In voller Länge: Die Regierungserklärung von Friedrich Merz im Wortlaut

Bundeskanzler Friedrich Merz hat in seiner ersten Regierungserklärung eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Menschen in Deutschland gefordert, um das Land wieder nach vorne zu bringen. "Der Staat, das sind wir alle", sagte er im Bundestag. "Wir können alle Herausforderungen, ganz gleich, wie groß sie auch sein mögen, aus eigener Kraft heraus bewältigen."

FOCUS online dokumentiert die komplette Regierungserklärung hier im Wortlaut:

Frau Präsidentin,

sehr geehrte Damen und Herren

„Verantwortung für Deutschland“ – so haben wir, die Union aus CDU und CSU und die SPD, unseren Koalitionsvertrag für die 21. Wahlperiode des Deutschen Bundestags überschrieben.

„Verantwortung für Deutschland“ - das bedeutet: Wir stellen uns als neue Bundesregierung gemeinsam in den Dienst unseres Landes und aller seiner 84 Millionen Bürgerinnen und Bürger.

Wir wollen regieren, um unser Land aus eigener Kraft heraus wieder voranzubringen.

Wir wollen regieren, um neue Sicherheit zu geben und vor allem, um unsere Freiheit entschlossen gegen ihre Feinde zu verteidigen.

Wir wollen regieren, um das Versprechen vom „Wohlstand für alle“ zu erneuern.

Und wir wollen regieren, um Zusammenhalt zu stiften, wo er uns abhanden zu kommen droht.

Dafür brauchen wir in vielerlei Hinsicht einen Politikwechsel. Und ein solcher Politikwechsel setzt ein Umdenken und neue Prioritäten an vielen Stellen voraus.

Wir sind uns dabei der enormen Herausforderungen bewusst, vor denen Deutschland steht, international, europäisch, national und nicht zuletzt auch in Bezug auf die öffentlichen Finanzen.

Zugleich wissen wir: Unser Land ist stark. Wir können aufbauen auf dem Fleiß von Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, auf dem Einfallsreichtum unserer Unternehmerinnen und Unternehmer, auf dem Einsatz, den unzählige Ehrenamtliche tagtäglich für unser

Gemeinwesen zeigen, auf der Kreativität unserer Wissenschaftler und der Kunst- und Kulturschaffenden.

Ich bin aus ganzem Herzen der Überzeugung, dass unser großartiges Land die Herausforderungen unserer Zeit aus eigener Kraft heraus bestehen und daraus etwas Gutes machen kann.

Meine Damen und Herren,

Sie wissen, dass meine Bundestagsfraktion und ich selbst als Oppositionsführer bei weitem nicht mit allen Entscheidungen einverstanden waren, die in der Vorgängerregierung getroffen wurden. Das ist in einer Demokratie nicht ungewöhnlich. Aber eines ist für uns auch klar:

Sie, Herr Kollege Scholz, und Ihre Regierung haben Deutschland durch Zeiten außergewöhnlicher Krisen geführt. Ihre Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine war wegweisend und sie war historisch. Dafür gilt Ihnen auch heute und von dieser Stelle aus noch einmal der Dank und die Anerkennung dieses Hauses und des ganzen Landes!

Als Demokraten der politischen Mitte eint uns: Wir sind dem Gemeinwohl verpflichtet.

Und wir wollen die Probleme nicht beschreiben, wir wollen sie lösen – und zwar aus der demokratischen Mitte unseres Landes heraus.

Das war in den zurückliegenden Wochen bereits zu spüren. Der friedliche Wechsel von einer Regierung zur nächsten, ein solcher Wechsel ist leider, auch in der Welt der Demokratien, nicht mehr selbstverständlich. Es zeugt von der demokratischen Reife unseres Landes, wie professionell, wie reibungslos und kollegial der Wechsel von der alten zur neuen Bundesregierung vonstatten gegangen ist.

Ich möchte allen danken, die daran beteiligt waren, zum Teil mit einer außergewöhnlich hohen Arbeitslast in diesen wenigen Tagen des Übergangs von der einen zur nächsten Bundesregierung.

Meine Damen und Herren,

jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen. Und jede Zeit verlangt nach eigenen und zum Teil neuen Antworten.

Diese Antworten für unsere Zeit zu geben, mit Ihrer Mitarbeit und Unterstützung liebe Kolleginnen und Kollegen, das bedeutet für mich, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen.

