War der Westen zu lasch gegenüber Putin? „Der Krieg wäre vorbei“

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Ein vollständiges Energie-Embargo gegen Russland hätte laut Experten den Ukraine-Krieg beendet. Doch die Folgen für den Westen wären enorm gewesen.

Moskau – Die zunehmenden westlichen Sanktionen bringen Wladimir Putin immer mehr in Bedrängnis. So scheint es, dass der russische Herrscher Schwierigkeiten hat, die enormen Gasreserven, die sein Land täglich fördert, loszuwerden. Gazprom, der russische Gasgigant, hat kürzlich große Verluste gemeldet - die ersten seit 1999. Experten schätzen, dass es Jahre dauern wird, bis das Unternehmen die verlorenen Gasverkäufe wieder aufholen kann. Ein Fachmann äußert Kritik an der westlichen Handhabung der Sanktionen.

„Krieg wäre vorbei“ – nach Sanktionsschock durch Voll-Embargo

Robin Brooks, Finanz- und Sanktionsexperte vom Brookings Institute in Washington, ist der Ansicht, dass der Westen bei der Verhängung von Sanktionen gegen Russland gravierende Fehler begangen hat, die den Krieg unnötig in die Länge gezogen haben. Der Westen hätte, so Brooks, ein vollständiges Energieembargo gegen Russland verhängen sollen. „Mit einem Voll-Embargo hätten wir einen Ölpreis-Deckel von null Dollar“, erklärte der Experte gegenüber der WirtschaftsWoche. „Russland exportiert vor allem eine Ware – Erdöl. Deshalb wäre deren Leistungsbilanz kollabiert.“ Laut Brooks hätte auch die russische Währung kollabiert, die Inflation wäre stark gestiegen und Putin hätte deutlich weniger Steuereinnahmen erzielt.

Russlands Präsident Wladimir Putin während einer Zeremonie im Katharinensaal des Moskauer Kremls. (Archivfoto)
Russlands Präsident Wladimir Putin während einer Zeremonie im Katharinensaal des Moskauer Kremls (Symbolfoto). Ein vollständiges Energie-Embargo gegen Russland hätte laut Experten den Krieg beendet. Doch die Folgen für den Westen wären enorm gewesen. © Valery Sharifulin/Imago

Dies hätte jedoch den Westen, insbesondere Deutschland, in einem unvorhersehbaren Ausmaß getroffen. Brooks hätte dies jedoch in Kauf genommen: „Natürlich wäre es zum Schock gekommen, wenn die Ölpreise plötzlich steigen“, so Brooks. Nun müsse man jedoch abwägen - rückblickend betrachtet, ob ein einmaliger, plötzlicher Schock der Wirtschaft weniger geschadet hätte als die langwierige Entwicklung, die Deutschland seit 2022 durchlebt. „Wäre die Schock-Therapie nicht besser gewesen?“, fragte Brooks im Interview. „Und der Krieg wäre vorbei.

Russland braucht sein Öl – Westliche Sanktionen können umgangen werden

Ohne die Einnahmen aus dem Erdölverkauf würde tatsächlich ein großer Teil der russischen Exporteinnahmen wegfallen. Laut Daten der World Integrated Trade Solution der Weltbank machten Erdöl und aus Bitumen gewonnene Öle 2021 den größten Anteil der russischen Exporte aus, gefolgt von Erdölprodukten (ohne Rohöl). Erdgas und Flüssigerdgas belegten den fünften Platz der wichtigsten Exportgüter.

Die westlichen Industrienationen haben zumindest versucht, Putins Gewinne durch einen Ölpreisdeckel zu begrenzen. Die G7-Staaten haben festgelegt, dass Russland pro Barrel Rohöl nicht mehr als 60 US-Dollar erhalten darf. Jedes westliche Unternehmen, das am Transport von russischem Öl beteiligt ist, muss eine Bescheinigung vorweisen, dass der Kaufpreis diese Grenze nicht überschreitet. Wenn dies nicht der Fall ist, dürfen die Unternehmen ihre Dienste nicht anbieten.

Laut Bloomberg haben im April 2024 noch nicht genug Länder diese Maßnahme unterstützt. Putin hat daraufhin versucht, über eine Schattenflotte Öl zu verkaufen und dafür auch höhere Transportpreise in Kauf genommen.

Experte fordert „Entscheidung von oben“ – für ein völliges Exportverbot

Diese Art von Täuschung beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Ölverkauf. So hat Russland beispielsweise deutsche Waffen erworben, indem es sie über Drittländer umgeleitet und beispielsweise aus Kasachstan bezogen hat. Ein weiteres Beispiel sind die Autoimporte. „Es ist irrsinnig, wenn die deutschen Auto-Transporte nach Kirgistan um 5.000 Prozent nach oben schnellen“, kritisierte Brooks. Es sei offensichtlich, dass diese Waren eigentlich für Russland bestimmt seien.

Deutschland sollte hier strenger vorgehen, nach dem Vorbild der USA. „Was also fehlt, ist eine Entscheidung von oben, die die Exporte verbietet.“

Bis dahin wirken die westlichen Sanktionen eher träge. Bereits im Frühjahr wurde bekannt, dass Putin den russischen Wohlstandsfonds stark anzapfen musste, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Experten sehen bereits eine „Frühstufe des wirtschaftlichen Rückgangs“, in die Russland eingetreten sein soll. „Russland vertuscht gerade einen Prozess des signifikanten wirtschaftlichen Verfalls, der sich weit bis in die Zukunft fortsetzen wird“, so Mark Sobel vom Official Monetary and Financial Institutions Forum in einer Unternehmensmitteilung. Langfristig soll dies zu einer „weiteren Marginalisierung“ des globalen Einflusses Russlands führen.

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