Wegen hoher Verluste: Putin schickt ausgetauschte Kriegsgefangene wohl zurück an die Ukraine-Front
Nach der Rückkehr aus dem Ukraine-Krieg soll Putin russische Soldaten wieder in ihre Kampfeinheiten schicken. Laut Aktivisten ein Kriegsverbrechen.
Kiew/Moskau – Es ist eine erschreckende Vermutung und zugleich ein Verstoß gegen die Genfer Konventionen: Der russische Präsident Wladimir Putin könnte ausgetauschte Kriegsgefangene wieder an die Front im Ukraine-Krieg schicken. Soldaten, die im Rahmen des bislang größten Gefangenenaustauschs des Krieges Ende Mai zurück nach Russland gebracht wurden, sollen Berichten zufolge bereits in ihre Kampfeinheiten zurückgeschickt worden sein.
Wegen hoher Verluste: Putin schickt ausgetauschte Kriegsgefangene zurück an die Ukraine-Front
Wie die Aktivisten von „Get Lost“, einer Organisation, die russischen Männern hilft, der Wehrpflicht zu entgehen oder zu desertieren, gegenüber der Zeitung Novaya Gazeta Europe betonen, würde das gegen die Genfer Konventionen verstoßen. Denn eigentlich schreibt diese vor, dass gefangene Soldaten nach ihrer Zurückführung nicht gezwungen werden können, in den aktiven Militärdienst zurückzukehren.
Insbesondere nicht in einen Konflikt, aus dem sie erst kürzlich entlassen wurden. Ob Russland tatsächlich zurückgekehrte Soldaten erneut an die Front schickt, ist aber nicht offiziell bestätigt. Fakt ist aber, dass Moskau aufgrund hoher Verluste im Ukraine-Krieg kampferfahrene Soldaten gebrauchen könnte. Wie am Donnerstag (12. Juni) bekannt wurde, verlor Russland nach nicht überprüfbaren Angaben des ukrainischen Generalstabs seit Beginn seines Angriffskrieges mehr als eine Million Soldaten.
Angehörige berichten: Nach Gefangenenaustausch müssen russische Soldaten zurück an die Ukraine-Front
Russland selbst macht keine Angaben zu Toten und Verletzten. Überprüfbar sind die ukrainischen Angaben nicht, unabhängige Experten nennen niedrigere Zahlen. Laut „Get lost“ kam es aber wiederholt vor, dass Angehörigen freigelassener russischer Kriegsgefangener nach Gefangenenaustauschen der Kontakt zu ihren Lieben verwehrt wurde. Außerdem sollen Männer – auch die im Kampf Verwundeten – oft direkt wieder an die Front zurückgeschickt worden sein.
Es wird 1000 gegen 1000 geben. Vielleicht noch weitere 200 gegen 200.
Eine Angehörige berichtet laut Novaya Gazeta Europe über einen Telegram-Kanal, dass die zurückgekehrten Soldaten schwer verwundet waren. „Einer hat ein Bein verloren. Sie alle brauchen medizinische Versorgung, eine Untersuchung durch ein militärärztliches Gremium und schließlich Erholungsurlaub. Stattdessen werden sie krank an die Front geschickt“, so die Frau in der auf Telegram veröffentlichten Erklärung.
Menschenrechtsorganisationen warnen, dass dasselbe auch bei dem jüngsten Gefangenenaustausch passieren könnte. Dieser begann am Montag (9. Juni), nachdem er am 2. Juni in Istanbul bei persönlichen Verhandlungen zwischen beiden Seiten vereinbart worden war. „Es wird 1000 gegen 1000 geben. Vielleicht noch weitere 200 gegen 200“, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang Juni nach dem Treffen in der Türkei.
Trotz Genfer Konventionen: Laut russischem Recht bleiben verwundete Soldaten im Wehrdienst aktiv
Die Sorge scheint nicht unbegründet, denn obwohl die Genfer Konventionen ausdrücklich den Einsatz ehemaliger Kriegsgefangener zum aktiven Militärdienst verbieten, sagt sowohl die russische als auch die ukrainische Gesetzgebung etwas anderes. Diese verhindert nämlich, dass Soldaten während des Krieges freiwillig aus den Streitkräften ausscheiden können, auch nicht, wenn sie in Gefangenschaft geraten sind. In der Praxis gelten alle Verträge mit dem russischen Verteidigungsministerium als unbefristet.
Deswegen behalten nach russischem Recht ehemalige Kriegsgefangene und Geiseln ihren Status als aktive Soldaten. Mit anderen Worten: Die Zeit in Gefangenschaft gilt nicht als Grund für die Entlassung aus dem Militärdienst, erklärt ein Anwalt der russischen Menschenrechtsinitiative „Peace Plea“, gegenüber Novaya Gazeta Europe.
Sollten die Berichte und Vermutungen stimmen, dürfte sich die Hoffnung, durch den vereinbarten Gefangenenaustausch mit Kiew zurück in die Heimat und zur Familie zu gelangen, für viele russische Soldaten zerschlagen. Denn trotz einer Initiative des US-Präsidenten Donald Trump sind bisher alle Bemühungen um eine zumindest befristete Feuerpause in dem seit mehr als drei Jahren andauernden Ukraine-Krieg gescheitert. Bei den zwei jüngsten Gesprächsrunden in Istanbul wurde lediglich der Austausch von Gefangenen vereinbart. (bg/dpa)