Museumsreif: Mit welchen Maschinen Moskau die Ukraine bombardiert

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Weder „Verbrauchsgut“ noch „Arbeitstier“: Die russischen T-160-Bomber sollen noch bis zu drei Jahrzehnte im Dienst bleiben. Einige der Maschinen hatte Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion von der Ukraine übernommen. © IMAGO/Artem Alexandrovich / Stocktrek Images

Schlechter Scherz des Schicksals: Einige der Tu-95 und Tu-160-Bomber in Russlands Luftflotte gehörten der Ukraine. Einzelstücke stehen dort im Museum.

Poltawa – „Russland verwendet Flugzeuge, die sich dem Ende ihrer Lebensdauer nähern“, sagt Christopher Stewart. Die Kiew Post hat den ehemaligen US-Piloten nach Poltawa geschickt, ins dortige Museum für Luft- und Raumfahrttechnik. Dort begleitet ihn das Magazin auf einem Rundgang zwischen Maschinen, die in der zentralukrainischen Stadt am Boden stehen, aber in der Ostukraine zum Teil noch für realen Terror sorgen. „Diese Flugzeuge sind sowohl technisch als auch moralisch veraltet, können aber immer noch als Raketenplattformen dienen“, sagt der Pilot, der mehrere Tausend Flugstunden auf einer F-16 absolviert hat. Wladimir Putin, der Präsident Russlands, nutzt scheinbar alles, um die Ukraine in die Knie zu zwingen – am Boden und in der Luft.

Der Rundgang umfasst die beiden Tupolew-Bomber Tu-95 und Tu-160. Die Ukraine hätte diese Maschinen auch nutzen können, habe aber darauf verzichtet, weil die Wartung zu teuer geworden wäre, schreibt die Post. Im März hatte das Magazin RBC-Ukraine gemeldet, vom Flughafen Olenya in der russischen Region Murmansk und von den Flugplätzen Wolgodonsk und Engels seien, laut Angaben der ukrainischen Luftaufklärung, insgesamt zwölf Tu-95MS-Bomber mit fast 30 Kh-101/Kh-55-Marschflugkörpern gestartet.

Verluste der Ukraine – zugefügt von einem Oldtimer, der so alt ist wie Wladimir Putin selbst

Das Bemerkenswerte an der Meldung – im Titel vergleicht das Magazin das Relikt aus der Stalin-Ära vom Alter her mit dem aktuellen russischen Diktator Wladimir Putin: Das Flugzeug Tu-95 mit der Nato-Codierung „Bear“ (zu Deutsch: Bär) sei ein sowjetischer und russischer strategischer Bomber und wurde in den 1950er-Jahren zur Zeit Josef Stalins entwickelt. „Der russische Diktator Wladimir Putin wurde 1952 geboren. Somit ist die Tu-95 im Wesentlichen so alt wie Putin.“

„Zunächst einmal muss man verstehen, dass die Raketenbomber Tu-160M/M2 keine ‚Verbrauchsgüter‘ oder ‚Arbeitstiere‘ sind; dafür gibt es andere Maschinen. Die mit Raketen bestückten Bomber vom Typ Tu-160M/M2 sind eine ,Wunderwaffe‘, ein Schwert, das unweigerlich aus der Mitte Russlands einschlägt und dafür konzipiert ist, besonders wichtige Ziele in kürzester Zeit zu zerstören.“

Die Sowjetunion benötigte die Tu-95 für potenzielle Atomschläge gegen die USA – aufgrund der beschränkten Reichweite sollte die Maschine nach erledigtem Auftrag aufgegeben werden, um die Besatzung anschließend zu retten. Die in Poltawa versammelten Flieger sind gut in Schuss, und US-Pilot Stewart gibt sich gegenüber der Kiew Post erstaunt: Obwohl das Ausstellungsstück ein Flugzeug der „neuesten Generation“ sein soll, „sieht es eher wie ein Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg aus – überall gibt es manuelle Steuerungen und die Automatisierung ist minimal“, sagt der US-Pilot.

Offensive Russlands: Im Einsatz sind Maschinen, die früher der Ukraine gehört hatten

Auch hier zeige sich nach Ansicht des ehemaligen Fliegers die russische Doktrin überdeutlich: Die fehlende Automatisierung hat personelle Ressourcen gebunden – die Besatzung besteht aus sieben Personen, Piloten, Funker, Schützen, Bordingenieure. Die Maschine war nach Stewarts Wissen das Gegenstück zum US-amerikanischen B-52-Bomber. Aber anders als die Amerikaner haben die Erben der Sowjetunion auf jedwede technische Modernisierung verzichtet und die Maschine so archaisch wie einst im aktiven Dienst belassen. Laut dem aktuellen Index der globalen Luftstreitkräfte soll Russland noch über 47 Maschinen dieses Typs verfügen.

„Tatsächlich wird erwartet, dass sie bei den russischen Luft- und Raumfahrtstreitkräften mindestens bis 2040 im Einsatz bleibt. Die Bear ist der einzige strategische Bomber mit Propellerantrieb, der noch im Einsatz ist“, schreibt The National Interest. Laut dem Magazin soll der Oldtimer auch erst 2015 über Syrien erstmals in einen Kampfeinsatz geflogen sein.

