Lohn statt Bürgergeld für Geflüchtete aus der Ukraine: „Job-Turbo ist ein großer Erfolg“

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Erfahrungsaustausch: Im Jobcenter trafen sich Mitarbeiter, Arbeitgeber und Bundestagsabgeordneter Karl Bär (Grüne, 4.v.re.), um über den Job-Turbo zu sprechen. © Arndt Pröhl

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Karl Bär informiert sich über den Job-Turbo. Einige Ukrainer konnten dadurch an Arbeitgeber vermittelt werden.

Bad Tölz-Wolfratshausen – Ukrainische Geflüchtete in Arbeit bringen: Das ist das Ziel des „Job-Turbos“, den Bundesarbeitsminister Hubertus Heil Ende 2023 zündete. Ob und wie gut die Vermittlung funktioniert, darüber wollte sich Bundestagsabgeordneter Karl Bär (Grüne) im Jobcenter Bad Tölz-Wolfratshausen informieren. Geschäftsführer Fabian Wilhelm hatte aber auch Arbeitgeber eingeladen, die aus ihrer Sicht schildern sollten, was gut läuft und an welchen Stellen es hakt.

„Sehr ressourcenintensiv“: Arbeitsagentur vermittelt Ukrainer in Jobs

Der Job-Turbo funktioniert, davon ist Wilhelm überzeugt. Seit das Programm angelaufen ist, seien „die Abgänge in Arbeit deutlich gestiegen“. Generell habe Bayern unter den Bundesländern die besten Zahlen. 94 Vermittlungen von Ukrainern in Jobs habe man heuer schon im Landkreis registriert. „Aus unserer Sicht ist der Job-Turbo ein großer Erfolg“, sagte der Geschäftsführer. Allerdings steckt das Jobcenter auch viel Engagement in das Projekt, organisiert Jobmessen, Job-Speeddatings und andere Formate, um Arbeitgeber mit potenziellen Mitarbeitern zusammenzubringen. „Es ist sehr ressourcenintensiv“, bekannte Wilhelm.

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Für den Erfolg braucht es Arbeitgeber, die bereit sind, Geflüchtete einzustellen. Hier konnte Wilhelm nur an alle appellieren, „diesen Menschen eine Chance zu geben“. Das sieht Elisa Weiß von der Firma AK Personalmanagement ähnlich. Das Unternehmen mit einer Niederlassung in Geretsried vermittelt Personal – oft mit Migrationshintergrund – direkt oder in Zeitarbeit an Betriebe.

Knackpunkt bei der Vermittlung ist oft die Sprache

Mit der reinen Vermittlung ist es aber nicht getan. „Wir helfen bei der Wohnungssuche, bei Bankgeschäften, regeln Behördengänge oder unterstützen beim Stellen von Anträgen“, erklärte Geschäftsführerin Alexandra Kausek. Aber auch in den Betrieben geht die Betreuung weiter. Sie fahre einmal pro Woche in die Unternehmen und frage, ob alles gut laufe, schilderte Weiß. „Der Aufwand ist groß, aber es lohnt sich.“ Knackpunkt bei der Vermittlung sei oft die Sprache. „Hier sind Firmen oft nicht bereit, sich die nötige Zeit zu nehmen.“ Aber es lohne sich, auf die Unternehmen zuzugehen. „Wir bitten darum: Gebt den Menschen eine Chance, schaut ihn euch vielleicht mal eine Woche an. In jedem steckt ein Talent“, so Weiß.

Erkannt hat das Andreas Munkert, Geschäftsführer der Frisia-Rehaklinik und Vorsitzender des Unternehmervereins „Wir für Tölz“. Er sieht in den Flüchtlingswellen der vergangenen Jahre „keine Belastung, sondern eher eine Chance“, sagt er mit Blick auf den demografischen Wandel und die Personallücken in vielen Branchen, die sich nicht mehr schließen lassen. „Ohne Migration wird es nicht gehen. Wir haben einen Arbeitskräftemangel, wie es ihn in Deutschland noch nie gegeben hat.“ Wilhelm bekräftigte das: „Das Inländerpotenzial ist aufgebraucht.“ Die Lage erfordere auch von Arbeitgebern ein zunehmendes Maß an Flexibilität. „Man muss sich anpassen, oder man stirbt“, sagte Munkert. Er selbst bezahlt seinen Mitarbeitern beispielsweise Deutschkurse an der Volkshochschule, weil das Niveau aus den Integrationskursen nicht reicht. „Das ist es mir wert“, sagt Munkert.

Ausländische Abschlüsse werden oft nicht anerkannt

Problematisch aus seiner Sicht ist, dass ausländische Abschlüsse nicht anerkannt werden. Darum arbeiten ein ukrainischer Arzt, der zu Hause eine Klinik leitete, und eine Sporttherapeutin derzeit als Hilfskräfte bei ihm – noch dazu, ohne dass ihm das auf die Fachkraftquote angerechnet werden könne. Er habe „ein halbes Jahr bei der Hotline angerufen“, aber noch nicht einmal jemanden ans Telefon bekommen, mit dem er über das Thema Anerkennung habe sprechen können, sagte Munkert. Bär weiß um das Problem, „dass Deutschland sehr stark auf Zertifikate setzt“. Letztlich seien für das Thema Anerkennung von Abschlüssen aber die Bundesländer verantwortlich. „Es liegt in deren Zuständigkeit.“ Aber auch er kenne natürlich Fälle, „wo jemand seinen ukrainischen Busführerschein erst in Spanien hat anerkennen lassen, bevor er ihn in Deutschland hat umschreiben lassen, weil es einfacher ist“.

Für Frust bei Arbeitgebern sorgt auch, wenn ausgerechnet gut integrierte Flüchtlinge mit Arbeitsstelle abgeschoben werden. Da frage man sich, warum das so sei, sagte Weiß. „Diese Blöße dürfen wir uns als Staat nicht geben, dass wir die, die kooperieren, abschieben“, während andere, die Probleme machen, durchs Netz schlüpfen, weil man ihrer nicht habhaft wird, so Bär. (va)

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