Arm trotz Arbeit: Niedriglohnland Deutschland – „brauchen mehr Lohngerechtigkeit“

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Neue Zahlen zeigen: Viele Menschen in Deutschland haben kaum genug Geld zum Leben – trotz Arbeit. Im EU-Vergleich steht Deutschland schlecht da.

Berlin – Deutschland ist Niedriglohnland. Das verdeutlichen neu veröffentlichte Zahlen der Bundesregierung, denen eine kleine Anfrage der Linken im Bundestag vorausging. Zwar ging der Anteil der Schlechtverdienenden zuletzt etwas zurück, im internationalen Vergleich steht die Bundesrepublik aber unterdurchschnittlich da. Besonders ostdeutsche Bundesländer sind betroffen. Für die Linke ist das keine Überraschung – und ein Grund für Erfolge der AfD.

Jeder Fünfte in Ostdeutschland unter Niedriglohnschwelle

Im Jahr 2023 zählten rund 3,36 Millionen sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte zu sogenannten Niedriglohnempfängern. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung und Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor, die IPPEN.MEDIA exklusiv vorliegen. Das entspricht einem Anteil von 15,3 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter. Als Niedriglohn gelten Einkommen, die unter zwei Dritteln des Median-Bruttostundenverdiensts liegen. 2023 lag die Niedriglohnschwelle bei 13,04 Euro. Zum Vergleich: Der derzeitige Mindestlohn liegt bei 12,41 Euro. Heißt: fast jeder siebte Vollzeitarbeitende verdient in Deutschland so wenig, dass sein Gehalt oft nicht existenzsichernd ist.

Deutlicher ist die Lage in den neueren Bundesländern. So verdiente 2019 noch fast jeder dritte (30,4 Prozent) Vollzeitbeschäftigte unterhalb der Niedriglohnschwelle. Zum jüngsten Stichtag, dem 31. Dezember 2023, lag der Wert bereits deutlich darunter, aber noch immer bei 22,4 Prozent. Im Bundesschnitt sind die mittel- und ostdeutschen Bundesländer damit stark überrepräsentiert. Die fünf am stärksten betroffenen Landkreise liegen allesamt in Ostdeutschland.

Im Osten verdienen die Menschen weniger

Für Susanne Ferschl, gewerkschafts- und arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, ist das keine neue, aber trotzdem eine bittere Erkenntnis: „Es ist über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht hinnehmbar, dass gleiche Arbeit in Ostdeutschland systematisch schlechter entlohnt wird als in Westdeutschland. Wenn nach den Wahlergebnissen in Sachsen und Thüringen in den Talkshows dieses Landes wieder über die Frage debattiert wird, was die AfD so stark macht, darf dies nicht vergessen werden“, sagt Ferschl gegenüber IPPEN.MEDIA.

Von insgesamt 40 Millionen arbeitenden Menschen in Deutschland lag der Bruttostundenlohn im April 2023 bei 19,17 Euro. Auch hier zeigt sich ein deutlicher Unterschied der Regionen. So lag der durchschnittliche Stundenlohn im Westen bei 19,50 Euro, in den ostdeutschen Bundesländern bei nur 17,23 Euro. Und auch die Geschlechterungleichheit wird an den Zahlen deutlich: Im Gesamtschnitt bekamen Männer 20,29 Euro, Frauen dagegen nur 18,04 Euro.

Hohe Gehälter im Westen überdurchschnittlich oft

Die Entwicklung unterschiedlicher Löhne zeigt sich bei den Zahlen der Arbeitsagentur auch im Zeitverlauf ab 2010. Im Westen verdienten damals rund drei Millionen Menschen trotz Vollzeit nur zwischen 1000 und 2000 Euro brutto. Im Osten – obwohl dort nicht mal ein Viertel so viele Menschen in Vollzeit angestellt waren – waren es ganze 1,5 Millionen Menschen. Der Niedriglohnsektor war in den neuen Bundesländern also massiv überrepräsentiert.

Und die heutige Situation? Bei niedrigen Gehältern ist die enorme Schieflage etwas abgeflacht, trotzdem noch vorhanden. Wo die Schere dagegen weiterhin riesig ist: bei hohen Gehältern. Im Westen arbeiteten 2023 etwa 4,5 Mal so viele Menschen als im Osten, aber rund 7 Mal so viele von denen, die monatlich zwischen 4000 und 6000 Euro brutto verdienten. Bei Gehältern über 6000 Euro pro Monat sind es im Westen beinahe 8 Mal so viele.

Niedriglohnsektor in Deutschland über EU-Durchschnitt

Für die Linken-Politikerin Ferschl ist angesichts dieser Zahlen klar, was hilft: „Ein Mindestlohn, der die Niedriglohnschwelle nicht unterschreitet und mehr Tarifverträge durch eine Stärkung der Tarifbindung“, sagt die Ostallgäuer Bundestagsabgeordnete. Ferschl macht Druck auf die Ampel-Koalition: „Wenn die Bundesregierung den Rechtsruck bekämpfen will, braucht es unter anderem mehr Lohngerechtigkeit und einen starken Sozialstaat.“ Die Linke fordert einen Mindestlohn von 15 Euro.

Im EU-Vergleich steht Deutschland beim Niedriglohn nicht gut da. Zum letzten Erhebungsstand aus dem Jahr 2018 hatte Deutschland eine Niedriglohnempfänger-Quote von 20,68 Prozent. Der EU-Schnitt lag damals bei 15,22 Prozent. Einen höheren Anteil als Deutschland hatten etwa Polen, Bulgarien oder Lettland.

Im Vergleich zu Werten aus dem Jahr 2010 steht Deutschland aber schon besser da. Menschen, die trotz Vollzeitbeschäftigung weniger als 2000 Euro brutto verdienen, werden konstant weniger. Auch die Entwicklung des Medianverdienstes, also des mittleren Wertes mit gleich vielen höheren und niedrigeren Einkommen, hat sich zwischen 2010 und 2023 nach oben entwickelt. So lag er damals bei 2704 Euro monatlich, zum letzten Stichtag dann bei 3796 Euro. Zu beachten ist dabei aber jeweils, dass auch die Inflation stets nach oben ging und höhere Löhne deshalb nicht mit mehr frei verfügbarem Geld gleichzusetzen sind.

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