Trotz hoher Verluste: Experten sehen Putins Truppen um Bachmut am Drücker

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Verluste ohne Ende: Ein zerstörter russischer T-72-Panzer in der Ukraine. Der Turm wurde offenbar durch eine Explosion weggesprengt. Die russischen Truppen kämpfen trotzdem verbissen. © IMAGO / Panthermedia

Der Clip erinnert an ein Video-Game: Umspielt von harten Techno-Beats fliegt auf Telegram ein Russen-Panzer in die Luft. Das soll der Ukraine Mut machen.

Bachmut – Carlo Masala äußert sich inzwischen vorsichtiger zum Verlauf des Ukraine-Krieges. Er sieht einen Wendepunkt heraufziehen oder zumindest das „Momentum“ des ukrainischen Angriffsschwunges gegen die Truppen von Wladimir Putin verblassen: „Russland hat auf Kriegswirtschaft umgestellt und fertig im großen Stil Panzer und Munition. Es ist in der Lage, jede Menge Material an die Front zu werfen. Das lässt zwar qualitativ zu wünschen übrig. Aber die alte russische Strategie besteht darin, dass Quantität mit der Zeit eine Qualität an sich wird“, schreibt der Politikwissenschaftler im Hamburger Abendblatt.

Vor dem Hintergrund des inzwischen lauter werdenden Zweifels am Ausgang der Materialschlacht zwischen Russland und der Ukraine berichtet Newsweek über einen Clip auf dem Social Media-Kanal Telegram, der aussieht, als stammte er aus dem Panzer-Shooter „World of Tanks“: Eine ukrainische Drohne killt einen russischen T-72B2-Panzer. Geschehen sein soll das rund um die umkämpfte Stadt Bachmut. Allerdings berichtet auch Newsweek vorsichtig: „In einem Clip, den Yuriy Fedorenko, der Kommandeur der ukrainischen Drohnenkompanie Achilles innerhalb der 92. Angriffsbrigade des Landes, geteilt hat, schießt eine First-Person-View-Drohne (FPV) direkt auf etwas zu, das wie ein russischer T-72B2-Panzer aussieht. Der Feed wird dann unterbrochen, wenn die Drohne auf den Panzer trifft, bevor das Video zu einem Moment schneidet, der scheinbar die schwelenden Überreste des Fahrzeugs zeigt.“

Immerhin ist das Szenario realistisch – selbst die immer wieder als Gamechanger apostrophierten westlichen Panzer sehen gegen die Bedrohungen aus dem Baumarkt alt aus, wie Ralf Ketzel, der Geschäftsführer des Leopard-Produzenten Krauss-Maffai Wegmann, gegenüber dem Magazin cpmDefenseNetwork klarstellt: „Wir müssen uns intensiv mit dem Thema Drohnen beschäftigen. So müssen wir uns zum Beispiel fragen, wie Drohnen tatsächlich bekämpft werden sollen. Schließlich reden wir bei der Bedrohung von billigen Massenprodukten. Es wird also zusätzliche Lösungen geben müssen, die ich allerdings nur bedingt auf dem Leopard sehe, eher auf anderen geschützten Kettenfahrzeugen. Wir müssen uns meiner Ansicht nach von der Vorstellung lösen, dass man alle Aufgaben in einem System realisieren könnte. Der Leopard bringt die Durchschlagskraft mit, der Puma – oder ein anderes Fahrzeug – den Schutz vor Drohnen.“

Video: Futter für Durchhaltewillen und Kampfgeist der Ukraine

Wenn das für High-Tech-Waffen wie den Leopard oder eine kettenrasselnde Festung wie den amerikanischen Abrams M1 gelten sollte, dann wohl ähnlich für einen russischen Panzer gleich welchen Typs. Allerdings ist das ein möglicher Fehlschluss, der Zweifel am Ausgang des Ukraine-Krieges förmlich aufdrängt: Der russischen Führung ist der einzelne Panzer völlig egal, ebenso steht sie der Zahl verlorener Panzerfahrzeuge gleichgültig gegenüber – Carlo Masalas Aussage, nach der Quantität die russische Qualität bedeutet, wird gestützt beispielsweise auch vom Militärhistoriker Ralf Raths, dem Direktor des Deutschen Panzermuseums in Munster: Ihm zufolge zählt die russische Führung in der Landkriegsführung immer auf die Leistung des Verbands, nie auf den Wert des einzelnen Fahrzeugs.

Insofern relativiert sich die Aussage von Mychajlo Fedorow, dem ukrainischen Minister für digitale Transformation, gegenüber Newsweek: „Die Russen verlieren an einem Abend Ausrüstung im Wert von mehr als sieben Millionen US-Dollar“, sagte er in einer Erklärung. Beobachter, Wissenschaftler, Journalisten bringt die Veröffentlichung einer solchen Behauptung in die Zwickmühle „zwischen Patriotismus und objektiver Berichterstattung“, wie die Tagesschau meint. „Solche Legenden entstehen in Kriegen, um Durchhaltewillen und Kampfgeist aufrecht zu erhalten.“ Dem diene auch das Übertreiben von Erfolgen und Verschweigen von Informationen zum Beispiel über eigene Verluste. 