START: Wie die Ukraine ihre Bomber einbüßte

Im Rahmen des Vertrages zur Verringerung der strategischen Atomwaffen – Strategic Arms Reduction Treaty „START“ – von 1991 musste die Ukraine bis zum 5. Dezember 2001 die Vernichtung ihrer strategischen Waffen abschließen. In diesem Rahmen habe Kiew elf strategische Bomber vom Typ Tu-160, 27 strategische Bomber vom Typ Tu-95 und 483 luftgestützte Marschflugkörper vom Typ Kh-55 vernichtet.

Weitere elf schwere Bomber und 582 strategische Marschflugkörper seien im Rahmen eines Abkommens von 1999 als Zahlung für Erdgasschulden an Russland übergeben und alle 130 Interkontinentalraketen SS-19 der Ukraine samt zugehöriger Silos und Startkontrollzentren sowie 32 Interkontinentalraketen SS-24 und der dazugehörigen Infrastruktur vernichtet worden.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verpflichtete sich die Ukraine, die auf ihrem Territorium verbliebenen Atomwaffen loszuwerden, indem sie dem Atomwaffensperrvertrag als Nichtkernwaffenstaat beitrat und START-I-Vertragspartei wurde.

Quelle: Arms Control Association

Wie der Sender n-tv Anfang dieses Jahres berichtet hatte, sei die Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion neben den USA und Russland das an Atomwaffen drittstärkste Land gewesen; spätestens nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 sei die Übergabe der Waffen als Fehler gesehen worden. Ohne Zweifel wird die Ukraine aktuell mit Bombern und Marschflugkörpern angegriffen, die vorher in ihrem Besitz gewesen waren.

Das gilt auch für die Tu-160-Bomber. „Verdammt, dieses Flugzeug ist riesig!“, wird der ehemalige US-Stewart von der Kiew Post zitiert. Das Flugzeug ist herumgebaut um zwei Bombenschächte mit rotierenden Abwurfeinrichtungen für jeweils sechs Marschflugkörper. Museumsleiter Konstantin Polishchuk erklärt, dass sich nach dem Start der Abschussvorrichtung für die erste Rakete das System drehe, um die nächste Rakete abzufeuern, bis alle sechs zwölf Raketen einer maximalen Last unterwegs seien – das geschehe innerhalb von zwei Minuten.

Putin kann sich keine Verluste leisten: Seine Bomber sind Relikte des Kalten Krieges

Auch dieser Flieger sehe immer noch aus, wie ein Relikt des Kalten Krieges – höchstens 15 Stück soll Russland davon noch zur Verfügung haben, wie der aktuelle Index der globalen Luftstreitkräfte ausweist: „Vieles könnte automatisiert werden – die meisten Bedienelemente, Hebel und Schalter. Man könnte zum Beispiel die Motor- und Flugsteuerung kombinieren, sodass man nicht ständig den Blick durch das Cockpit bewegen muss“, sagte der F-16-erfahrene Stewart gegenüber der Kiew Post.

Im Mai hatte sich das russische Online-Magazin Top War mit der Zukunft der Tu-95 und der Tu-160 in ihren verschiedenen Versionen beschäftigt und einen Ausblick auf die Jahre 2035 bis 2045 gewagt – das Schicksal der Propellermaschine Tu-95 sei fraglich, schreibt das Magazin. Allerdings scheint das Russlands Militärs tatsächlich von der Zukunft ihres Pendants der US-Luftwaffe abhängig zu machen: des B-52-Bombers. „So wird beispielsweise davon ausgegangen, dass die US-Luftwaffe den Bomber B-52H auch nach 2050 noch einsetzen wird. Wenn man bedenkt, dass die letzte B-52H 1962 die Werkstätten verließ, könnte die Lebensdauer einiger B-52H möglicherweise 100 (!) Jahre überschreiten“, urteilt Top War.

Putins Erbe: Die alten Bomber werden noch fliegen, wenn Putin längst im Ruhestand ist

Das Magazin geht davon aus, dass diese russischen strategischen Bomber schrittweise außer Dienst gestellt würden, sodass bis 2045 nur noch 35 Einheiten im Einsatz bleiben sollten, zum Teil möglicherweise in irgendeiner neuen Modifikation. „Wenn wir über strategische Luftfahrt sprechen, dann sind es die Tu-95MS/MSM, die während zukünftiger Kriege und militärischer Konflikte die Hauptlast tragen werden“, schreibt Top War. Aus diesem Grund könne die Waffenpalette der Tu-95MS/MSM in künftigen Modifikationen ebenfalls modifiziert werden und an Präzision und Reichweite gewinnen.

Laut dem Magazin werde sich die Maschine mitsamt ihrer Last anpassen müssen an die ebenfalls an Reichweite zulegende Luftabwehr – entweder bereits im Ukraine-Krieg oder in einer künftigen militärischen Auseinandersetzung mit der Nato. Schließlich werden die USA der Ukraine möglicherweise an Reichweite stärkere Luftabwehr-Systeme zur Verfügung stellen.

Die Tu-160 werde definitiv ein Teil dieser Dekade bleiben, schreibt Top War: „Zunächst einmal muss man verstehen, dass die Raketenbomber Tu-160M/M2 keine ,Verbrauchsgüter‘ oder ‚Arbeitstiere‘ sind; dafür gibt es andere Maschinen. Die mit Raketen bestückten Bomber vom Typ Tu-160M/M2 sind eine ‚Wunderwaffe‘, ein Schwert, das unweigerlich aus der Mitte Russlands einschlägt und dafür konzipiert ist, besonders wichtige Ziele in kürzester Zeit zu zerstören.“

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