Waffen für Putin und Kiew: Warum Nord- und Südkorea im Ukraine-Krieg entscheidend sind

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Nordkorea beliefert Russland, Südkorea die Ukraine: Im Ukraine-Krieg kommt beiden Ländern eine Schlüsselrolle zu. Das liegt auch an der Teilung der koreanischen Halbinsel.

Drei Verletzte und mehrere beschädigte Gebäude: Das ist die traurige Bilanz eines russischen Angriffs auf die ukrainische Stadt Charkiw Anfang des Monats. Fünf Raketen hatte Russlands Armee am 7. Februar gegen 6 Uhr morgens auf die Millionenstadt im Osten der Ukraine abgefeuert, bei zwei davon soll es sich laut lokalen Behörden um ballistische Raketen vom Typ „Hwasong-11Ga“ gehandelt haben.

„Hwasong“ – auf Deutsch: Feuerstern – ist die Bezeichnung für eine Raketengattung aus Nordkorea, die Baureihe „11Ga“ wurde vor sechs Jahren während einer Militärparade in Pjöngjang vorgestellt. Im Ukraine-Krieg kam die „Hwasong-11Ga“ laut US-Angaben erstmals vor ein paar Wochen zum Einsatz, ebenfalls in der Region Charkiw, mindestens eine Frau kam damals ums Leben. Abgefeuert wurde die Rakete wohl von Südrussland aus.

Nordkorea und Russland, die sich eine rund 17 Kilometer kurze Grenze teilen, sind derzeit so eng wie seit Jahrzehnten nicht. Im vergangenen September reiste Kim Jong-un zu einem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin in den russischen Fernen Osten, zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie verließ Nordkoreas Diktator sein abgeschottetes Land. Und bald schon dürfte Putin zum Gegenbesuch in Richtung Pjöngjang aufbrechen. Im Gepäck könnte er weitere Unterstützung für Nordkoreas Satellitenprogramm haben, aber auch das Versprechen, Öl oder Lebensmittel zu liefern.

Kim Jong-un beim Besuch einer russischen Flugzeugfabrik im September
Kim Jong-un beim Besuch einer russischen Flugzeugfabrik im September: Das Land beliefert Russland seit Monaten mit Waffen. © AFP

Nordkorea und der Ukraine-Krieg: Kim fordert verstärkte Raketen-Produktion

Es ist eine politische Allianz mit fatalen Folgen für die Ukraine. Schon ein paar Wochen vor dem Gipfeltreffen hatte Nordkorea laut Geheimdienstinformationen aus Seoul damit begonnen, mehr als eine Million Artilleriegranaten an Russland zu liefern. Spätestens im November folgten dann auch ballistische Kurzstreckenraketen, Panzerabwehrraketen sowie mobile Luftabwehrraketen. Beide Länder bestreiten diese Waffendeals, die gegen UN-Sanktionen verstoßen, die Russland einst selbst mitgetragen hat.

Satellitenaufnahmen, die unter anderem von den USA ausgewertet wurden, zeigen allerdings, wie in den vergangenen Monaten Tausende Container voller Waffen und Munition per Schiff und Eisenbahn von Nordkorea bis an die Front gebracht wurden. Im vergangenen Sommer hatte Kim Jong-un zudem eine „exponentielle“ Steigerung der Produktion von ballistischen Kurzstreckenraketen wie der „Hwasong-11Ga“ angeordnet. Viele der Waffen, die jetzt an der Front landen, wurden in Zusammenarbeit mit russischen oder sowjetischen Ingenieuren entwickelt, sie sind also kompatibel mit den Systemen der russischen Armee.

Sollte Nordkorea weiter Rüstungsgüter in großen Mengen an Putin liefern, „dann ist Russland relativ gut versorgt“, sagt der Militärexperte Gustav Gressel vom European Council on Foreign Relations. „Man sieht, dass die Russen derzeit relativ viel verschießen. Wenn sie nur mit dem auskommen müssten, das sie selbst produzieren können, dann müssten sie ihre Munition viel stärker haushalten.“ Schätzungen gehen davon aus, dass Russland derzeit jeden Tag rund 10.000 Artilleriegranaten verschießt; laut dem ukrainischen Verteidigungsminister Rustem Umjerow ist das bis zu zehnmal so viel, wie der Ukraine zur Verfügung steht. Zwar seien überdurchschnittlich viele Blindgänger unter der nordkoreanischen Munition, sagt Gressel. „Russland verschießt aber einfach alles, was sie irgendwo kriegen. Und weil das so viel ist, geht diese Taktik auf.“

