Gastbeitrag von Gabor Steingart - Trump ist der größte Unsympath aller Zeiten - das kann für ihn zum Trumpf werden

Donald Trump hätte es redlich verdient, diese Wahlen mit Pauken und Trompeten zu verlieren. Noch nie hat ein Wahlkämpfer im Schlussspurt derart aggressiv, zynisch und unsympathisch gesprochen – und damit die wichtigste Regel aller Campaigner missachtet.

Denn die besagt, dass zum Schluss eines Wahlkampfes die Arme des Kandidaten ausgebreitet gehören und der Ton gemäßigt werden muss. Sidney Blumenthal, Autor des Standardwerkes „The Permanent Campaign“ und Wahlkampfstratege von Bill und später Hillary Clinton, hat es so beschrieben:

„We have to humanize the candidate.“

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US-Wahl: Trumps letzte Wahlkampfphase war finsterstes Werkstück

Doch Trump tut genau das Gegenteil. Er vermenschlicht sich nicht, sondern setzt noch einen drauf. Im Schlussspurt vergeht kein Tag, an dem er das gegnerische Lager, und damit Millionen potenzieller Wähler, nicht mit Verbalinjurien und Anzüglichkeiten traktiert:

„No one respects her, no one trusts her, no one takes her seriously“, sagte Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung in Green Bay, Wisconsin am Mittwoch über seine Konkurrentin.

„Everyone knows she’s a low IQ individual.“

Auf derselben Veranstaltung schwor Donald Trump, Frauen zu „schützen“, „ob sie es wollen oder nicht“. Bei seiner Rede im Madison Square Garden in New York City versprach er, Einwanderer ohne Papiere „so schnell wie möglich aus unserem Land zu vertreiben“.

Trump, urteilt die Financial Times, hat einen Wahlkampf abgeliefert, „der eine noch düsterere Version seiner Rennen 2016 und 2020 war“.

Wenn Trump verliert, wird man sehr genau wissen, woran es gelegen hat. Seine letzte Wahlkampfphase war das finsterste Werkstück, das je ein Präsidentschaftskandidat abgeliefert hat.

Selbst Richard Nixon versuchte, sympathisch rüberzukommen

Selbst Richard Nixon (Spitzname in Washington: „Tricky Dicky“) versuchte, sympathisch rüberzukommen, und sprach in einer Wahlkampfrede, die von 60 Millionen Amerikanern geschaut wurde, über „Checkers“, den Familienhund. Bis heute gilt die sogenannte „Checkers Speech“ als Musterbeispiel für die Vermenschlichung eines Kandidaten, der bis dahin als Kommunistenfresser und Kalter Krieger gesehen wurde.

Allerdings, auch das gehört zur Wahrheit dazu: Wenn Trump gewinnt, macht ihn gerade diese letzte vulgäre Phase freier als frei. Er hat sich nicht versteckt. Er hat keine Kreide gefressen. Er hat allen gezeigt, wer er ist. Das Visier hat er so weit geöffnet, dass man bis auf die Düsternis seiner Seele blicken kann.

Wenn Kamala Harris verliert, dann steht der Grund auch schon fest. Sie ist eine lausige Wahlkämpferin.

Kaum begab sie sich auf die freie Wildbahn, da wo kein Teleprompter sie rettet und grimmige Fox-News-Reporter fiese Fragen stellen, ist sie eingebrochen. Über die rhetorischen Versatzstücke ihrer Redenschreiber – „I’m a new generation“ und „We have to turn the page“ – ist sie selten hinausgewachsen. Sie war nur bedingt abwehrbereit.

Harris verkörpert Gegenteil von Trump

Wenn Harris allerdings gewinnt, weiß man, dass Amerika auf einen neuen Anfang hofft, auch wenn man nicht genau weiß, worin dieser Anfang besteht. Fest steht allerdings: Sie verkörpert mit ihrem Auftreten und ihrer Tonalität das Gegenteil von Trump.

„Anders als Donald Trump, glaube ich nicht, dass Menschen, die mir widersprechen, der Feind sind. Er will sie ins Gefängnis stecken. Ich werde ihnen einen Platz am Tisch geben“, sagte sie bei einer Rede vergangene Woche in Washington.              

Man kann den Unterschied zwischen den zwei Kandidaten mit bloßem Auge und unter Zuhilfenahme beider Ohren erkennen: Er poltert, sie lächelt. Er sucht Ärger, sie den Ausgleich. Er ist der einsame Führer, der weiß, wo es langgeht. Sie würde auch andere nach dem Weg fragen. Der berühmte Satz des Albert Camus („Gehe nicht vor mir, vielleicht folge ich nicht. Gehe nicht hinter mir, vielleicht führe ich nicht. Gehe neben mir und sei mein Freund.“) könnte der ihre sein.

Zur Wahl stehen zwei Konzepte der Staatsführung

Zur Wahl stehen damit nicht nur zwei Persönlichkeiten, sondern zwei Konzepte der Staatsführung.

Er verkörpert den „strongman“, wie die Amerikaner es nennen, also einen demokratisch legitimierten Autokraten, der es in den Disziplinen Skrupellosigkeit und Brutalität mit Putin, Xi Jinping und den iranischen Revolutionsgarden aufnehmen kann. Der harte Hund in einer verhärteten Welt.

Sie steht für die Idee einer Präsidentschaft, die im Kontrast zur Fokussierung auf „the president” zu sehen ist. In diesem Konzept der „presidency“ kommt es nicht nur auf den Menschen an der Spitze an, sondern auf das Team, die Struktur und die Werte dahinter. Die Präsidentin selbst ist in diesem Konzept nicht zuerst eine starke, sondern eine moderate Persönlichkeit. Das weiche Wasser bricht den Stein.

Anders gesagt: Sie baut den Tisch, auf den der andere permanent haut. Sein Geschäftsmodell ist die Spaltung, ihres die Versöhnung. Deshalb wird er vom Raufbold Elon Musk begleitet und sie von Taylor Swift.

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Die etwa 244 Millionen Amerikaner, die an die Wahlurnen treten dürfen, sind zu beneiden. Diese Wahl ist gefährlich und nervenzerfetzend, aber eben nicht alternativlos. Oder wie Thomas Jefferson, der Mitverfasser der Unabhängigkeitserklärung und 3. Präsident der USA, zu sagen pflegte:

„Ich bevorzuge die Gefahren der Freiheit vor dem Frieden der Unterdrückung.”