Unions-Anträge zur Migration im Bundestag: Merz geht auf volles Risiko
Der Oppositionsführer zieht mit seiner Asyl- und Sicherheitswende durch. Doch werden die Wähler seinen neuen Kurs goutieren? Ein Kommentar von Georg Anastasiadis.
Die alten Griechen erfanden das Wort Kairos. Es beschreibt den günstigen Moment. Die Chance, die ergriffen werden muss, jetzt oder nie. Friedrich Merz hat sie zu erkennen geglaubt: Als das Land nach dem Terror von Aschaffenburg unter Schock stand, ging der bis dahin blass gebliebene Oppositionsführer volles Risiko, rief die Zeitenwende in der Sicherheitspolitik aus und drängte SPD und Grüne gleichermaßen in die Defensive wie die AfD. Die Rechtspopulisten hatten sich nach der Bluttat eines Asylbewerbers schon als Wahlsieger gesehen. Doch das war womöglich ein Irrtum.
CDU und CSU machen vor Bundestagswahl Gestaltungsanspruch deutlich
An diesem Mittwoch und am Freitag kommt es im Bundestag zur Entscheidung. Ob die Merz-Anträge eine Mehrheit finden, ist nicht wichtig: CDU und CSU haben ihren Anspruch, das Land zu führen und zu gestalten, deutlich und die Bundestagswahl zum Referendum über die Zeitenwende in der Sicherheitspolitik gemacht und der AfD so eine gefährliche Waffe entwunden. Der Ärger darüber steht Alice Weidel ins Gesicht geschrieben. Das Wort haben nun die Bürger. Am 23. Februar muss sich zeigen, ob sich Merz‘ Wagemut auszahlt – und was die Deutschen mehr mobilisiert: der Wunsch nach Veränderung in der Asylpolitik. Oder die Warnungen von Grünen und SPD vor einem, wie SPD-Generalsekretär Matthias Miersch es formuliert, „beispiellosen Tabubruch“ durch die Inkaufnahme von Zustimmung durch die AfD.
Das ist das letzte Argument der politischen Linken; der Kanzler wird es in seiner heutigen Regierungserklärung in die Köpfe seiner verbliebenen Wähler hämmern, so wie es schon die Veranstalter der jüngsten „Demos gegen Rechts“ (gemeint war in Wahrheit Merz) versucht haben. Ein Autor einer bekannten Zeitung rief den verhassten CDU-Vorsitzenden gleich zum „Führer“ aus.
Wahlkampfthema Migration: Die Grünen mit Habeck haben die Lage nicht erfasst
Erpressung werfen Grüne und SPD der Union vor und begründen damit ihre Weigerung, den Asyl-Anträgen im Bundestag zuzustimmen. Doch haben sie selbst, als sie noch über die Parlamentsmehrheit verfügten, es genauso gemacht wie jetzt CDU und CSU, denen sie eine „Friss-oder-stirb“-Strategie vorwerfen. Keinen Millimeter mehr als unbedingt nötig gingen die Ampelkoalitionäre auf die Union zu, die auf eine Asylwende drängte.
Mehr als Scheingespräche hatte der Kanzler dem CDU-Chef drei Jahre lang nicht anzubieten. Und daran hat sich bis heute nichts Grundlegendes geändert. Zwar fordern einige in der SPD wie Brandenburgs Ministerpräsident Woidke von ihrer eigenen Partei mehr Entgegenkommen. Doch noch nach Aschaffenburg haben die Grünen die Erleichterung des Familiennachzugs für Migranten in ihr Parteiprogramm geschrieben. Auch wenn man aus humanitärer Sicht dafür Sympathie haben kann: Es passt einfach nicht mehr in die Debattenlage. (Georg Anastasiadis)