Kiew-Besuch im SPD-Chaos: Pistorius poltert gegen Manifest-Rebellen – Klingbeil schweigt

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Kiew-Besuch im SPD-Chaos: Pistorius poltert gegen Manifest – Klingbeil reagiert

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Pistorius pocht beim Ukraine-Besuch auf Militärhilfen. Doch SPD-Größen wehren sich mit ihrem Manifest gegen die Aufrüstung. Vor dem Parteitag droht die Zerreißprobe.

Update, 11.17 Uhr: SPD-Chef Lars Klingbeil distanziert sich vom Grundsatzpapier mehrerer SPD-Politiker, die eine Neuausrichtung der Verteidigungspolitik und Gespräche mit Russland fordern. Zu mehreren Aussagen aus dem „Manifest“ habe er explizit eine andere Meinung, sagte der Vizekanzler nach Angaben der SPD in einer Live-Unterhaltung mit Kevin Kühnert auf Instagram. „Wir brauchen keine Kehrtwende, was die Unterstützung der Ukraine angeht.“

Deutschland müsse sich nicht entscheiden zwischen militärischer Stärke und Ukraine-Unterstützung auf der einen sowie diplomatischen Bemühungen auf der anderen Seite. „Das ist nicht ‚entweder oder‘, sondern es sind zwei Seiten einer Medaille“, sagte Klingbeil am Mittwochabend. Zugleich betonte der Parteichef, die SPD und auch die Gesellschaft müssten solche Debatten aushalten. Es müsse möglich sein, kritisch darüber zu diskutieren, wie man die Ukraine am besten unterstützen könne. „Das muss eine Partei aushalten, dass es solche Diskussionen gibt.“

Erstmeldung: Berlin/Kiew – Überraschungsbesuch trotz Partei-Chaos: Während Verteidigungsminister Boris Pistorius am Donnerstag (12. Juni) in Kiew eintraf, um über weitere Militärhilfe für die Ukraine zu verhandeln, tobt in seiner eigenen Partei zeitgleich weiterhin ein erbitterter Streit über die Russland-Politik. Ein von prominenten SPD-Politikern unterzeichnetes „Manifest“ stellt die Sicherheitspolitik der schwarz-roten Bundesregierung grundsätzlich infrage – und macht Pistorius‘ Mission zu einem Symbol für die tiefe Spaltung der Sozialdemokraten.

Ungeachtet des umstrittenen Manifests will Verteidigungsminister Boris Pistorius die Militärhilfe für die Ukraine jedenfalls weiter ausbauen. Bei der Ankunft zu Gesprächen mit der Regierung in Kiew verurteilte der SPD-Politiker die verstärkten russischen Luftangriffe auf das Land, die „außerordentlich heftig und bedrohlich mit der großen Zahl von Marschflugkörpern und Drohnenangriffen“ seien, sagte Pistorius laut der Nachrichtenagentur dpa

Pistorius in Kiew: Verteidigungsminister verurteilt russische Angriffe auf die Ukraine scharf

„Das setzt ein klares Zeichen aus Moskau: Es gibt kein Interesse an einer friedlichen Lösung derzeit, sondern es werden mit unverminderter Härte und vor allen Dingen auch wieder zunehmend zivile Bereiche in der Ukraine angegriffen“, stellte der Verteidigungsminister auf dem Bahnhof in Kiew klar. Seine Reise zeige, dass auch die neue Bundesregierung weiter an der Seite der Ukraine stehe. Pistorius sagte: „Natürlich wird es darum gehen, wie die Unterstützung Deutschlands und auch der anderen Europäer in Zukunft aussehen wird. Was wir tun können, beispielsweise im Bereich der Industriekooperation, aber auch der sonstigen Unterstützung.“

Pistorius reagierte damit indirekt auch auf die Debatte innerhalb seiner Partei und ließ keinen Zweifel an seinem Kurs aufkommen. Bereits wenige Stunden zuvor hatte er mit ungewöhnlicher Schärfe auf das Positionspapier seiner Parteikollegen reagiert, die in einem Manifest weniger Waffenhilfe für die Ukraine und mehr Dialog mit Russland gefordert hatten. „Dieses Papier ist Realitätsverweigerung. Es missbraucht den Wunsch der Menschen in unserem Land nach Ende des furchtbaren Krieges in der Ukraine. Nach Frieden“, hatte der Verteidigungsminister der Nachrichtenagentur dpa gesagt.

SPD-Manifest stiftet Chaos in der Partei: Abkehr vom bisherigen Pistorius-Kurs

Zu den Unterzeichnern des umstrittenen Manifests gehören Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, Ex-Parteichef Norbert Walter-Borjans und der Außenpolitiker Ralf Stegner. Sie fordern eine Abkehr von der aktuellen Aufrüstungspolitik und direkte Gespräche mit Russland – eine Position, die der offiziellen Linie der SPD in der Bundesregierung diametral entgegensteht.

Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) distanzierte sich bereits von dem Papier. Sie teile dessen Vorschläge nicht, sagte sie im Playbook-Podcast von Politico. Allerdings räumte sie ein: „Dass Ralf Stegner oder Rolf Mützenich diese Position vertreten, ist nicht wahnsinnig überraschend.“

Auch Juso-Chef Philipp Türmer äußerte Kritik. Das Papier bleibe „eine zentrale Antwort schuldig: Wie geht man mit einem Russland um, das keine Gespräche führen will? Wie soll eine Entspannungspolitik mit Putin möglich sein?“, zitierte ihn die Berliner Zeitung.

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Ukraine, Kiew: Boris Pistorius (SPD, r), Bundesminister der Verteidigung, kommt am Morgen mit einem Sonderzug auf dem Hauptbahnhof an und wird von Martin Jäger, deutscher Botschafter in der Ukraine begrüßt. Der Minister ist zu Gesprächen über weitere Militärhilfen in der Ukraine. © Kay Nietfeld/dpa

Scharfe Worte von Stegner nach Manifest: „Jeder Trottel“ kann über Waffen reden

Ralf Stegner verteidigte das Manifest jedoch im konservativen Magazin Cicero: „Über Waffen kann öffentlich jeder Trottel reden. Selbst jemand, der ein Gewehr nicht von einem Regenschirm unterscheiden kann. Aber die Diplomatie, die hinter verschlossenen Türen stattfindet, das ist die wirkliche Kunst.“

Ex-Parteichef Walter-Borjans warnte ebenfalls erneut vor einem „Rüstungsrausch“ und beklagte „den Glauben, dass man einem Ende des Blutvergießens näher kommt, wenn man Abrüstungsverhandlungen für nicht mehr zeitgemäß erklärt.“

Gut zwei Wochen vor dem SPD-Bundesparteitag stellt das Manifest die Parteiführung vor eine schwierige Situation. Trotz der Wahlschlappe bei der Bundestagswahl war Parteichef Lars Klingbeil als Vizekanzler und Finanzminister zum neuen starken Mann in der SPD aufgestiegen. Co-Chefin Saskia Esken musste indes ihren Hut nehmen und war auch nicht im Kabinett von Kanzler Friedrich Merz (CDU) berücksichtigt worden. An ihre Stelle soll nun Arbeitsministerin Bärbel Bas rücken. Doch auffällig ist: Die beiden designierten Vorsitzenden schweigen bislang zu der tobenden Manifest-Debatte innerhalb der SPD. (jek)

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