Litauen befürchtet: Russland übt in der Ukraine auch den Angriff auf Nato-Staaten
Trotz Verluste im Ukraine-Krieg ist Putins Ausgangslage gut – sogar besser als vorher, so ein Verteidigungsexperte. Und der Kreml könnte noch woanders angreifen.
Moskau - Viele Ressourcen verbraucht und hohe Verluste eingefahren: Eigentlich müsste Russland nach zwei Jahren im Krieg gegen die Ukraine geschwächt sein. Doch das ist ein Irrtum, wie ein europäischer Verteidigungsbeamter die Lage nun beurteilt. Denn Kreml-Chef Wladimir Putin soll jetzt über eine noch größere Streitmacht verfügen, besitze mehr Kriegserfahrung und sei dabei, seine Fehler zu korrigieren, heißt es in einem Interview mit einem Verteidigungsbeamten, das Business Insider geführt hat.
Dessen Sorge: Die gesammelten Erfahrungen könne Putin nutzen, um ein anderes Ziel anzugreifen: die Nato. Für diesen Plan wäre ein nahegelegenes Ziel die direkten Nato-Nachbarstaaten Litauen, Lettland und Estland.
Litauen unterschätzt Putin nicht: Russland erholt sich schnell von Verlusten
Als Experte befragte Business Insider den Direktor des litauischen Verteidigungsministeriums, Vaidotas Urbelis. Im Interview erklärte er, sein Land müsse auf das „Worst-Case-Szenario“, also einen russischen Angriff, vorbereitet sein. Urbelis sagte weiter, dass Russland trotz seiner Rückschläge offenbar besser auf einen künftigen Angriff vorbereitet sei als auf den Angriff auf die Ukraine. „Jetzt haben sie Erfahrung im Führen eines großen Krieges, die man als ein Teil von Planung berücksichtigen sollte“, so Urbelis weiter.
Der Experte fügte hinzu: „Wenn man nur die bloßen Zahlen betrachtet, hat Russland jetzt mehr Leute in den Streitkräften als vor der Invasion.“ Man könne auch davon ausgehen, dass Russland trotz der Verluste an Ausrüstung in der Lage sei, „sich ziemlich schnell wieder zu erholen“.
Nato schließt Angriff nicht aus und probt für Ernstfall: Manöver „Steadfast Defender“ läuft
Dass Putin das Verteidigungsbündnis angreifen könnte, ist dabei keine Einzelmeinung. Mittlerweile schließt auch Deutschland einen Angriff Russlands auf die Nato nicht mehr aus. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte Anfang dieses Jahres, dass Russland innerhalb der nächsten fünf bis acht Jahre ein Nato-Land angreifen könnte. „Wir hören fast jeden Tag Drohungen aus dem Kreml“, sagte er.
Die Nato hat die Gefahr, die von Putin ausgeht, ebenfalls erkannt. Aktuell läuft das Nato-Manöver „Steadfast Defender“ (Standhafter Verteidiger). Dieses soll bis Ende Mai dauern. An der Großübung nehmen 90.000 Soldaten aus allen 31 Bündnisländern teil, darunter auch der Beitrittsanwärter Schweden. Nach Nato-Angaben soll der Ernstfall eines russischen Angriffs auf das Bündnisgebiet geprobt werden, berichtet die Deutsche Presse-Agentur.
Sollte Putin wirklich ein Mitglied der Nato angreifen, würde die Mitgliedschaft in dem Verteidigungsbündnis bedeutet, dass es im Falle eines Angriffs auf die militärische Stärke aller Mitgliedsstaaten zurückgreifen kann. Urbelis sagte jedoch, Litauen müsse darauf vorbereitet sein, schnell zu reagieren, anstatt darauf zu warten, dass die Nato-Maschinerie in Gang komme. Litauen müsse „jeden Moment zum Kampf bereit sein“, sagte er.
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Kreml beteuert Nato-Angriff: Estland vertraut Putins-Versprechen nicht
Auch die anderen baltischen Staaten Estland und Lettland bereiten sich für den Ernstfall vor. Putin beteuert hingegen, nicht die Absicht für einen Angriff zu haben. Der russische Präsident sagte jüngst in einem Gespräch mit US-Moderator Tucker Carlson, dass ein Einmarsch Russlands in die Nato-Staaten Polen und Lettland „absolut ausgeschlossen“ sei. Einzige Ausnahme: Wenn die Nato-Länder Russland angreifen würden.
Estland und Lettland bauen trotz der Putin-Schwüre weiter an einer Verteidigungslinie an ihren Grenzen zu Russland. „Wir werden unsere Pläne nicht ändern, nur weil Putin einem Journalisten ein Interview gegeben hat“, sagte Estlands Verteidigungsminister Hanno Pevkur der dpa in Tapa Anfang Februar. „Glauben Sie Wladimir Putin, nachdem, was er in all den Jahren gesagt hat und wie er sich verhält?“, fragt Pevkur.
Pevkur mahnte, den beschwichtigenden Äußerungen Putins keinen Glauben zu schenken. Wenige Tage vor dem Einmarsch in die Ukraine habe der Kreml einen Angriff auf das Nachbarland ebenfalls kategorisch ausgeschlossen. „Wir erhöhen gerade unsere Bereitschaft. Und das ist es, was alle tun müssen. Nicht nur hier in Estland, sondern alle anderen auch“, betonte er. (bg/dpa)