Jobcenter: Kaum „Totalverweigerer“ bei der Arbeitssuche - Hohe Mieten, mehr Bürgergeld-Anträge

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Das Bürgergeld ist erhöht worden (Symbolbild). © Christian Ohde/Imago

Die Zahl der Bürgergeld-Anträge steigt im Landkreis Ebersberg. Das liegt nicht an Arbeitsunlust, sagt der Jobcenterchef.

Landkreis – Bürgergeld macht faul: Diese Kritik an den bestehenden, zum Jahreswechsel erhöhten Leistungen für Arbeitslose, kommt sinngemäß vonseiten mancher Arbeitgeber und Politiker. Lieber von der Stütze leben, als arbeiten? So einfach ist das nicht, sagt Benedikt Hoigt, Chef des Ebersberger Jobcenter, bei dem die entsprechenden Anträge auf Sozialleistungen auflaufen. „Wir haben nicht viele Anträge wahrgenommen, die auf Kündigungen beruhen.“

Mehr Bürgergeld-Anträge, aber nicht wegen Kündigungen

Er sagt aber auch: „Die Antragstellungen mehren sich generell.“ Von 2022 auf 2023 hätten 20 Prozent mehr Menschen im Landkreis Ebersberg Bürgergeld beantragt. Hier hätten sich die schwierige Wirtschaftslage, sich verteuernde Lebenshaltungs- und Energiekosten und die gallopierenden Mieten in der Region bemerkbar gemacht. Für 2024 gebe es noch keine belastbaren Aussagen. Derzeit sind Hoigt zufolge rund 3000 Menschen aufs Bürgergeld angewiesen, Familien mit Kindern eingerechnet – macht rund zwei Prozent der rund 147 000 Einwohner.

Der Jobcenter-Chef hat, als es noch Hartz IV hieß, selbst einmal versucht, einen Monat lang mit diesem Geld auszukommen, das der Staat für die Grundbedürfnisse kalkuliert, erzählt er – und gibt zu: „Ich habe es nicht geschafft.“ Das war 2012. Von 2023 auf 2024 ist das Bürgergeld gestiegen, beispielsweise von 502 Euro für Alleinstehende auf 563 Euro. Davon bleiben rund 195 Euro für Essen, Getränke, Zigaretten, kalkuliert der Gesetzgeber. Eher nicht die Dimension für den gelegentlichen, gediegenen Restaurantbesuch. Für Kinder gibt es 357 bis 471 Euro Bürgergeld, von denen 250 Euro Kindergeld abgezogen werden, die es für alle gibt.

Auszahlbeträge auch für Alleinstehende deutlich über 1000 Euro: So kommen sie zustande

Was die Debatte anheizt: Die Auszahlbeträge liegen trotz des überschaubaren Grundbetrags oft deutlich höher. Das liegt vor allem an den hohen Mieten in Ballungszentren wie unserem Münchner Speckgürtel, rechnet Hoigt vor. Der vom Amt anhand der ortsüblichen Mieten festgelegte Deckel für die Hochpreislage Vaterstetten sieht etwa 740 Euro Kaltmiete für einen Ein-Personen-Haushalt vor. Bis zu diesem Betrag bezahlt die Wohnung das Jobcenter.

Mit angenommenen 100 Euro Nebenkosten, ebenfalls ein sich stetig verteuernder Faktor, und 563 Euro Grundbetrag macht das im Beispiel 1367 Euro – einen Netto-Betrag, für den ein Angestellter im Niedriglohnsektor lange buckeln muss. Das sorgt für Neid, ebenso wie der Vermögensfreibetrag von 40 000 Euro.

Mehr als die Hälfte des Bürgergelds bekommt meist der Vermieter

Aber: Mehr als die Hälfte des Bürgergelds landet in der Regel nicht auf dem Konto der Bezieher, sondern auf dem ihrer Vermieter. Das Dilemma: Übernimmt der Staat solche Kosten nicht, kann das Obdachlosigkeit befeuern.

Sollen die Bürgergeld-Empfänger doch einfach arbeiten gehen, oder? Es werden schließlich händeringend Leute gesucht, lautet das Argument, das dieser Frage gerne folgt. „Die Zahl der Totalverweigerer liegt im niedrigen einstelligen Prozentbereich“, sagt der Jobcenter-Chef dazu. „Arbeit ist mehr als Broterwerb. Sie ist auch soziale Teilhabe“, sagt Hoigt.

Im Klartext: Wer einen Job hat, genießt mehr Ansehen als jemand ohne. „Das darf man nicht unterschätzen.“ Bei den meisten Menschen, die keine Arbeit finden, stünden andere Faktoren wie fehlende Qualifizierung oder Sprachkenntnisse (Migrationsanteil bei den Bürgergeld-Beziehern im Kreis Ebersberg: 60 Prozent) oder Einschränkungen bei Gesundheit oder Mobilität im Weg.

„Jobturbo“: Zuwanderer sollen schneller in Arbeit kommen

Bundesweit heftig diskutiert wurde die verhältnismäßig niedrige Beschäftigungsquote unter den geflüchteten Ukrainern in Deutschland – im Landkreis Ebersberg sind es laut Jobcenter derzeit rund 20 Prozent. Das Jobcenter reagiert mit Maßnahmen, die Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) als „Jobturbo“ bezeichnet. Vor allem geht es darum, Geflüchtete, die noch nicht gut Deutsch sprechen, dennoch schnell in Arbeit zu bringen und weiterführende Deutschkurse parallel, statt vorzuschalten – um später eine Beschäftigung entsprechend der im Heimatland erworbenen beruflichen Qualifikation zu ermöglichen. Integrationskurse sind Pflicht. Zudem sind Veranstaltungen wie Job-Messen oder „Arbeitgeber-Speeddating“ auch im Kreis Ebersberg geplant, so Jobcenter-Chef Hoigt.
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Hier versuche das Jobcenter, mit Weiterbildung, Sucht- und Schuldnerberatung zu helfen. „Das gelingt uns auch ganz gut“, sagt der Behördenleiter über den „extrem hohen Durchlauf“ bei den Bezugsberechtigten. Pro Monat ändere sich bei rund einem Fünftel der 1550 Bedarfsgemeinschaften im Landkreis, gemeint sind damit meist Alleinstehende oder Familien, etwas an der Lebenssituation – etwa, weil jemand arbeitslos werde oder umgekehrt einen Job aufnehme – oder es von einem „Aufstocker“, der auf Zuzahlung zum Lohn angewiesen ist, zu einem bedarfsdeckenden Einkommen schafft.

Bürgergeld im Landkreis Ebersberg: Ein Drittel der Anträge scheitert

In Zahlen heißt das: Im Jahr 2023, Zahlenstand Ende November, habe das Jobcenter 541 Menschen zurück in den Arbeitsmarkt gebracht. 60 Prozent davon so, dass sie auch nicht mehr auf Zuzahlungen angewiesen seien.

Rund ein Drittel der Bürgergeld-Anträge werde übrigens abgelehnt, oder die Antragssteller sehen ein, dass daraus nichts wird, ergänzt der Jobcenter-Chef. Wer in der Beratung behaupte, er müsse ohne Bürgergeld verhungern, aber 150 000 Euro auf dem Tagesgeldkonto habe – das komme vor –, bekomme eine Ablehnung. Hoigt sagt: „Es gibt aber auch viele, die haben gar nichts.“

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