Ex-Soldat aus Nordkorea packt aus: „Für Kim Jong-un zu sterben, ist eine Ehre“
Seit Monaten kämpfen Soldaten aus Nordkorea im Ukraine-Krieg. Viele von ihnen wurden verwundet oder getötet. Ein Insider erklärt, welche Schwierigkeiten Kims Kämpfer im Einsatz haben.
Hyun-Seung Lee kennt Nordkoreas Armee von innen: Drei Jahre lang diente er im Militär des abgeschotteten Landes. Heute beobachtet er von Washington aus den Einsatz von Kim Jong-uns Soldaten im Ukraine-Krieg. Tausende von ihnen sollen bereits verletzt oder getötet worden sein. „Ich denke, sie haben zwei Hauptprobleme“, sagt Lee über Kims Kämpfer.
Herr Lee, Sie wurden 2002 zum Militär eingezogen, wenige Jahre, nachdem Nordkorea von einer verheerenden Hungersnot heimgesucht wurde.
Ja, der „Beschwerliche Weg“, wie die Propaganda diese Zeit nennt, war gerade erst überstanden. Viele der Soldaten waren noch unterernährt, als ich zum Militär gekommen bin, sie waren klein und dünn. Die Lage wurde dann aber schnell besser, weil die internationale Gemeinschaft begann, Lebensmittelhilfen nach Nordkorea zu schicken. Das war die Zeit, als sich Nordkorea an Südkorea und die USA angenähert hat. Und obwohl es mir also besser ging als der Soldaten-Generation vor mir, hatten wir fast nur Reis zu essen, kaum Gemüse und Fleisch. Rund die Hälfte der Zeit waren wir deshalb mit landwirtschaftlicher Arbeit beschäftigt, wir mussten unsere eigenen Nahrungsmittel anbauen.
Und die restliche Zeit?
Wir wurden auch im Straßenbau eingesetzt. Sehr viel Zeit mussten wir zudem mit politischer Indoktrination verbringen, jeden Tag zwei Stunden. Eine Stunde lang mussten wir etwas über die Kim-Familie lernen, eine weitere Stunde über Militärgeschichte. Das war totale Hirnwäsche – uns wurde zum Beispiel erzählt, dass Nordkorea über die stärkste Armee der Welt verfügen würde. Ich war damals ein junger Mann und hatte keinen Zugang zu anderen Informationen, also habe ich das natürlich geglaubt. Auch wenn die Wirklichkeit ganz anders aussah.
Nordkorea-Soldaten im Ukraine-Krieg: „Jeder Soldat bekam nur drei Patronen zugewiesen“
Zur Person
Hyun-Seung Lee wurde 1985 in eine wohlhabende und privilegierte nordkoreanische Familie geboren. Als 17-Jähriger begann er seinen Wehrdienst in der Armee des Kim-Regimes. Wegen guter Leistungen in der Schule musste er nur drei statt der sonst üblichen zehn Jahre dienen und konnte anschließend ein Studium in Pjöngjang beginnen. Später zog er zusammen mit seiner Familie nach China, wo er im Auftrag des Regimes für eine nordkoreanische Schifffahrtsgesellschaft arbeitete.
Nach der Hinrichtung von Jang Song-thaek, dem Onkel von Diktator Kim Jong-un, entschlossen sich Lee und seine Familie zur Flucht – sie hätten sich in China, damals der engste Verbündete des nordkoreanischen Regimes, nicht mehr sicher gefühlt. „Wir hatten Angst, die nächsten zu sein“, sagt er. Nach einer Station in Südkorea reiste Hyun-Seung Lee schließlich in die USA aus. Heute arbeitet er in Washington für die Organisation Global Peace Foundation.

Und zwar?
Ich war zunächst bei einer Einheit stationiert, deren Aufgabe es war, die Westküste Nordkoreas gegen einen möglichen Angriff des Südens zu verteidigen. Später wurde ich zu einer Einheit versetzt, die anderen Teilen der Armee Kampftechniken beibringen sollte. Also ganz klassische Nahkampftechniken, Mann gegen Mann, aber auch den Umgang mit Nahkampfwaffen, Messern und Pistolen zum Beispiel. Weil wir aber kaum Munition zum Üben hatten, bekam jeder Soldat nur drei Patronen zugewiesen – pro Jahr! Auch die ganzen Hightech-Waffen, die das Regime auf seinen Militärparaden immer präsentiert, konnten wir nie im Training nutzen.
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Nordkoreas Elite-Soldaten vom „Storm Corps“: hochgewachsen, aber unterernährt
Sie beobachten heute von Washington aus die Entwicklungen in Nordkorea. Wie hat sich das Militär des Landes seit Ihrer Zeit bei der Armee verändert?
Ich habe mit ehemaligen Militärangehörigen gesprochen, die erst in den letzten Jahren aus Nordkorea geflohen sind. Und auch sie mussten noch immer in der Landwirtschaft arbeiten, um genügend zu essen zu haben. Außerdem haben sie mir erzählt, dass sie noch immer nur drei Patronen pro Jahr für Schießübungen bekommen. Viel hat sich also nicht verändert.
Im Ukraine-Krieg setzt Kim Jong-un Berichten zufolge eine Eliteeinheit namens „Storm Corps“ ein.
Während meiner Zeit beim Militär habe ich auch Mitglieder des „Storm Corps“ in Kampftechniken ausgebildet. Jede Einheit hatte ein Spezialgebiet, zum Beispiel gab es dort Fallschirmjäger oder Scharfschützen. Die Mitglieder des „Storm Corps“ waren besonders hochgewachsen, aber auch sie waren anfangs noch unterernährt. Es heißt, dass Kim Jong-un nun viel in diese Einheit investiert hat, ich denke also, dass sie deutlich besser ernährt und besser ausgebildet sind als damals.