Wir erleben eine Welt in Bewegung, ja geradezu in Aufruhr. Die Entscheidungen, die wir in den nächsten Jahren zu treffen haben, werden die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland prägen, sie werden prägend sein für das Leben unserer Kinder und unserer Enkelkinder.

Aber unsere Entscheidungen werden und sollen auch Einfluss nehmen auf die Zukunft der freiheitlichen Welt.

Täuschen wir uns also nicht über die Dimension der Herausforderung: 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und im 35. Jahr der Wiedervereinigung Deutschlands wird unsere Freiheit durch die Gegner und Feinde unserer liberalen Demokratie so sehr angegriffen wie selten zuvor.

Russland hat mit allen Regeln gebrochen, die für unser Zusammenleben in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und vor allem seit der Überwindung der europäischen Teilung galten. Seit mehr als drei Jahren schon wüten russische Truppen in der Ukraine, töten und morden täglich Frauen und Kinder, Zivilisten und Soldaten. Hunderttausende Opfer hat der Krieg auch auf russischer Seite gefordert.

Dieser fürchterliche Krieg und sein Ausgang entscheiden nicht nur über das Schicksal der Ukraine. Der Ausgang dieses Krieges entscheidet darüber, ob auch künftig Recht und Gesetz gelten in Europa und der Welt – oder Tyrannei, militärische Gewalt und das nackte Recht des Stärkeren.

In der Ukraine steht nicht weniger als die Friedensordnung unseres ganzen Kontinents auf dem Spiel.

In dieser historischen Entscheidungssituation muss Europa enger zusammenstehen denn je. Als Bundesregierung werden wir unsere Energie darauf richten, Europa einen großen Schritt voranzubringen in einer Zeit, in der wir als Kontinent unsere Stellung in der Welt neu vermessen und verteidigen müssen.

Deutschland wird Initiativen ergreifen um die europäische Idee der Freiheit und des Friedens neu beleben – damit Europa seinem Anspruch und seiner Bedeutung in der Welt gerecht wird. Und wir werden nie vergessen, was der frühere Bundeskanzler und Ehrenbürger Europas Helmut Kohl am 23. Juni 1996 hier in Berlin bei der Verab-schiedung von Papst Johannes Paul II. gesagt hat:

„Wir wollen und dürfen niemals aus den Augen verlieren, dass wir in Europa vor allem eine Werte- und Kulturgemeinschaft bilden.“

Dieses Europa blickt heute auf Deutschland. Europa erwartet etwas von uns. Die neue Bundesregierung nimmt diese Verantwortung an. Wir bieten unseren Partnern und Freunden Verlässlichkeit und Berechenbarkeit an, vor allem durch eine Außen- und Sicherheitspolitik, die einem starken Europa dient, eine Außen- und Sicherheitspolitik, die sich vor allem von unseren Interessen und unseren gemeinsamen europäischen Werten leiten lässt.

Wir schaffen einen neuen Nationalen Sicherheitsrat, in dem Bund und Länder sowie alle sicherheitsrelevanten Ressorts ihr Wissen bündeln. Er wird strategische Orientierung geben und in Krisenfällen sehr schnell handlungsfähig sein.

Und wir werden die Abstimmung mit unseren europäischen und internationalen Partnern vertiefen – im gegenseitigen Respekt und mit Rücksichtnahme auf die jeweiligen Ansichten.

An meinem ersten vollen Amtstag bin ich daher nach Paris und nach Warschau gereist. Mit dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron habe ich einen umfassenden Neustart der deutsch-französischen Beziehungen verabredet, mit konkreten Impulsen und Projekten für die Beziehungen zwischen unseren Ländern.

Als erster deutscher Bundeskanzler bin ich am ersten Amtstag auch gleich nach Warschau gereist, um ein Zeichen zu setzen: Unser großer Nachbar im Osten wird für diese Bundesregierung eine ebenso zentrale Rolle in der Europapolitik einnehmen wie unser großer Nachbar im Westen. Und zugleich wird Deutschland immer auch ein enger Partner und Verbündeter der kleineren und der mittleren Staaten insbesondere in der Europäischen Union.

