Nach Belgorod-Verlusten: Russische Blogger wütend auf Putin – „So gewinnen wir nie“

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Ein Betonbunker in der russischen Grenzstadt Belgorod macht den Ukraine-Krieg auch in Russland sichtbar. © IMAGO/Pavel Kolyadin/ ITAR-TASS

Moskau spricht nicht von Krieg. Doch wegen massiver Angriffe werden Menschen in den russischen Grenzregionen nun evakuiert. Kritik kommt aus den eigenen Reihen.

Moskau – Putins Krieg kommt zunehmend in den russischen Grenzregionen an. Zuletzt drangen erneut russische Freiwilligencorps, die für die Ukraine kämpfen, über die Grenze in die Region Belgorod ein. Unter russischen Militärbloggern wird Kritik laut: Es gebe eine Kluft zwischen den Behauptungen Moskaus und der Realität in Russland.

Ukraine-Krieg: Angriffe pro-ukrainischer Partisanengruppen in Russland

Im Ukraine-Krieg gab es schon 2022 vereinzelt Angriffe auf die russische Grenzregion Belgorod. Im vergangenen Jahr häufte sich der Beschuss der Oblast. Zudem hatten die damaligen Partisanenangriffe Russland nach Angaben der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) „überrascht“. Während der russischen Präsidentschaftswahl 2024 verstärkte die Ukraine ihre Angriffe auf die russische Grenzregion Ende vergangener Woche wieder. Erneut starteten auch pro-ukrainische Einheiten aus russischen Kämpfern Angriffe auf russisches Grenzgebiet.

Putin gab am Montag zu, dass die grenzüberschreitenden Angriffe weitergingen. Die Idee der Einrichtung einer entmilitarisierten „Sanitätszone“ in den von der Ukraine kontrollierten Gebieten entlang der ukrainisch-russischen Grenze schließe er aufgrund der „tragischen Ereignisse“ nicht aus, so der russische Präsident weiter. Kremlsprecher Dmitri Peskow führte gegenüber der Nachrichtenagentur Tass aus, dass es sich dabei um die Schaffung eines Korridors, einer Art Pufferzone, handeln solle, „sodass alle Mittel, mit denen der Feind zuschlagen könnte, außerhalb der Reichweite liegen.“

Militärblogger kritisieren Verlauf der Pufferzone: „So werden wir nie gewinnen“

Russische Militärblogger zeigten sich angesichts dieser Entwicklungen wütend. „Was ist mit der Sanitärzone, über die Wladimir Putin neulich sprach?“ Man sei sich einig gewesen, „dass die Grenze dieser Zone am besten entlang der Westgrenze der Ukraine verlaufen sollte“, schrieb der Rechtsextremist Igor Skurlatow. „Aber nein. Gouverneur Wjatscheslaw Gladkow entschied, dass sie durch Belgorod verlaufen würde. Interessante Wende. So werden wir nie gewinnen!“

Putins Erzählung von der entmilitarisierten Zone sei subtiler als Medwedews direkter Aufruf zur totalen Vernichtung des ukrainischen Staates, aber immer noch deckungsgleich mit den Zielen, die Medwedew in seinem Sieben-Punkte-„Friedensplan“ genannt hatte, analysiert das ISW. Womöglich könnte Putins seine Strategie geändert haben, mutmaßten indes russische Quellen. Die „Sanitärzone“ könnte womöglich auf weitere Regionen ausgeweitet werden. Zwar wolle die russische Armee demnach weiterhin ihre Kontrolle über ukrainische Gebiete ausdehnen. „Gleichzeitig werden diese Gebiete selbst nicht Teil Russlands sein und von der lokalen prorussischen Regierung regiert.“

Eskalation an der Grenze: Militärblogger erkennen Diskrepanzen in der Darstellung der Ereignisse

Der Regionalgouverneur von Belgorod, Wjatscheslaw Gladkow, sprach zuletzt von „massivem Beschuss“ mit Toten und Verletzten. In mehreren Ortschaften im Grenzgebiet sollen nun Kontrollpunkte eingerichtet werden und Schulen vorübergehend geschlossen werden. Zudem kündigte Gladkow die Evakuierung von rund 9000 Kindern aus der Region an. Schon im vergangenen Jahr hatte es Evakuierungen in der Region Belgorod gegeben. Am Mittwoch behauptete das russische Verteidigungsministerium, dass die Intensität der Angriffe auf Belgorod und Kursk abnehme. Man habe die russischen Freiwilligencorps vollständig aus Kozinka verdrängt, hieß es.

Doch die Wahrheit sieht aus Sicht von russischen Militärbloggern anders aus: „In der Realität gehen die feindlichen Angriffe nicht nur weiter, sondern zwingen uns sogar dazu, Menschen aus Grenzregionen ins Landesinnere zu evakuieren“, schrieb der Blogger Pyatiletka. „Eine solche Diskrepanz zwischen den vom Staatschef skizzierten Ansätzen […] und den Realitäten in einigen Gebieten des ‚alten‘ Russlands, vor allem im Zusammenhang mit der ersten aufgezeichneten Massenevakuierung der Bevölkerung von dort, hat in unserer patriotischen Gemeinschaft berechtigte Empörung hervorgerufen.“

Hinweise auf anhaltende Bedrohung? Russisches Verteidigungsministerium ändert Lagebericht

Auch der russische Politologe Michail Winogradow wies auf Widersprüche hin: „Es gibt einen gewissen Kontrast zwischen den Nachrichten über die ‚angemessene Vernichtung‘ des Feindes bei der Annäherung an die Grenze und den Einreisebeschränkungen […].“ Der Ultranationalist Skurlatow äußerte die Hoffnung, „dass die Evakuierung der Bewohner von Belgorod eine vorübergehende Maßnahme sein wird“.

Doch Indizien weisen auf etwas anderes hin: Das russische Verteidigungsministerium hatte in seinem täglichen Lagebericht unlängst einen Abschnitt hinzugefügt, in dem die „Richtung Belgorod“ beschrieben wird. Das deute darauf hin, dass man im Ministerium besorgt sei, wie lange diese grenzüberschreitenden Angriffe noch andauern werden, so die Analyse des ISW. (bme)

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