Bollwerk gegen Putin gefallen: Chaos-Rückzug aus Awdijiwka - Ukrainer lassen wohl Soldaten zurück
Die ukrainische Armee gibt Awdijiwka im Donbass auf. Der Rückzug aus der einstigen Bastion verläuft wohl chaotisch. Russlands Truppen machen Gefangene.
Awdijiwka – Es ist ein gewaltiger Rückschlag für die Ukraine bei der Verteidigung gegen die Invasion durch Russland. Awdijiwka, das Bollwerk im Donbass, ist am Samstag (17. Februar) gefallen.
Ukraine-Krieg: Russen nehmen ukrainische Truppen in Awdijiwka gefangen
Während Präsident Wolodymyr Selenskyj bei der Münchner Sicherheitskonferenz (Siko) weilt, muss sich Kiew die Frage gefallen lassen, warum die völlig abgekämpften Soldaten der 110. mechanisierten Brigade, die die Stadt seit Monaten verteidigten, nicht schon früher herausgeholt wurden. Denn: Die letzten Tage glichen einer regelrechten Hauruckaktion.
Nach Angaben des ukrainischen Brigadegenerals Oleksandr Tarnawsky sind bei dem chaotischen Rückzug ukrainische Truppen von den russischen Streitkräften festgesetzt worden. „In der letzten Phase der Rückzugsoperation, unter dem Druck der überwältigenden feindlichen Kräfte, wurde eine gewisse Anzahl ukrainischer Soldaten gefangen genommen“, schrieb Tarnawsky auf Telegram.

Nach Rückzug aus Awdijiwka: Ukraine-Truppen beziehen zweite Verteidigungslinie
Wie viele Soldatinnen und Soldaten es in etwa waren, die es nicht mehr aus der völlig zerstörten Stadt geschafft haben, erwähnte er nicht. Laut Tarnawsky hätten die sich zurückziehenden Truppen jetzt Positionen an der zweiten Verteidigungslinie bei Awdijiwka bezogen. Wie gut diese Stellungen ausgebaut sind, ist ebenfalls nicht bekannt.
Wie indes ein Reporterteam von Welt live aus der Ukraine berichtete, habe es sogar Befehle gegeben, Verwundete zurückzulassen. Videos, die bei X (ehemals Twitter) kursieren, sollen ganze ukrainische Einheiten zeigen, die sich auf gepanzerten Fahrzeugen oder zu Fuß zurückziehen. Ein Video (siehe Tweet unten) stammt zweifelsfrei aus Awdijiwka, weil darauf das bekannte Stadtschild zu sehen ist. Die Besatzung eines ukrainischen Schützenpanzers steht bei der Flucht unter Artilleriebeschuss, neben dem Panzer schlagen Granaten ein.
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Awdijiwka ist gefallen: Kiew hatte noch die 3. Angriffsbrigade geschickt
Kiew hatte in den vergangenen Tagen die in der Heimat legendäre 3. Angriffsbrigade, bestehend aus den berüchtigten „Asow“-Kämpfern, geschickt, um den Abzug der 110. Brigade abzusichern. Videos in den Sozialen Netzwerken und weiteren Berichten zufolge schlugen jene „Asow“-Soldaten sowie Kämpfer der 225. Angriffsbrigade einen Evakuierungskorridor rund um die letzte verbliebene Hauptstraße im Westen der Stadt, um über diese eingeschlossene Einheiten herauszuholen.
Die 3. Angriffsbrigade teilte am Samstag in den Sozialen Medien ebenfalls ein Video, das ein Lazarett hinter der Frontlinie bei Awdijiwka zeigen soll. Darauf sind schwer verwundete ukrainische Soldaten zu sehen. Russische Militärblogger verbreiteten stattdessen ein Drohnenvideo, das wohl zweifelsfrei dokumentiert, wie russische Soldaten auf der ehemaligen Kokerei der Industriestadt die Fahne ihres Landes hissen. Laut westlicher Einschätzungen soll Moskau seit Mitte Oktober den Verlust zehntausender Soldaten durch Tod oder Verwundung in Kauf genommen haben, um die symbolträchtige Kleinstadt mit vormals 32.000 Einwohnerinnen und Einwohnern einzunehmen.
An vielen Frontabschnitten: Ukrainische Armee steht gegen Russen unter Druck
Die ukrainische Armee hatte Awdijiwka seit dem Aufstand prorussischer Separatisten im Donbass im Spätsommer 2014 gehalten. Jetzt musste die Bastion aufgegeben werden. Warum der Entsatz im Ukraine-Krieg nicht früher erfolgte, beantworteten bislang weder Selenskyj noch der Generalstab. Selenskyj bezeichnete den Abzug als „logische, gerechte und professionelle Lösung“ zum Schutz der Leben der Soldaten. „Das war für uns die Hauptaufgabe, wir schützen unsere Leute, unsere Soldaten“, meinte der ukrainische Präsident am Wochenende bei der Siko in München.
Seit Wochen stehen die ukrainischen Streitkräfte an vielen Frontabschnitten im Süden bei Robotyne, im Osten bei Awdijiwka und Bachmut sowie im Nordosten bei Kreminna und Kupjansk schwer unter Druck. Vielerorts gelten die Einheiten wegen Problemen bei der Rotation als erschöpft, zudem macht ihnen ein erheblicher Munitionsmangel zu schaffen. Laut Süddeutscher Zeitung (SZ) berichten ukrainische Artilleristen, dass sie an manchen Tagen nur noch Rauchgranaten zur Verfügung hätten. (pm)