An meinem dritten Amtstag habe ich in Brüssel den Präsidenten des Europäischen Rates António Costa sowie die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen und Roberta Metsola, die Präsidentin des Europäischen Parlamentes getroffen. Ich habe den Europäischen Institutionen eine neue Verlässlichkeit Deutschlands zugesagt - die Zeiten, in denen sich Deutschland bei wesentlichen Fragen der europäischen Politik einfach der Stimme enthält, sollen vorbei sein.

Und schließlich führte mich der Weg meiner ersten Amtswoche nach Kyjiv - zusammen mit meinen Kollegen Emmanuel Macron, Keir Starmer und Donald Tusk. Uns alle eint, dass wir uns einen gerechten, dauerhaften, tragfähigen Frieden in der Ukraine wünschen – lieber heute als morgen.

Auf dem Weg dorthin leiten mich drei Prinzipien:

Erstens: Wir unterstützen weiterhin kraftvoll die angegriffene Ukraine. Das habe ich Präsident Selenskyj bei meinem Besuch am vergangenen Wochenende in Kyjiw erneut versichert. 

Dabei ist klar: Wir sind nicht Kriegspartei und wollen dies auch nicht werden. Aber wir sind eben auch nicht unbeteiligte Dritte oder neutrale Vermittler sozusagen zwischen den Fronten.

Es darf kein Zweifel daran aufkommen, wo wir stehen: Nämlich ohne Wenn und Aber an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer und damit an der Seite aller Menschen in Europa, die sich zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bekennen, die in Freiheit und in offenen Gesellschaften leben wollen.

Zweitens: Unsere Hilfe für die Ukraine bleibt eine gemeinsame Anstrengung der Europäer, Amerikaner und anderer Freunde und Verbündeter in unserem ureigensten Interesse.

Denn wer glaubt, Russland gäbe sich mit einem Sieg über die Ukraine oder mit der Annexion von Teilen des Landes zufrieden, der irrt. Schauen Sie auf die Giftanschläge und Mordtaten in zahlreichen europäischen Städten, auch in unserer Hauptstadt, schauen Sie auf die Cyberangriffe gegen unsere Dateninfrastruktur, schauen Sie auf die physische Zerstörung vieler Daten- und Unterseekabel offenbar auch durch die so genannte Schattenflotte, schauen Sie auf die Spionage- und Sabotageakte und die systematische Desinformation unserer Bevölkerung!

Das ist ganz überwiegend das Werk der russischen Staatsführung und ihrer Helfer, auch hier bei uns.

Allen diesen Versuchen der Spaltung und der Destabilisierung Europas und unserer Demokratien treten wir daher mit allergrößter Entschiedenheit, mit Geschlossenheit und vor allem mit Verteidigungsbereitschaft entgegen.

Und daraus folgt schließlich, drittens: Mit dieser Haltung verträgt sich kein Diktatfrieden und keine Unterwerfung unter militärisch geschaffene Fakten gegen den Willen der Ukraine.

Wir hoffen und arbeiten hart daran, dass diese klare Haltung nicht nur überall in Europa vertreten wird, sondern auch von unseren amerikanischen Partnern.

In den vergangenen Tagen habe ich zweimal mit Präsident Trump telefoniert. Ich bin dankbar für seine Unterstützung der Initiative zu einer 30-tägigen bedingungslosen Waffenruhe. Eine solche Waffenruhe kann ein Fenster öffnen, in dem Friedensverhandlungen möglich werden. Es ist von überragender Bedeutung, dass der politische Westen sich nicht spalten lässt - und deshalb werde ich alle Anstrengungen unternehmen, um auch weiterhin größtmögliche Einigkeit zwischen den europäischen und den amerikanischen Partnern herzustellen.

Zugleich gilt: Wir selbst müssen und werden unsere eigene Verteidigungsfähigkeit und unsere Verteidigungsbereitschaft beständig weiter ausbauen.

Dabei leitet uns der Grundsatz: Wir müssen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen. Wir nennen diesen Grundsatz seit Jahrzehnten „Abschreckung“. Und es gibt wenige Lehren aus der Geschichte, die sich so passgenau auf die Gegenwart übertragen lassen wie dieser. Denn diese Lehre ist: Stärke schreckt Aggressoren ab. Schwäche hingegen lädt Aggressoren ein.

