„Flop-Turbo“ statt „Job-Turbo“? Bürgergeld immer heftiger in Kritik
Arbeitsminister Heils „Job-Turbo“ steht unter Beschuss: Die CDU will das Bürgergeld abschaffen und die Jobcenter warnen vor „umgekehrter Diskriminierung“.
Berlin – Einen „Job-Turbo“ für die ukrainischen und anderen Geflüchteten hatte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor etwa sieben Monaten vollmundig angekündigt. Erst im April hatte Heil dann wieder bei einem Besuch eines Friseursalons mit unter anderem einer beschäftigten Ukrainerin bekräftigt: „Der „Job-Turbo“ läuft auf Hochtouren.“ Doch in den ersten fünf Monaten dieses Jahres ist die Zahl er Bürgergeld-Empfänger gestiegen, nicht gesunken.
CDU-Politikerin Connemann: „Job-Turbo“ war nur „heiße Luft“
Nun gibt es heftige Kritik – beispielsweise der Union, die sowieso vorhat, das Bürgergeld im Falle eines Wahlsieges 2025 abzuschaffen. Der „Job-Turbo“ sei nur heiße Luft geblieben, sagt die CDU-Politikerin und Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Gitta Connemann, gegenüber der Welt: „Statt Job-Turbo gibt es einen Flop-Turbo.“
Das würden die Zahlen zeigen, so Connemann. Seit Einführung des Bürgergeldes seien 200.000 Menschen zusätzlich ins Bürgergeld gekommen, „zeitgleich haben wir 1,6 Millionen offene Stellen“. Sie erklärt: „Da stimmt etwas vorne und hinten nicht. Die Integration in den Arbeitsmarkt findet nicht statt. Es fehlen am Ende die Sanktionen, die erforderlich wären.“
Die CDU-Politikerin sprach sich deshalb weiter dafür aus, das Bürgergeld bei einem Wahlsieg abzuschaffen und durch eine neue Grundsicherung zu ersetzen. „Wenn jemand arbeiten kann, dann muss er das“ – sonst würden die Leistungen gekürzt. „Wenn er aber arbeiten will, es aber ein Vermittlungshemmnis gibt, dann müssen wir mehr tun, auch als Agentur für Arbeit“, erklärt Connemann der Welt.
Jobcenter: „Nervös herbeigeführter „schöner“ Datensatz“ kann keine Arbeitsmarktintegration ersetzen
Doch Kritik kommt nicht nur aus der Opposition – auch die Jobcenter beklagen sich. In einem Brief an Heil, die Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, und Landkreistag-Präsident Reinhard Sager kritisieren die Personalräte der Jobcenter unter anderem, dass die Einrichtungen auf Erfolg getrimmte Daten anlegen müssten und Integration so sogar noch behindert werde. Der Brief lag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin vor, zunächst hatte der Spiegel darüber berichtet.
Die Personalräte schreiben an Heil, Sager und Nahles, ein „nervös herbeigeführter „schöner“ Datensatz“ könne keine nachhaltige Sozial- und Arbeitsmarktintegration ersetzen. Heute gebe es irrationales „Schönmalen“ bei der Dokumentation der Fälle. Weiter kritisieren die Jobcenter-Personalräte einen Bruch mit der sonst üblichen Herangehensweise, dass Betroffene auf Augenhöhe beraten und eher weiterqualifiziert als in Helferjobs vermittelt werden. Dies bei den Ukrainerinnen und Ukrainern und bestimmten weiteren Flüchtlingen nun anders zu machen, sei gesetzlich fragwürdig und den Betroffenen schwer vermittelbar. Fraglich sei, ob der Bruch beim Vorgehen zielführend sei. „Schließlich haben wir in erster Linie einen Fachkräftemangel und keinen Helfertätigkeitsmangel.“
Auch Ungleichbehandlung bei den Arbeitslosen kritisieren die Personalräte: „Spätestens, wenn der irrationale zentrale Druck aber dazu führt, dass (...) vor Ort Maßnahmen nur noch für Leistungsberechtigte der neun Hauptherkunftsländer konzipiert (...) werden, bewegen wir uns im Bereich der „umgekehrten Diskriminierung“ (...).“
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Die Personalräte verlangen für die Jobcenter-Beschäftigten: „Lassen Sie diese Ihre wohlverstandene Arbeit ohne (...) Störfeuer tun.“ Sie mahnen: „Abgesehen von eventuellen Leuchtturm-Projekten und Hochglanz-Einzelfällen werden Bürgergeldberechtigte weder aus Berlin noch aus Nürnberg in den Arbeitsmarkt integriert.“ Doch die Jobcenter müssten mit dem Job-Turbo zu den ohnehin anfallenden, vielen Falldokumentationen und Statistiken weitere bürokratische Aufgaben erledigen: Allein elf weitere Auswertungen gebe es mit dem Instrument.
Kritik an Bürgergeld-Zugang für ukrainische Geflüchtete
Es gibt auch Kritik daran, dass die ukrainischen Geflüchteten in Deutschland zügig ins Bürgergeld wechseln konnten, statt Asylbewerberleistungen zu erhalten. Wenn man nur nach dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit gehe, hätte die Anwendung der sogenannten Massenzustrom-Richtlinie für eine isolierte Gruppe von Flüchtlingen vermutlich nicht erfolgen dürfen, heißt es in dem Brief der Personalräte.
Auf Basis dieser EU-Richtlinie zur Aufnahme von Flüchtlingen im Fall eines Massenzustroms – wie etwa nach Russlands Überfall auf die Ukraine – hatte Deutschland Bürgergeld statt Asylbewerberleistungen für die geflüchteten Ukrainer ermöglicht. Der Vorgang sei angesichts überforderter Kommunen „politisch-pragmatisch wohl unumgänglich“, heißt es in dem Schreiben weiter.
Ein Ende des schnellen Bürgergeld-Bezugs für neue ukrainische Geflüchtete forderte der Deutsche Landkreistag. Das sofortige Bürgergeld sorge für eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu anderen Gruppen von Geflüchteten. Im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes gelinge unter anderem auch die Unterbringung leichter, wie ein Sprecher der dpa in Berlin sagte. Mit Material der dpa