann genau das passieren wird, kann man nicht vorhersagen.