Unser Ziel ist ein Deutschland und ein Europa, die gemeinsam so stark sind, dass wir unsere Waffen niemals einsetzen müssen. Dafür werden wir innerhalb der NATO und in der EU mehr Verantwortung übernehmen müssen. Darüber habe ich bei meinem Antrittsbesuch bei der NATO und mit Generalsekretär Mark Rutte am letzten Freitag in Brüssel ebenfalls gesprochen.

Wir werden unsere Verpflichtungen ohne Wenn und Aber erfüllen - in unserem eigenen Interesse und im Interesse dieses großartigen Nordatlantischen Bündnisses, das wie kein zweites für Freiheit und Frieden steht in dem Teil der Welt, in dem wir das große Glück haben zu leben.

Die Stärkung der Bundeswehr steht dabei für uns an erster Stelle. Die Bundesregierung wird zukünftig alle finanziellen Mittel zur Verfügung stellen, die die Bundeswehr braucht, um konventionell zur stärksten Armee Europas zu werden. Das ist dem bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Land Europas angemessen. Das erwarten auch unsere Freunde und Partner von uns, mehr noch, sie fordern es geradezu ein.

Wir werden dafür in Verteidigungs- und Rüstungsfragen noch viel enger mit unseren europäischen Nachbarn kooperieren.

Aber wir können von der Verteidigung der Freiheit nicht sprechen, ohne von denen zu sprechen, die sich bereit erklärt haben, diese Freiheit unter Einsatz ihres Lebens zu verteidigen. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um unseren Soldatinnen und Soldaten für ihren Dienst für unser Land zu danken. Sie sind vor der größten Verantwortung nicht zurückgeschreckt. Aber wir wissen, dass wir die personelle Einsatzbereitschaft und den personellen Aufwuchs unserer Bundeswehr dringend verbessern müssen.

Wir werden deshalb zunächst einen neuen, attraktiven freiwilligen Wehrdienst schaffen. Es gibt viele junge Menschen in unserem Land, die Verantwortung übernehmen wollen für Deutschland, seine Wehrhaftigkeit und Sicherheit. Das wollen und werden wir fördern.

Meine Damen und Herren,

Deutschlands Sicherheit, Deutschlands Gestaltungskraft in der Welt – das steht und fällt mit unserer wirtschaftlichen Stärke. Das wirtschaftliche Fundament unseres Landes ist ungebrochen stark. Wir haben innovative Unternehmen – darunter viele Weltmarktführer. Wir haben einen starken Mittelstand mit hervorragenden Mitarbeitern. 

Wir haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die jeden Tag Leistung bringen, hochqualifiziertes Fachpersonal, die besten Köpfe in der Forschung.

Unsere Wirtschaft ist in großen Teilen immer noch wettbewerbsfähig. Aber die Rahmenbedingungen sind es nicht mehr: Immer mehr Regulierung, erdrückende Bürokratie, marode Infrastruktur, eine teure Energieversorgung und vergleichsweise hohe Steuern und Abgaben – das hemmt seit Jahren das Potenzial, das in unserer Wirtschaft steckt.

Im Ergebnis steckt Deutschlands Wirtschaft in der Rezession. Eine solch lange Phase ohne Wirtschaftswachstum haben wir in der Geschichte unseres Landes noch nie erlebt. Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel – auch in Deutschlands Schlüsselindustrien wie dem Automobilbau, der Chemie oder dem Maschinenbau.

Wir werden deshalb alles daransetzen, Deutschlands Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen. Indem wir investieren und reformieren. Beides gehört zusammen! Auch in der Wirtschaftspolitik bin ich deshalb der Überzeugung: Wir können aus eigener Kraft heraus wieder zu einer Wachstumslokomotive werden, auf die die Welt mit Bewunderung blickt.

Wir werden deshalb Wettbewerbsfähigkeit zum Maßstab unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik machen. Wir wollen vor allem die Arbeitsplätze in der produzierenden Industrie erhalten, neue Arbeitsplätze dort ermöglichen und vor allem wollen wir den Strukturwandel, den wir „Transformation“ nennen, hin zu modernsten Technologien mit ressourcenschonender Energieversorgung, mit durchgreifender Digitalisierung, mit Künstlicher Intelligenz ermöglichen und fördern.

Dafür brauchen wir in großem Umfang öffentliche und vor allem private Investitionen. Erste spürbare Maßnahmen bringen wir noch vor dem Sommer auf den Weg.

