Wie wird China reagieren? Xi Jinping könnte Kim Jong-un zurückpfeifen oder gewähren lassen: Mehr Kräfte aus Nordkorea in der Ukraine sind möglich.
Kursk – „Eine zweite Welle nordkoreanischer Infanterie ist unvermeidlich und wird eintreffen, bevor die verbleibenden 12.000 Soldaten ausgelöscht sind“, sagt Oleksandr Kovalenko. Den Politikwissenschaftler des Netzwerks Information Resistance Group zitiert jetzt das Magazin Defense Express. Unter der Prämisse, dass nordkoreanische Engagement einen Testlauf für Kim Jong-uns Ambitionen gegenüber Südkorea darstellt, könnte Nordkorea Wladimir Putins Invasionstruppen tatsächlich umfangreicher unterstützen.
Jacob Strokes hat parallel gemutmaßt, dass China möglicherweise seine Haltung zu der aktuellen Entwicklung geändert haben könnte. „Peking ist über alles froh, was Russland zum Sieg verhilft und nichts kostet“, schreibt der Analyst aktuell im Magazin Foreign Policy. Mit Lieferungen von Munition, Waffen und jetzt auch Menschen wolle sich Kim Rückendeckung verschaffen für seinen Einfluss auf Südkorea, vermutet Sang Hun Seok laut Newsweek. Der Analyst für Geopolitik am britischen Thinktank Royal United Services Institute (RUSI) prognostiziert, „Pjöngjang könnte noch abenteuerlustiger werden, da es erwartet, dass die russische Unterstützung eine heftige Reaktion sowohl von Seoul als auch von Washington verhindern würde.“
Ukraine-Krieg: Südkorea will seine Zurückhaltung gegenüber Wladimir Putin wohl aufgeben
Der britische Independent hat kürzlich berichtet, dass offenbar Südkorea seine Zurückhaltung gegenüber Wladimir Putin aufgeben beziehungsweise zumindest überdenken will. Sollte das geschehen, könnte Kim Jong-un tatsächlich begründen, sich noch umfangreicher in der Ukraine zu engagieren. Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, „besteht das Risiko, dass Nordkorea zusätzliche Truppen und militärische Ausrüstung an die russische Armee schickt‘, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf X (vormals Twitter), nachdem er einen Bericht seines obersten Militärkommandeurs Oleksandr Syrskyi erhalten hatte“.
„Anstatt China um Eingreifen zu bitten, sollten die USA und ihre Verbündeten ihre Bemühungen besser darauf verwenden, natürliche Reibungspunkte zwischen Nordkorea und Russland zu identifizieren und zu verschärfen.“
„Auch China bereitet dies erhebliche Kopfschmerzen, denn als asiatische Macht will das Land die Stabilität in der Region aufrechterhalten und die USA und ihre Verbündeten in Schach halten, während es gleichzeitig mit einer schwächelnden Wirtschaft im eigenen Land zu kämpfen hat“, schreibt Brendan Cole für den Guardian. Das Blatt hatte dazu Matthew Miller zitiert. Demnach habe Washington Peking mitgeteilt, die Anwesenheit nordkoreanischer Truppen im russischen Kriegseinsatz „sollte für China Anlass zur Sorge sein“, wie sich der Sprecher des US-Außenministeriums geäußert habe.
Jacob Strokes sieht das differenzierter: Er erachte als unwahrscheinlich, dass Peking Nordkoreas militärisches Vorpreschen für Russland einbremsen oder gar stoppen würde. Seiner Überzeugung nach habe China sowohl rhetorisch als auch diplomatisch klargemacht, dass Russland in der Ukraine nahezu über eine Blanko-Vollmacht verfüge; Peking wolle auch vermeiden helfen, was der russische Präsident Wladimir Putin eine „strategische Niederlage“ nannte.
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Trump-Plan: Das könnte dazu beitragen, dass Russland nochmals alle möglichen Kräfte mobilisieren würde
Der Westen beziehungsweise die USA wären dann nicht mehr in der Unterstützung der Ukraine gebunden, und China hätte einen mächtigen Verbündeten verloren – der Kreis um das eigene kommunistische Lager würde sich enger ziehen, und die Ukraine könnte ebenfalls zu einem mächtigen Gegner heranwachsen. China würde isolierter als zuvor dastehen. Insofern kann China der Krieg in der Ukraine gar nicht lange genug anhalten. Strokes rechnet aber damit, dass Chinas Machthaber Xi Jinping davon ausgeht, dass Donald Trump als der kommende Präsident der USA auf einen Waffenstillstand aufgrund der bestehenden Frontlinien drängen werde.
Auch das könnte dazu beitragen, dass Russland erneut alle möglichen Kräfte mobilisieren würde, um die Front nochmals um so viele Kilometer wie möglich in die Ukraine hineinzudrücken. Wie Swetlana Schtscherbak für den Defense Express berichtet, ist das in der Region Kursk wohl auch gelungen. Von den fast 1.000 Quadratkilometern, die die Ukraine Anfang November kontrolliert hatte, sollen nur noch etwas mehr als 600 Kilometer übrig geblieben sein. Dafür seien rund 90 nordkoreanische Soldaten täglich gefallen, also nahezu eine Kompanie pro Tag, schreibt der Defense Express.