Ukraine ist auf Munition aus Südkorea angewiesen

Kiew hingegen klagt seit Längerem über einen Mangel an Munition. Zwar hat die Ukraine die Produktion im eigenen Land hochgefahren. Doch die Abhängigkeiten von den westlichen Verbündeten sind groß – und die liefern schon seit Längerem nicht genug. Ihr Ziel, bis März eine Million Schuss an die Ukraine zu senden, wird die Europäische Union verfehlen. Und in den USA wurde ein 60 Milliarden Dollar schweres Hilfspaket für die Ukraine vor wenigen Tagen zwar vom Senat abgesegnet, allerdings noch nicht vom Repräsentantenhaus. Die Republikaner bremsen. „Die Lager sind im Westen leer, und die Munitionsproduktion kommt erst Ende dieses Jahres dorthin, wo man sie für einen größeren Krieg bräuchte“, sagt Gressel.

Einer der wichtigsten Lieferanten der Ukraine ist deswegen ausgerechnet Südkorea – Nordkoreas Nachbar, den Kim Jong-un Anfang des Jahres zum Hauptfeind erklärt hat. Seoul liefert zwar nicht direkt an Kiew, aber zum Beispiel an die USA und an Polen. Das, so Gressel, habe es den beiden Ländern ermöglicht, „eigene Munition aus dem Depot zu holen und der Ukraine zu geben“. Allein an die USA habe Südkorea 1,5 Millionen Schuss geliefert; und mit Polen hat Südkorea im Sommer 2022 einen Rekordvertrag über Lieferung und Bau von unter anderem 1000 Kampfpanzern und 48 Kampfflugzeugen im Gesamtwert von 15 Milliarden US-Dollar abgeschlossen, erste Lieferungen erfolgten nur vier Monate später. „Ohne Südkorea hätte es die ukrainische Gegenoffensive vom vergangenen Sommer gar nicht gegeben“, glaubt Gressel.

Feindschaft zwischen Nord- und Südkorea befördert Waffenproduktion

Dass Südkorea so viel Munition und Waffen liefern könne, liege an der ständigen Bedrohung durch den Norden, sagt der Militärexperte. Beide Länder befinden sich noch immer im Kriegszustand, Kim Jong-un rüstet seit Jahren auf, auch nuklear. „Das hat dazu geführt, dass Südkorea enorm viel Artillerie bevorratet hat. Außerdem hat das Land große Produktionskapazitäten, um sich im Kriegsfall mit Munition zu versorgen.“ Auch die Spannungen mit China spielen bei Südkoreas Rüstungsbestrebungen eine Rolle. Rund 2,5 Prozent seiner Wirtschaftsleistung steckt Südkorea in die Rüstung. Davon profitiert nun die Ukraine.

Aber auch für Seoul bedeutet der Deal mit den Verbündeten der Ukraine mehr nur als ein einträgliches Geschäft oder das gute Gefühl, dem angegriffenen Land zur Seite zu stehen. Die Ukraine, sagt Gressel, sei für die beiden Koreas ein „enormes Labor“. Für Seoul, weil der Ukraine-Krieg zeigt, wie effektiv westliche Raketenabwehrsysteme wie etwa „Patriot“ gegen nordkoreanische Raketen sind – Südkorea besitzt selbst mehrere dieser US-amerikanischen Systeme. Umgekehrt lernt freilich auch das Kim-Regime, wie der Raketenabwehr des Südens im Kriegsfalle begegnet werden könnte.

Zudem ist der Ukraine-Krieg, so zynisch das klingt, für Nord- und Südkorea so etwas wie eine Werbeveranstaltung für die Leistungsfähigkeit der eigenen Rüstungsindustrie. Pjöngjang verdient schon immer viel Geld mit Waffenverkäufen, etwa an Syrien oder die Hamas. Südkorea wiederum ist laut dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri der am schnellsten wachsende Waffenexporteur der Welt. Präsident Yoon Suk-yeol dürfte das freuen. Er hat das Ziel ausgegeben, Südkorea zum weltweit viertgrößten Waffenhändler zu machen, hinter den USA, Russland und Frankreich.

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