Über die im Ukraine-Krieg eingesetzten nordkoreanischen Soldaten wissen wir nicht viel. Die meisten Erkenntnisse stammen aus der Befragung gefangener Soldaten sowie von Dokumenten, die auf dem Schlachtfeld gefunden wurden. Sie haben viele dieser Belege ausgewertet.
Anfangs gab es viele Falschmeldungen, in den sozialen Netzwerken wurden gefälschte Videos geteilt sowie Fotos von angeblichen Personaldokumenten aus Nordkorea, die sich aber ebenfalls als Fälschungen herausgestellt haben. Mittlerweile sind aber viele Dokumente aufgetaucht, die ich für authentisch halte, die tatsächlich von nordkoreanischen Soldaten stammen. Man erkennt das zum Beispiel daran, dass dort Ausdrücke verwendet werden, die nur in Nordkorea verwendet werden, nicht aber in Südkorea.
Nordkoreanische Soldaten im Ukraine-Krieg: „Ich denke, sie haben zwei Hauptprobleme“
Was haben Sie aus den Dokumenten über die nordkoreanischen Soldaten gelernt? Mit welchen Schwierigkeiten haben sie zu kämpfen?
Ich denke, sie haben zwei Hauptprobleme. Das erste ist, dass sie nicht gut ausgebildet sind, besonders im Kampf gegen Drohen und andere fortschrittliche Technologie. Ein Dokument zeigt zum Beispiel, wie die Soldaten sich bei einem feindlichen Drohnenangriff verhalten sollen. Zu sehen ist darauf eine einfache Zeichnung: ein Strichmännchen, das die Drohne ablenkt, und zwei, die auf sie schießen. Die Soldaten haben offenbar keinerlei Erfahrung in einem solchen Hightech-Krieg. Dass ein Soldat quasi die Beute für die Drohne spielen muss, das macht mich schon traurig.
Und das zweite Problem?
Das ist die Kommunikation mit den russischen Soldaten. Die Nordkoreaner können kein Russisch, die Russen kein Koreanisch. Zudem haben sie keine Motivation, zu kämpfen. Sie sind mit der Situation und der Umgebung in Russland nicht vertraut, es ist ihr erster Besuch in einem fremden Land. Außerdem ist es dort sehr kalt, und das Essen bekommt ihnen wahrscheinlich auch nicht.
Die ukrainischen Truppen konnten bislang kaum Gefangene unter den nordkoreanischen Soldaten machen. Angeblich bringen sich diese lieber um, als in Gefangenschaft zu geraten.
Ja, ich halte diese Berichte für glaubwürdig. Denn in Nordkorea wird man ins Gefängnis geworfen, wenn man vom Feind gefangengenommen und später wieder freigelassen wird. Und Gefängnis – das ist das schlimmste, das einem in Nordkorea passieren kann. Ich kann mir also gut vorstellen, dass sich diese Soldaten das Leben genommen haben, um ein solches Schicksal zu vermeiden. Uns wurde in Nordkorea immer wieder beigebracht: Für den Anführer zu sterben, ist eine Ehre, es ist das ultimative Ziel unseres Lebens.

„Die Allianz mit Wladimir Putin ist für Kim Jong-un extrem wichtig“
Was ist in Ihnen vorgegangen, als Sie die Videoaufnahmen der zwei nordkoreanischen Soldaten gesehen haben, die von der Ukraine gefangengenommen wurden?
Einerseits freue ich mich für diese Soldaten, weil sie den Krieg nun hinter sich haben. Es ist ja ein Krieg, der nicht der ihre ist, und sie hatten nie eine Wahl, ob sie kämpfen wollen oder nicht. Ich hoffe, dass man sie in ein freies Land entlässt, zum Beispiel nach Südkorea. Für ihre Familien, daheim in Nordkorea, könnte das allerdings zu einem Problem werden. Man wird sie als Verräterfamilien betrachten, was viele Probleme mit sich bringt.
Einige Experten glauben, dass Kim Jong-un viele Tausend weitere Soldaten in den Ukraine-Krieg schicken können. Sehen Sie das genauso?
Kim Jong-un lässt seine Soldaten gegen die Ukraine kämpfen, damit sie Kriegserfahrung sammeln – für einen möglichen Konflikt mit Südkorea. Er will die koreanische Halbinsel mit Gewalt wiedervereinigen, und dazu braucht er gut ausgebildete Soldaten. Nun sind aber in Russland sehr viele der nordkoreanischen Soldaten getötet oder verletzt worden, insgesamt 30 oder 40 Prozent. Das könnte Kim zögern lassen, weitere Soldaten zu schicken. Andererseits ist er auf Russland angewiesen, das dürfte also seine Entscheidung beeinflussen. Zudem lässt er sich gut von Russland bezahlen.
Wie wichtig ist Russland für Nordkorea?
Die Allianz mit Wladimir Putin ist für Kim extrem wichtig. Als Kim Ende 2011 an die Macht gekommen ist, war China noch der wichtigste Verbündete von Nordkorea. Ein Jahr später stieg in China aber Xi Jinping zum neuen mächtigen Mann auf. Dass Xi zunächst Südkorea besucht hat und erst Jahre später erstmals nach Nordkorea gereist ist, das hat ihm Kim nie verziehen. Auch von den USA ist er enttäuscht. Kim Jong-un hat sich mehrfach mit Donald Trump in dessen erster Amtszeit getroffen, aber ohne jedes Ergebnis. Russland hingegen nimmt ihn ernst, er wird also an der Allianz mit Putin festhalten. Auch wenn das heißt, noch mehr Soldaten im Ukraine-Krieg zu opfern.