Das wiederum könnte für Kim ein Grund sein, eher vorsichtig zu agieren, vermutet Choe Sang-Hun. Der Autor der New York Times (NYT) hatte bereits im Oktober gemutmaßt, für die nordkoreanischen Soldaten könnte die Versetzung an die Front das Tor zur Freiheit bedeuten, was er an der Aussage eines ehemaligen Deserteurs festmachte: „Man kann die Menschen auf einem Schlachtfeld nicht so gut kontrollieren wie in sibirischen Wäldern oder libyschen Wüsten“, sagte Lee Min-bok, ein nordkoreanischer Überläufer in Seoul. „Ich erwarte, dass immer mehr nordkoreanische Soldaten ihre Einheiten verlassen werden, je länger der Krieg andauert.“
Offensive läuft weiter: Mit den erreichten Gebietsgewinnen könnte sich Moskau zum Sieger erklären
Verschmerzen könnte das der nordkoreanische Diktator. 1,3 Millionen Menschen soll er unter Waffen haben; daneben noch mehr als sieben Millionen in Reserve, im Ganzen also rund ein Drittel der gesamten Bevölkerung, rechnet Darcie Draudt-Véjares vor. Die Analystin des US-Thinktanks Carnegie Endowment geht davon aus, dass Russland durch die nordkoranischen Hilfstruppen mehr erreichen wolle als lediglich taktische Vorteile auf dem ukrainischen Gefechtsfeld. Durch eine Durchmischung russischer Einheiten mit nordkoreanischen Truppen könnte Russland versuchen, die globale Sicherheitsarchitektur neu zu definieren.
Für Jacob Strokes zählt dafür jeder Quadratkilometer, den Russland unter Kontrolle hat – egal, wann der Krieg endet oder mittels eines Waffenstillstands vorerst still steht – zwischen Nord- und Südkorea besteht schließlich noch kein formell beschlossener Frieden. Würde Russland mit den bisher erreichten Gebietsgewinnen aus dem Konflikt hervorgehen, könnte dazu führen, dass sich Moskau öffentlich zum Sieger erklärt, befürchtet der Autor von Foreign Policy: „Für China wäre dieser Ausgang ein Signal an Taiwan, dass Großmächte selbst angesichts der Intervention demokratischer Partner Territorien erobern können, wenn die Invasionsmacht nur lange genug durchhält, um zu siegen“, wie er schreibt.
Für Eric J. Ballbach bedeute sowohl die Verlegung nordkoreanischer Soldaten in den Ukraine-Krieg eine Bedrohung der militärischen Integrität Europas als auch die offenbar herausfordernd dargestellte Opferbereitschaft des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un: „Die Entsendung mehrerer Tausend nordkoreanischer Soldaten nach Russland stellt nicht nur eine bedeutende Eskalation und Ausweitung des russischen Krieges gegen die Ukraine dar, sondern signalisiert den Übergang zu einer neuen Ebene der russisch-nordkoreanischen Verteidigungskooperation“, schreibt der Analyst des deutschen Thinktanks Stiftung Wissenschaft und Politik.
Überholt: Pekings Paranoia, Russland und Nordkorea könnten hinterm Rücken konspirieren, ist Geschichte
„Berichten des südkoreanischen Geheimdienstes zufolge wurden die in Russland eingesetzten nordkoreanischen Soldaten mit russischen Militäruniformen und gefälschten Ausweispapieren ausgestattet. Damit könnte sichergestellt werden, dass die Truppen nicht mehr Nordkorea, sondern Russland zuzurechnen wären“, hat das Magazin Legal Tribute Online geschrieben – Nordkorea bliebe dann weiterhin als Kriegspartei außen vor und könnte somit womöglich mit in Russland eingebürgerten Soldaten irgendwann in Putins Diensten auch gen Baltikum marschieren.
Die entscheidende Frage wäre dann, wie China reagieren würde. Carla Freeman und Naiyu Kuo sehen Xi Jinping durch Kims Vorstoß in die Bredouille manövriert. „Wird China in der Lage sein, die Distanz zu dem Konflikt, die es zu wahren versucht hat, aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Moskau zu unterstützen?“, fragen die beiden Analysten des US-Thinktanks United States Institute of Peace. Möglicherweise könnte China sogar einen seiner beiden Vasallen-Staaten fallenlassen, um sich geopolitisch Ruhe zu verschaffen. Jacob Strokes glaubt eher an eher das Gegenteil. Der Autor von Foreign Policy hält Chinas Paranoia, Russland und Nordkorea könnten hinter seinem Rücken konspirieren, für ein Relikt des Kalten Krieges und damit für überholt.
Dennoch sieht er eine Chance auf Frieden darin, einen diplomatischen Spaltpilz zu säen, wie er schreibt. „Anstatt China um Eingreifen zu bitten, sollten die USA und ihre Verbündeten ihre Bemühungen besser darauf verwenden, natürliche Reibungspunkte zwischen Nordkorea und Russland zu identifizieren und zu verschärfen.“