Unternehmen, die in neue Maschinen, Anlagen oder Digitalisierung investieren, können künftig drei Jahre hintereinander bis zu 30 Prozent der Anschaffungskosten steuerlich absetzen. Ab 2028 senken wir dann die Körperschaftsteuer in fünf Jahresschritten um je einen Prozentpunkt. Das schafft verlässliche Investitionsbedingungen, die Deutschland auch im internationalen Vergleich wieder attraktiv machen.

Und wir wollen die Resilienz unserer Infrastruktur stärken. Dafür legen wir ein auf 12 Jahre angelegtes Investitionsprogramm auf – auf allen staatlichen Ebenen. Das sorgt für Verlässlichkeit und Planbarkeit. Für diese Legislaturperiode hat sich die Koalition auf eine Investitionssumme von bis zu 150 Mrd. Euro geeinigt. Das ist aber nur der kleinere Teil, der in Deutschland investiert werden muss. Der größere Teil muss aus der Privatwirtschaft und aus den Kapitalmärkten kommen. Dafür werden wir die Rahmenbedingungen schaffen.

Uns stehen Mittel zur Verfügung, die über neue Schulden finanziert werden können. Lassen Sie mich dazu ein offenes Wort sagen: Wir müssen mit diesen Möglichkeiten äußerst behutsam und vorsichtig umgehen, diese Schulden lösen Zinszahlungen aus und müssen auch wieder zurückgezahlt werden. Sie lassen sich daher nur rechtfertigen, wenn wir mit diesem Geld dauerhaft und nachhaltig den Wert unserer Infrastruktur steigern und das Leistungsvermögen unseres Landes insgesamt verbessern.

Ich gehöre einer Generation an, für die es, von manch kleineren Rückschlägen abgesehen, eigentlich immer vorwärts und aufwärts ging. „Wohlstand für alle“ – unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft hat dieses große Versprechen für Viele eingelöst. Erst im Westen und inzwischen – zum Glück – auch für Viele im Osten unseres Landes.

Doch viele Menschen in Deutschland, gerade auch viele jüngere, zweifeln mittlerweile daran, ob dieses Versprechen noch gilt und ob wir es überhaupt noch einlösen können. Diese Zweifel nehmen meine Generation, diese Zweifel nehmen uns alle und die neue Bundesregierung in die Pflicht zu handeln. Und genau das werden wir tun!

Deswegen investieren wir in unsere Infrastruktur, in gute Straßen und pünktliche Züge, für die Deutschland einst so geachtet war. Wir investieren in gute Schulen und Forschungseinrichtungen, in lebenslanges Lernen und berufliche Bildung und Ausbildung, für die Deutschland noch heute weltweit beneidet wird.

Wir investieren in einen modernen Staat und eine digitale Verwaltung, die die Bürgerinnen und Bürger nicht gängelt und drangsaliert, sondern unterstützt und voranbringt.

Das alles ist nicht nur ein Gebot wirtschaftspolitischer Vernunft. Dies ist auch der beste Weg, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Leistungsfähigkeit unseres Staates und seiner Institutionen wieder zurückzugewinnen – und damit eine Grundvoraussetzung für das Gelingen unserer Demokratie.

Natürlich reicht Geld allein dafür nicht aus. Zu diesen Investitionen gehören Reformen zwingend dazu. Wir brauchen vor allem einen beherzten Rückbau der überbordenden Bürokratie in unserem Land und dazu brauchen wir vor allem ein anderes Denken in unseren Köpfen.

Die unzähligen Dokumentations-, Berichts- und Meldepflichten werden wir schnell und spürbar reduzieren.

Als eine erste, sehr konkrete Maßnahme werden wir das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz abschaffen, das bei deutschen Unternehmen zum Inbegriff von Bürokratie und staatlichem Misstrauen geworden ist.

Wir werden die staatliche Verwaltung modernisieren und konsequent digitalisieren. Die dafür nötigen Kompetenzen bündeln wir in einem neuen Digital- und Staatsmodernisierungsministerium, und unser Ziel ist klar: Verwaltungsleistungen sollen einfach und digital über eine zentrale Plattform ermöglicht werden – ohne Behördengang.

Mit einem Innovationsfreiheitsgesetz geben wir der Forschung mehr Freiheit und entfesseln sie von kleinteilige Förderbürokratie.

