Putins Verluste gefilmt: Ukraine jagt Russlands „Metallschrott“ in die Luft

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Ein ukrainischer Soldat untersucht ein russisches Panzerwrack – ein Motiv zum „Liken“ noch „Sharen“: Die Ukraine befeuert die Sozialen Medien vor allem mit Videos von vermeintlichen Erfolgen gegen russische Einrichtungen oder Panzer. Die Absender suchen damit nach Solidaritätsbekundungen der Nutzer (Symbolfoto). © Sergey Bobok / AFP

Neueste Verluste-Videos in Social Media: Die Ukraine bemüht sich, die Verbundenheit zu fördern – Psychologen bestätigen, dass dies funktioniert.

Kiew – „Gegen moderne Technologie hat alter russischer Metallschrott keine Chance“, schreibt das ukrainische Verteidigungsministerium in einem aktuellen Beitrag auf X. Darunter ein Video – 57 Sekunden pfeilschnelle Kamerafahrten auf undefinierbare Fahrzeuge. Explosionen, Rauch, Schnitt, nächste rasante Kamerafahrt „Nirgendwo ist das digitale Schlachtfeld so präsent wie im Informationskrieg“, schreibt Magdalene Karalis. Die Ukraine füttert die sozialen Medien mit Bildern auch des kleinsten Erfolgs gegen die Invasionstruppen Wladimir Putins. Dort ja ein Erfolg der Ukraine den nächsten – anders als in der realen Welt, wie die Autorin des Georgetown Journal of International Affairs nahelegt.

Ukrainische Drohnenpiloten griffen „die meisten oder alle russischen Panzerfahrzeuge drei bis sechs Kilometer von der Front entfernt an“, schreibt The New Voice of Ukraine unter Bezug auf einen russischen Militärblogger – das seien offenbar Sektoren, „in denen mindestens zwei ukrainische Kompanien für FPV-Angriffsdrohnen (First-Person-View) und zwei ukrainische Kompanien für Aufklärungsdrohnen stationiert sind“, ergänzt das Magazin. Bereits Mitte Januar hatte der Thinktank Institute for the Study of War (ISW) festgehalten, dass die ukrainischen Drohnen die Panzerverbände Russlands effektiv ausgedünnt und von der Front zurückgedrängt hätten.

Selenskyjs Trumpf: Beiträge, die die nationale und kulturelle Einheit seines angegriffenen Landes feiern

In den Videos sind offenbar auch hauptsächlich einzeln fahrende Fahrzeuge zu sehen, möglicherweise kann sich die Invasionsarmee unter den herrschenden Gefechtsfeldbedingungen auch keine Massierung von Fahrzeugen mehr erlauben. Was wiederum der Ukraine ermöglicht, einfacher zu Erfolgen zu kommen und diesen in sozialen Netzwerken einen größeren Wert beizumessen, als sie den strategisch wirklich haben. Wie Psychologen an der britischen Cambridge University herausgefunden haben wollen, förderten Beiträge, die die nationale und kulturelle Einheit eines angegriffenen Landes feierten, das Online-Engagement deutlicher als abfällige Beiträge über die Aggressoren. Die Forscher haben ihre Ergebnisse anhand von Umfragen Ende vergangenen Jahres veröffentlicht.

„Emotionen, die an die Gruppenidentität appellieren, können Menschen stärken und die Moral heben. Diese Emotionen können in Zeiten aktiver Bedrohung ansteckender sein und zu größerem Engagement führen – wenn die Motivation, sich für die eigene Gruppe vorteilhaft zu verhalten, größer ist. ... Soziale Medienplattformen ermöglichen es, dass der Ausdruck des nationalen Kampfes, der sonst privat geblieben wäre, Millionen Menschen erreicht.“

„Pro-ukrainische Stimmungen, Phrasen wie ‚Ruhm der Ukraine‘ und Posts über ukrainischen Militärheldentum erhielten enorme Mengen an Likes und Shares, feindselige Posts gegen Russland fanden dagegen kaum Beachtung“, sagt Yara Kyrychenko. Die Psychologen vom Social Decision-Making Lab (SDML) der Fakultät für Psychologie der Universität Cambridge hätten in den sieben Monaten vor dem völkerrechtswidrigen Einmarsch Russlands im Februar 2022 sowie in den sechs Monaten darauf insgesamt 1,6 Millionen Beiträge ukrainischer Nachrichtenagenturen auf Facebook und Twitter (jetzt X) analysiert.

Beiträge, die die Forscher als Ausdruck nationaler ukrainischer „Gruppensolidarität“ einstuften, führten auf Facebook zu 92 Prozent mehr Reaktionen und auf X zu einem Plus von 68 Prozent als vor dem Einmarsch. Beiträge mit aggressivem Unterton gegenüber Russland – im Wissenschaftsdeutsch „Feindseligkeit von Fremdgruppen“ – erzielten lediglich ein Plus von einem Prozentpunkt auf Facebook und zu keinem nennenswerten Unterschied auf X. Insofern bedeutet jedes Video mit dem Hintergrund militärischen Erfolgs das Schüren des ukrainischen Durchhaltewillens.

