Millionen Rentner zahlen doppelte Krankenkassenbeiträge: „Staatlich abgesegneter Betrug“

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Älterer Mann sitzt im Frühjahr an der Hamburger Binnenalster und schaut auf das Wasser. (Symbolbild) © Chris Emil Janssen/IMAGO

Die Doppelverbeitragung bei Betriebsrenten ist ein langjähriges Problem. Trotz Entlastungsversuchen der Bundesregierung bleibt die Unzufriedenheit groß.

München – In Deutschland sind etwa 21 Millionen Menschen berechtigt, eine Betriebsrente zu beziehen, wie das Bundesarbeitsministerium im letzten Jahr bekannt gab. Dies ist eine erfreuliche Entwicklung, da das Rentensystem in Deutschland auf einem Drei-Säulen-Modell basiert. Die gesetzliche Rente, die betriebliche Altersvorsorge und die private Vorsorge sollen zusammen dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger im Alter finanziell abgesichert sind. Wer sich ausschließlich auf die gesetzliche Rente verlässt, kann schnell in finanzielle Schwierigkeiten geraten: Durchschnittlich können Rentnerinnen und Rentner nur mit einer monatlichen Rente von 1.500 Euro rechnen.

Doppelverbeitragung der Rente: Darum zahlen Rentner doppelt für die Krankenkasse

Die Altersvorsorge in Deutschland funktioniert am besten, wenn Rentnerinnen und Rentner im Alter mehrere Einkommensquellen haben. Daher ist es wenig überraschend, dass die sogenannte „Doppelverbeitragung“ für diese Gruppe seit Jahren ein Ärgernis ist. Denn wer neben einer gesetzlichen Rente auch eine Betriebsrente erhält, muss derzeit sowohl auf die Rente als auch auf die Betriebsrente Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zahlen.

Dies hat folgenden Grund: Gemäß Sozialgesetzbuch (SBG) müssen Krankenkassenbeiträge auf alle Einkünfte einer Person gezahlt werden. Allerdings nur bis zu einer jährlich anzupassenden Obergrenze, der Beitragsbemessungsgrenze. 2024 liegt diese bei 62.100 Euro. Alle Einkünfte einer Person werden also addiert – und wenn die Gesamtsumme unter der Beitragsbemessungsgrenze liegt, müssen auf alle Einkünfte Beiträge gezahlt werden. Alles, was darüber hinausgeht, ist beitragsfrei.

Renten jeglicher Art sind von diesen Regeln nicht ausgenommen. Da Rentnerinnen und Rentner in der Regel nicht mehr als 69.300 Euro im Jahr zur Verfügung haben, zahlen sie auch auf alle Einkünfte ihre Beiträge - und das eben auch doppelt.

Entlastung für Rentner: Freigrenze für Betriebsrente reicht vielen nicht

Um dieses Problem zu lösen, hat die Bundesregierung vor einigen Jahren einen Freibetrag für Betriebsrenten eingeführt. Bis zu 176,75 Euro im Monat sind beitragsfrei. Dies entlastet Rentnerinnen und Rentner mit einer kleinen Betriebsrente zumindest etwas. Laut Bundesgesundheitsministerium entspricht dies einer jährlichen Entlastung von 1,2 Milliarden Euro.

Thomas L. ist Rentner. Aus der gesetzlichen Rentenversicherung bekommt er eine monatliche Rente von 1.500 Euro. Dazu hat er noch eine betriebliche Rente in Höhe von 600 Euro im Monat. Seine jährlichen Einkünfte belaufen sich also auf 25.200 Euro (brutto). Das liegt deutlich unter der Beitragsbemessungsgrenze von aktuell 62.100 Euro im Jahr, deshalb muss Thomas auf beide Einkünfte Beiträge zahlen.

Auf die Betriebsrente gilt ein Freibetrag von 176,75 Euro. Thomas muss also nur auf 423,25 Euro KV-Beiträge zahlen. Seine Krankenkasse fordert einen Beitrag in Höhe von 14,6 Prozent, auf die Betriebsrente zahlt er also 61,79 Euro für die Krankenkasse im Monat.

Bei der gesetzlichen Rente gilt ein einheitlicher Satz von 14,6 Prozent, den Rentner nur zur Hälfte zahlen müssen. Die Rentenversicherung überweist diesen zusammen mit ihrem Anteil direkt an die Krankenkasse. Thomas L. zahlt auf die gesetzliche Rente monatlich 109,50 Euro als KV-Beitrag.

Insgesamt zahlt Thomas jeden Monat also 178,07 Euro an seine Krankenkasse.

Diese Entlastung ist für die Millionen von Rentnerinnen und Rentnern jedoch nicht ausreichend. Besonders ärgerlich ist die „Doppelverbeitragung“ bei Direktversicherungen, die bereits Jahrzehnte vor der Einführung der Regelung im SGB abgeschlossen wurden. Denn auch wer eine Einmalzahlung aus einer Direktversicherung erhält, die über den Arbeitgeber abgeschlossen wurde, muss Krankenkassenbeiträge zahlen.

Ampel will Lösungen für doppelte Beiträge von Rentnern finden

Ein Beispiel dafür liefert eine Betroffene in der WirtschaftsWoche. Sie erhielt 2017 aus ihrer in den 80er Jahren abgeschlossenen Direktversicherung einmalig 70.000 Euro. Obwohl die Versicherung über ihren Arbeitgeber lief, hat dieser nie Beiträge geleistet. Dennoch gilt diese Versicherung als Betriebsrente, auf die nun Krankenkassenbeiträge fällig werden. 100 Euro im Monat für zehn Jahre, berichtet die Frau. Sie bezeichnet dies als „staatlich abgesegneten Betrug“.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat bereits mehrfach angekündigt, eine Lösung für dieses Problem finden zu wollen. Doch bisher gibt es keinen Vorschlag – und die Ampel-Koalition hat nur noch ein Jahr Zeit.

Krankenkassen müssen Beiträge erhöhen - Entlastung für Rentner daher schwierig

Die Abschaffung der „Doppelverbeitragung“ bei Betriebsrenten dürfte bei den Krankenkassen auf wenig Verständnis stoßen. 2024 rechnen die gesetzlichen Kassen mit einem Defizit von 3,5 Milliarden Euro – und die Tendenz ist steigend. Die Kassen sehen sich immer mehr gezwungen, die Beiträge zu erhöhen. Dies hat auch mit der Krankenhausreform des Gesundheitsministers zu tun. Demnach müssen die gesetzlichen Kassen einen Teil der Reform finanzieren, was zu einer Erhöhung der Beiträge führen wird.

Zwischen 2026 und 2035 planen Bund und Länder, einen Transformationsfonds in Höhe von 50 Milliarden Euro einzurichten, aus dem Krankenhäuser Geld für Investitionen erhalten sollen. Die Hälfte der Kosten sollen Bund und Länder tragen - die andere Hälfte wird auf die Krankenkassen umgelegt. In dieser angespannten finanziellen Situation kann die Bundesregierung den Kassen keine Einnahmeverluste zumuten.

Es muss also eine andere Lösung gefunden werden, wenn dies politisch gewünscht ist. Eine Möglichkeit könnte sein, die „Doppelverbeitragung“ über die Steuer der Rentnerinnen und Rentner abzurechnen – doch dafür müssten die Betroffenen erst eine Steuererklärung abgeben. Die WirtschaftsWoche berichtet nun, dass die Regierung zusätzliche fiskalische Möglichkeiten „prüft“, aber es „dauert noch an“. Wenig konkret, wenig vielversprechend.

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