Und wir starten eine Hightech-Agenda zur Förderung von Spitzentechnologien in Deutschland.

Wir stellen die Weichen dafür, dass Deutschland Start-Up-Land wird und eine Heimat für Technologien wie Künstliche Intelligenz, Biotechnologie oder Fusionsenergie. Dafür werden wir Gründungen vereinfachen.

Wir schaffen eine zentrale Anlaufstelle, die alle Anträge und Behördengänge digital bündelt und eine Unternehmensgründung innerhalb von 24 Stunden ermöglicht. Und ich werde noch in diesem Jahr zu einem Investorengipfel im Kanzleramt einladen, um mit Kapitalgebern, Gründern und Unternehmern über gute Bedingungen für mehr Investitionen in Deutschland zu sprechen.

Eine wichtige Bedingung ist, dass wir uns unsere Offenheit und unsere enge wirtschaftliche Vernetzung mit allen Teilen der Welt bewahren. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt direkt oder indirekt vom Außenhandel ab.

Ich habe in meinen Gesprächen in Brüssel und mit verschiedenen europäischen Gesprächspartnern deshalb eine neue Freihandelsinitiative der EU vorgeschlagen. Wir wollen die EU dabei unterstützen, gerade jetzt so viele neue Handelsabkommen wie möglich abzuschließen, reine Handelsabkommen, die auch nur die Zustimmung der europäischen Institutionen benötigen. Wir setzen uns für eine schnelle Ratifizierung des Mercosur-Abkommens mit vier südamerikanischen Staaten ein und setzen im Handelskonflikt mit den USA auf die Vermeidung eines länger andauernden Streites.

Besser als gegenseitige Zölle ist eine Vereinbarung zum Abbau von Zöllen und anderer Handelsschranken – und zwar für beide Seiten. In meinem Telefonat mit Präsident Trump am vergangenen Donnerstag waren wir uns einig, die Handelsstreitigkeiten rasch beilegen zu wollen. Und auch über die gegenseitige Anerkennung von Standards werden wir mit den USA reden.

Bei der Bewältigung globaler Herausforderungen wie auch in der Wirtschaft wird China ein wichtiger Partner Deutschlands und der Europäischen Union bleiben. 

Dabei werden wir uns selbstbewusst für die Einhaltung vereinbarter industrie- und handelspolitischer Regeln einsetzen. Im Sinne einesstrategischen De-Risking werden wir einseitige Abhängigkeiten abbauen.

Wir sehen, dass es in Chinas außenpolitischem Handeln Elemente systemischer Rivalität gibt. Die gewachsene Nähe zwischen Peking und Moskau betrachten wir mit Sorge. Wir werden gegenüber China mit Bestimmtheit dafür eintreten, dass es seinen Beitrag zur Beilegung des Krieges in der Ukraine leistet.

Unsere China-Politik werden wir regional einbetten. Eine stabile, freie und sichere Indo-Pazifik Region ist für Deutschland und die Europäische Union von großer Bedeutung. Freie Seeschifffahrt und sichere Handelsrouten sind in unserem außenpolitischen und wirtschaftlichen Interesse. Deshalb werden wir uns stark um diese Region bemühen.

Denn die internationale Ordnung verändert sich tiefgreifend. Sie ist zunehmend geprägt von Systemrivalität und Großmachtpolitik.

Wir haben gelernt, dass wir unsere Lieferketten diversifizieren und einseitige Abhängigkeiten abbauen müssen. Für die Bundesregierung heißt das auch: Wir müssen unsere Partnerschaften in der Welt vertiefen und ausbauen. Deshalb wollen wir in die Beziehungen zu den dynamischen Volkswirtschaften Asiens investieren, ob in Indien, Japan oder Indonesien. Wir werden auch die Zusammenarbeit mit unseren südlichen Nachbarn in Afrika voranbringen. Diese Nachbarschaft müssen wir aktiv gestalten. Das gilt in der Wirtschaftspolitik, es gilt auch bei der Kontrolle von Migration und der Bewahrung von Frieden und Sicherheit. Deshalb wird dem G20-Gipfel in Südafrika große Bedeutung zukommen.

Parallel – und das ist mir wichtig – werden wir gemeinsam mit Frankreich und allen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union alles daransetzen, den Europäischen Binnenmarkt weiter zu vertiefen.