Allianz gegen Putin: Emotionen, die an die Gruppenidentität appellieren, können die Moral heben

„Emotionen, die an die Gruppenidentität appellieren, können Menschen stärken und die Moral heben. Diese Emotionen können in Zeiten aktiver Bedrohung ansteckender sein und zu größerem Engagement führen – wenn die Motivation, sich für die eigene Gruppe vorteilhaft zu verhalten, größer ist. […] Soziale Medienplattformen ermöglichen es, dass der Ausdruck des nationalen Kampfes, der sonst privat geblieben wäre, Millionen Menschen erreicht“, sagt Co-Autorin Kyrychenko. Denn die Botschaften gehen auch nach draußen: an die geflüchteten Exil-Ukrainer, die zum Zurückkommen verlockt werden sollen; und an die ausländischen Geldgeber, die den Ukraine-Krieg mit Geld befeuern sollen.

Die wichtigste Botschaft wird wahrscheinlich sein, dass sich die Ukraine noch immer tapfer wehren kann. Insofern hat Sofia Syngaivska recht, wenn die Journalistin im ukrainischen „Propaganda-Kanal“ Defense Express davon berichtet, die verschiedenen Einheiten können sich an die jederzeit verschärfende Lage anpassen und effizient zurückschlagen. Tatsächlich ist die Ukraine inzwischen ein Land der Transformation geworden – der politischen genauso wie der technischen, wie auch das Wadym Sucharewski gegenüber dem Economist ausgedrückt hat.

Ukraine blutet aus – ihre fehlen Menschen: Zum Wiederaufbau, zum Wiederbevölkern zum Weiterkämpfen

„Die Ukraine sei ein ‚Außenposten […] zwischen der zivilisierten und der autoritären Welt‘, aber sie wisse nicht, was sie von ihren Geldgebern erwarten könne“, sagt der Kommandeur der ukrainischen Drohnenstreitkräfte – einer militärischen Einheit, die weltweit ihresgleichen sucht. Denn diese Geldgeber hätten selbst enorme Schwierigkeiten, die Ukraine zu verorten, technisch wie politisch. Möglicherweise wird die Ukraine zum führenden Drohnenland der Welt; möglicherweise wird ein kommender Krieg doch eher mit Raketen geführt, möglicherweise wird die Zahl zum Umbau verfügbarer ziviler Drohnen drastisch sinken, möglicherweise werden auch elektronische Störsysteme ausgefeilter.

Die Glorifizierung dieser Waffengattung mag in der digitalen Welt enorme Ausmaße annehmen, auf den realen Bodenkrieg haben offenbar weder „Liken“ noch „Sharen“, also Zustimmen und Teilen großen Einfluss: Der Ukraine fehlen in der analogen Welt Tag für Tag mehr reale Menschen. Zum Wiederaufbau, zum Wiederbevölkern zum Weiterkämpfen.

Bereits Ende 2023 hatte das ISW einen russischen Militärblogger dahingehend wiedergegeben, dass die russischen Streitkräfte kurz vor einer „wahren Renaissance des Infanteriekampfes“ stünden. Die Quelle führte das bereits zu diesem Zeitpunkt zurück auf die Verluste an Panzern, Schützenpanzern und gepanzerten Mannschaftstransportwagen. „Drohnenpiloten sind zu den Scharfschützen des modernen Militärs geworden“, schreibt Tim Mak. Sie operierten im Dunkeln und versteckten sich vor aller Augen – sie seien für die Streitkräfte von entscheidender Bedeutung – sowohl als Machtmultiplikator für die eigene Seite als auch als Tiefschlag für die Moral der Gegner, führt der Autor des ukrainischen Blogs Counteroffensive.News aus.

Rekrutierungs-Offensive: „Es ist die Pflicht jedes ukrainischen Bürgers und seine Verpflichtung.“

Nur können „Scharfschützen“ allein keinen Krieg gewinnen, und der Verlust einzelner Panzer führt zu keiner Niederlage. Jedenfalls für kein militärisches System unter Wladimir Putin. Dennoch scheinen die Videos einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen: Die Cambridge-Psychologin Yara Kyrychenko weist zwar darauf hin, dass Hassreden und Verschwörungstheorien im Internet in der Ukraine noch immer florierten, wie die Universität publiziert; sie argumentiere jedoch, „dass die in den sozialen Medien geförderte Solidarität einige der frühen Versprechen dieser Plattformen widerspiegelt, die Menschen gegen die Tyrannei zu vereinen“, wie sie schreibt.

Für die Ukraine sei die große Frage, ob sie in ihre Heimat zurückkehren werden, von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des Landes, schreibt auch Kateryna Odarchenko. Neben allen anderen Folgen hat die Ukraine einen Aderlass von rund zehn Millionen Geflüchteten zu verkraften, so die Analystin des Thinktanks Center for European Policy Analysis (CEPA). Ein Fünftel davon sollen erwachsene Männer sein – die meisten vermutlich in einem mehr oder minder wehrfähigen Alter. Aber auch 18- bis 25-jährige Ukrainer werden verstärkt umworben – die Videos verdampfender russischer Panzer mögen ein Teil der Bemühungen sein. Die Menge sowie die kurze Taktung dieser Botschaften liegt irgendwo zwischen Engagement und Verzweiflung – und die Inhalte verschweigen wahrscheinlich mehr als was sie offenlegen.

Oberst Pavlo Palisa ist der Kopf der neuen ukrainischen Rekrutierungsbemühungen, wie Associated Press aktuell schreibt. Der ins Büro des Präsidenten berufene ehemalige Gefechtsfeldkommandeur argumentiert blumig, aber hoffnungsvoll gegenüber der Nachrichtenagentur: „Meiner Ansicht nach müssen wir jetzt einen offenen Dialog mit der Gesellschaft beginnen. Denn die Verteidigung des Staates ist nicht nur die Verantwortung der Streitkräfte. Es ist die Pflicht jedes ukrainischen Bürgers und seine Verpflichtung.“

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