Drohnen: Tödliches und günstiges Mittel selbst gegen Panzer

Letztendlich ist die Wahl der Waffen vor allem eine Kostenfrage – die Drohne ist so tödlich wie günstig. In diesem Winter werden beide Gegner ihre Drohnen allerdings auf Widerstandsfähigkeit testen müssen. Gleichzeitig ist der Bedarf an FPV-Drohnen für die Streitkräfte der Ukraine enorm hoch. Die Mindestanzahl der für eine Brigade – ungefähr 1.500 Soldaten – erforderlichen Drohnen beträgt 1.000 Einheiten, während die Einsatztrupps zehn bis 15 FPV-Drohnen pro Einsatztag nutzen können, rechnet das Magazin Defense Express vor. Ohnehin schickt sich die Ukraine an, weltweit führender Hersteller von Drohnen zu werden, sogar eine „Drohnenarmee“ aufzustellen, wie der stellvertretende ukrainische Ministerpräsident Mychajlo Fedorow angekündigt hat.

Gerade der jetzt einbrechende Winter bringt Hightech beziehungsweise FPV-Drohnen an ihre Grenzen – „First-Person-View“-Drohnen übermitteln dem Piloten via Bordkamera ein Bild auf sein Handy oder Tablet, der Bediener am Boden sitzt sozusagen virtuell im Cockpit. Defense Express zitiert als Drohnen-Experten, Mykola Wolochow, den Kommandeur der Terra-Luftaufklärungseinheit der 3. Angriffsbrigade der Ukraine: „FPV-Drohnen sind ein äußerst effektives, aber situatives Werkzeug. Wenn die Verteidigung beispielsweise ausschließlich auf dem Einsatz von FPV-Drohnen basiert, müssen die Besatzer nur auf einen ausreichend dichten Nebel warten, um die Verteidigungslinie mit gepanzerten Fahrzeugen zu zerstören.“ 

Bachmut: Die Stadt bleibt im Würgegriff von Wladimir Putins Truppen

Die zerstörte Stadt Bachmut steht seit Mai 2023 unter russischer Kontrolle, doch die Ukraine setzt ihre Bemühungen fort, die Kontrolle Moskaus über die Siedlung aufzubrechen. Russland behauptet, laut Newsweek, dass russische Truppen mit ihren T-72B3-Panzern rund um die nordostukrainische Stadt Kupjansk, „getarnte Stellungen zerstört“ und eine nicht näher bezeichnete Anzahl ukrainischer Soldaten getötet hätten – möglicherweise gehört einer der Panzer im ukrainischen Clip zu den beschriebenen russischen Einheiten.

„Die Ukraine ist in den letzten Jahren und insbesondere seit Beginn des Krieges zu einer Drohnenmacht geworden“, sagte Ulrike Franke, vom European Council on Foreign Relations gegenüber dem ZDF. Und sie ist sich ziemlich sicher: „Es ist wahrscheinlich, dass die Ukraine aus diesem Krieg als wichtiges Drohnenherstellerland hervorgehen wird.“ Allerdings sagt das wenig über den Ausgang des Krieges.

Immerhin ist Bachmut noch umkämpft, wobei verschiedene Medien bereits im März 2023, also ein Jahr nach Ausbruch des Krieges, berichtet hatten, dass die Stadt von russischen Truppen eingekesselt sei und insofern kurz vor dem Fall stünde. Laut aktuellen Informationen des Institute for the Study of War (ISW) hätten beide Parteien rund um Bachmut keine gewinnbringenden Bewegungen machen können: Ukrainische Streitkräfte führten Offensivoperationen in der Nähe von Bachmut durch, machten jedoch keine größeren Vorstöße, sondern lieferten sich mehr oder weniger heftige Scharmützel mit ukrainischen Truppen. Der ukrainische Generalstab berichtete aktuell, dass die ukrainischen Streitkräfte ihre Angriffsoperationen südlich von Bachmut fortsetzten. Das russische Verteidigungsministerium behauptete, dass ukrainische Streitkräfte in der Nähe von Klischtschijiwka – sieben Kilometer südwestlich von Bachmut – erfolglos in Richtung Bachmut angegriffen hätten.

Kriegswirtschaft: Experten raten der Nato zu mehr Anstrengungen

Immerhin behandeln viele Meldungen beider Kriegsparteien über die Lage rund um Bachmut russische Offensiven – ohne nennenswerte Erfolge der Ukraine dagegen erkennen zu können: Russische Milblogger behaupteten, dass russische Streitkräfte bis zum östlichen Stadtrand von Bohdanivka – sechs Kilometer nordwestlich von Bachmut –vorgedrungen seien; südlich des Stausees Berchiwka – ungefähr zwei Kilometer nordwestlich von Bachmut – und Khromowe – unmittelbar westlich von Bachmut – in den Höhen nördlich von Klishchiivka und in Richtung Ivanivske – sechs Kilometer westlich von Bachmut. Der ukrainische Generalstab berichtete gleichlautend, dass russische Streitkräfte in der Nähe von Bohdaniwka, Iwaniwske, Klischtschiwka und Andrijiwka – zehn Kilometer südwestlich von Bachmut – erfolglos angegriffen hätten.

Deutlich wird deshalb Oberst Markus Reisner, Offizier des österreichischen Bundesheeres, Historiker und Vorstandsmitglied des Clausewitz Netzwerks für Strategische Studien gegenüber der Tagesschau: „Ich glaube, die Lage ist sogar noch prekärer als im vergangen Jahr. Da war Russland lange in der Defensive. Die russische Seite hatte Angst, die besetzten Gebiete zu verlieren. Darum hat sie begonnen, sich einzugraben. Die Ukraine ist dann mit dem zur Verfügung stehenden Gerät in die Offensive gegangen und gescheitert. Nach diesem Abwehrerfolg hat sich die russische Stimmung ins Positive verändert. Und jetzt glauben die Russen sogar, dass sie die Ukrainer über die Zeit in die Knie zwingen können.“

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