Schließlich ist die Europäische Union der mit Abstand wichtigste Markt für unsere Unternehmen. Deshalb gilt auch hier, ähnlich wie in Sachen Verteidigung: Neue Kraft entsteht aus einem noch engeren Zusammenschluss Europas.

Und aus aktuellem Anlass lassen Sie mich sagen: Wir suchen auch eine vertiefte Zusammenarbeit mit dem Vereinigten Königreich von Großbritannien. Das gilt zunächst für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik, das gilt aber auch für alle denkbaren Möglichkeiten der Zusammenarbeit in der Handelspolitik und in der Wirtschaftspolitik bis hin zur Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung. Wir wollen sobald wie möglich ein neues Freundschafts- und Partnerschaftsabkommen mit Großbritannien abschließen.

Insgesamt rücken wir die Wettbewerbsfähigkeit wieder ins Zentrum der europäischen Politik. Und wir drängen auf mutigen Bürokratieabbau auch in Brüssel, auf weniger Berichtspflichten und Vorschriften.

Meine Damen und Herren,

vieles von dem, was ich hier heute sage, mag sich ein wenig zu detailgenau anhören. Aber diese einzelnen Fragen, über die ich spreche, und die Antworten, die wir darauf geben, sind Teil eines neuen Grundverständnisses, das wir in der Koalition miteinander vereinbaren konnten, nämlich des Grundverständnisses, dass wir unseren Unternehmen und ihren Beschäftigten nicht mit Misstrauen und Kontrollansprüchen begegnen, sondern mit Vertrauen und eben mit Verantwortung. Denn auch die Unternehmen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch die Sozialpartner in den Betrieben genauso wie die Arbeitgeberorganisationen und die Gewerkschaften, sie alle tragen Verantwortung und sie alle verdienen einen Vertrauensvorschuss, sie verdienen mehr Freiheit und Unterstützung, statt Misstrauen und immer mehr Vorschriften.

Das gilt auch – und gerade! – in der Klima- und Energiepolitik. Weder uns als Land noch dem Klima ist geholfen, wenn Unternehmen ihre Produktion aufgrund hoher Kosten oder kleinteiliger Vorgaben ins Ausland verlagern.

Damit auch da kein Zweifel entsteht: An den deutschen und europäischen Klimazielen halten wir fest. Doch um sie zu erreichen, werden wir neue Wege einschlagen. Zentraler Baustein wird die CO2-Bepreisung – und damit ein marktwirtschaftlicher Ansatz, der Anreize setzt.

Die Einnahmen daraus werden wir nicht im Staatshaushalt verschwinden lassen. Sondern gezielt an die Wirtschaft und die Bürgerinnen und Bürgern zurückgegeben.

Und nicht zuletzt werden wir unsere Energiepolitik systematisch auf Bezahlbarkeit, Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit ausrichten – unideologisch und technologieoffen.

In einem ersten Schritt senken wir die Stromsteuer. Das wird für alle schon kurzfristig spürbar sein.

Hinzu kommen Entlastungen zum Beispiel bei den Netzentgelten. Sehr rasch werden wir die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid ermöglichen.

Mehr Freiheit, mehr Anreize für Engagement und eigene Anstrengung schaffen wir auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Leistung muss sich wieder lohnen.

Wer freiwillig mehr arbeitet, soll auch mehr Netto vom Brutto haben. Überstundenzuschläge sollen dazu steuerfrei werden und Prämien für die Ausweitung der Arbeitszeit werden steuerlich begünstigt.

Mit der Aktivrente wird freiwilliges Weiterarbeiten in der Rente belohnt. Zudem geben wir Arbeitnehmern und Betrieben mehr Flexibilität – durch eine wöchentliche statt einer täglichen Höchstarbeitszeit.

Und sobald es die finanziellen Möglichkeiten hergeben – auch hier spielt Wirtschaftswachstum die entscheidende Rolle – werden wir ganz gezielt die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen bei der Einkommensteuer entlasten.

Ordentliche Löhne für gute Arbeit – das ist das zentrale Versprechen der Sozialpartnerschaft in Deutschland. Deshalb streben wir eine höhere Tarifbindung an.

