Politischer Stillstand trifft Bürgergeld: Empfänger kommen ohne härtere Sanktionen davon
Das Ampel-Aus trifft auch Bürgergeld-Empfänger: Die jüngsten Ampel-Reformen stehen auf der Kippe, den Jobcentern könnte das Geld bei der Jobsuche ausgehen.
Berlin – Mit dem Ampel-Aus stehen auch die Gesetzesinitiativen der Koalition auf der Kippe. Das betrifft auch Bürgergeld-Empfänger. Die vom Ampel-Kabinett beschlossenen Verschärfungen der Sanktionen und Anforderungen werden derzeit im Bundestag beraten. Eine Mehrheit zum Beschluss ist aktuell fraglich. Mit dem Haushalt 2025 stehen auch die Budgets der Jobcenter und deren Mittel zur Vermittlung der Erwerbslosen in Arbeit auf der Kippe.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat nach der Entlassung von Christian Lindner am Mittwochabend, 6. November, zwar angekündigt, die Vertrauensfrage erst im Januar stellen zu wollen. Bis dahin will er Vorhaben umsetzen, die „keinen Aufschub“ dulden. Zumindest die in der sogenannten Wachstumsinitiative festgehaltenen Änderungen am Bürgergeld-System sind darin nicht enthalten. Beim Haushalt 2025 drängt dagegen die Zeit.
Mittel der Jobcenter für Integration von Bürgergeld-Empfängern durch Ampel-Aus in Gefahr
Der Haushalt 2025 ist auch für Bürgergeld-Empfänger entscheidend. Zwar ist das Bürgergeld selbst, also die Zahlung der Grundsicherung, eine Pflichtleistung. Den Regelsatz erhalten sie also unabhängig davon, ob der Bundestag den Haushalt beschließt. Die Jobcenter selbst hängen jedoch vom Bundeshaushalt ab. Damit entscheidet sich auch, wie viel Geld die Jobcenter haben, um Arbeitslose bei der Jobsuche zu unterstützen.
Beim Beschluss ist die Minderheitsregierung aus SPD und Grünen auf die Opposition angewiesen. „Die Gespräche zum Haushalt werden mit Nachdruck fortgeführt“, erklärte der Sprecher des Arbeitsministeriums auf IPPEN.MEDIA-Anfrage. Gibt es keinen Beschluss, startet die Regierung mit einer vorläufigen Haushaltsführung. „Die vorläufige Haushaltsführung stellt sicher, dass der Geschäftsbetrieb in den Jobcentern weiterlaufen kann“, sagte der Ministeriumssprecher.
Netzwerk warnt: Bürgergeld-Empfänger dürfen nicht durch politischen Stillstand auf der Strecke bleiben
Das Bundesnetzwerk für Arbeit und Soziale Teilhabe warnte jedoch davor, dass der politische Stillstand nicht dazu führen dürfe, dass langzeitarbeitslose Menschen auf der Strecke bleiben. „Handlungsunfähigkeit auf Bundesebene darf nicht dazu führen, dass zum Jahresende auslaufende Maßnahmen und Förderungen nicht fortgesetzt oder neu aufgelegt werden“, heißt es in einer Stellungnahme zum Ampel-Aus, die IPPEN.MEDIA vorliegt. Die Regierung und die Abgeordneten müssten alles dafür tun, dass die Jobcenter Planungssicherheit für 2025 bekommen.
„Eine Schwächung der aktiven Arbeitsmarktförderung in der jetzigen wirtschaftlichen Krise hätte massive gesellschaftliche wie auch wirtschaftliche Folgen“, erklärte das Netzwerk. Schon jetzt hätten die Jobcenter aufgrund des bisherigen Ampel-Entwurfs zum Haushalt „die Handbremse gezogen“. Dort sind Kürzungen bei der Einglieder in Arbeit vorgesehen, dabei sieht das Netzwerk einen Mehrbedarf von einer Milliarde Euro.
Auch bei einer vorläufigen Haushaltsführung müsse garantiert werden, dass „für die Bewilligung neuer Maßnahmen zumindest ein Budget auf Grundlage des Haushaltsplan 2024 zur Verfügung steht“, forderte das Netzwerk. Sie müsse sicherstellen, dass Angebote für Langzeitarbeitslose erhalten bleiben und den Menschen „soziale Teilhabe und die Chance zur Arbeitsmarktintegration ermöglicht wird“.
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Härtere Bürgergeld-Regeln stehen durch Ampel-Aus auf der Kippe
Unabhängig vom Haushalt sind die in der sogenannten Wachstumsinitiative enthaltenen Bürgergeld-Pläne. Die Ampel-Koalition wollte dadurch mehr Menschen in Arbeit bringen – und dadurch Geld sparen. Unter Mitgliedern des zuständigen Ausschusses für Arbeit und Soziales im Bundestag gibt es derzeit Unsicherheiten, wie es damit weitergeht. Eine Mehrheit haben SPD und Grüne ohnehin nicht. Zudem sind einige Maßnahmen wie härtere Sanktionen oder die 1000 Euro-Prämie umstritten – auch regierungsintern.
„Die wirtschaftliche Vernunft gebietet es, die Wachstumsinitiative weiterhin konsequent umzusetzen“, erklärte ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums auf IPPEN.MEDIA-Anfrage zum weiteren Vorgehen nach dem Ampel-Aus. Die Verschärfungen bei den Regeln für Bürgergeld-Empfänger sind Teil der Wachstumsinitiative. Weitere Details nannte das von Hubertus Heil (SPD) geführte Haus nicht. Ein Beschluss, der die Unterstützung von Teilen der Opposition erfordert, ist damit unklar. Besonders, da die Union etwa selbst weitreichende Reformen an der Grundsicherung plant. Nach derzeitigen Umfragen würden CDU und CSU eine Neuwahl gewinnen – könnten die Pläne also danach angehen.
Bürgergeld als Wahlkampf-Thema: CDU kündigt Abschaffung „in der heutigen Form“ an
Die „Abschaffung des Bürgergelds in der heutigen Form“ sei einer der ersten Punkte, die die CDU nach einer Regierungsübernahme umsetzen will. Das erklärte Generalsekretär Carsten Linnemann der FAZ. Stattdessen will die Union die „Neue Grundsicherung“ einführen. „Wer arbeiten kann, aber nicht arbeiten geht, signalisiert dem Staat, dass er nicht bedürftig ist“, sagte Linnemann. „Dann bekommt er künftig keine Sozialleistung mehr.“
Das Bundesnetzwerk für Arbeit und soziale Teilhabe forderte dagegen, „den Fokus auf die arbeitslosen Menschen zu lenken, die arbeiten wollen und für die es bisher keine passenden Arbeitsangebote gibt“. Der Anteil der Menschen, die keine Arbeit aufnehmen wollen, sei marginal. Diskussionen, die sich auf diese Menschen konzentrieren, „fördern die generelle Stigmatisierung arbeitsloser Menschen und verschärfen die gesellschaftliche Spaltung“. Es brauche stattdessen mehr zumutbare Arbeitsangebote. „Wir wollen Arbeit statt Finanzierung von Arbeitslosigkeit. Dazu braucht es den Aufbau von stabilen Strukturen“, heißt es in der Stellungnahme.