Auch die Sozialpartner, die Unternehmen und Gewerkschaften tragen eine große Verantwortung, auf die wir als Regierung vertrauen, die wir aber auch einfordern. 

Deshalb haben wir vereinbart, an der unabhängigen Mindestlohnkommission festzuhalten. Und zugleich halten wir einen Mindestlohn von 15 Euro im Jahr 2026 angesichts der Tarifentwicklung für erreichbar, aber er wird gesetzlich nicht festgeschrieben.

Wenn wir die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft wiederherstellen, wenn Deutschlands Wirtschaft wieder wächst, dann sichern wir dadurch auch unseren Sozialstaat, der eine der großen Errungenschaften der Bundesrepublik ist. Und ein Garant für sozialen Frieden.

Es ist zentral, dass sich alle Menschen auf eine stabile Alterssicherung verlassen können. Deshalb werden wir das Rentenniveau bis 2031 bei 48 Prozent absichern.

Schon sehr bald werden wir junge Menschen dabei unterstützen, für ihr Alter vorzusorgen und Verantwortung für ihre eigene Zukunft zu übernehmen – mit der sogenannten Frühstart-Rente, durch die bereits ab dem 6. Lebensjahr der Aufbau einer kapitalgedeckten individuellen Altersversorgung beginnt.

Und zugleich werden wir uns der Aufgabe annehmen, den Sozialstaat mit Blick auf eine alternde Gesellschaft zukunftsfest zu machen. Ich stehe auch persönlich dafür ein, dass die jungen Generationen nicht überfordert werden mit Aufgaben, für die ihre Eltern bisher nicht genügend Vorsorge getroffen haben!

Wir werden als Bundesregierung eine Rentenreformkommission einsetzen, die Vorschläge erarbeitet, wie wir die Alterssicherung für alle Generationen gerecht ausgestalten können.

Grundlegende Strukturreformen brauchen wir ebenfalls dringend im Gesundheits- und Pflegesystem. Auch hier werden wir uns Rat von Expertinnen und Experten und den Sozialpartnern holen. Und wir werden die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im Gesundheitswesen verbessern.

Wir werden auch das bisherige Bürgergeldsystem abschaffen und in eine neue Grundsicherung überführen. Wir wollen, dass grundsätzlich für jeden Bezieher von Sozialleistungen immer auch genügend Anreize bestehen, ein höheres Erwerbseinkommen zu erzielen oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen. Deshalb werden wir auch die Hinzuverdienstregeln reformieren und die Transferentzugsraten in den unterschiedlichen Leistungssystemen besser aufeinander abstimmen.

Eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit ist bezahlbares Wohnen – ob für Familien und Rentner mit kleinem Einkommen oder für junge Menschen, gerade in den Ballungszentren.

Wohnraum muss bezahlbar bleiben. Und dort, wo die Preise bereits zu weit gestiegen sind, muss er wieder bezahlbar werden. Zu bezahlbarem Wohnen gehört vor allem: Bauen, Bauen, Bauen. Dafür forcieren wir den Mietwohnungsbau und die Eigentumsbildung mit Steuerentlastungen für Bauherrn, mit einer Entbürokratisierung des Bauens und mit mehr sozialem Wohnungsbau.

Meine Damen und Herren,

meine Heimat liegt im sogenannten „ländlichen Raum“ in Deutschland. Die Erhaltung dieses Raumes, seiner Kultur und seiner Lebensweise sind mir sehr wichtig. Ganz zentral ist dabei die Sicherung einer vielfältigen, leistungsstarken und nachhaltigen Land- und Forstwirtschaft.

Auch in diesem Bereich sind die Herausforderungen immens – vom Klimawandel über die fortschreitende Technisierung bis zum Fachkräftemangel und der überbordenden Bürokratie.

Diese Herausforderungen müssen wir angehen, denn nur wenn es unseren land-, forst- und ernährungswirtschaftlichen Betrieben in all ihrer Vielfalt gut geht, gibt es eine verlässliche regionale Wertschöpfung und weiterhin eine verlässliche Versorgung der Verbraucherinnen und Verbraucher überall in Deutschland mit gesunden Lebensmitteln.

Damit das gelingt, braucht es auch hier einen Politikwechsel. Weg von immer kleineren Stellschräubchen und dem Prinzip Misstrauen. Wir vertrauen den Land- und Forstwirten, sie wissen selbst am besten, wie sie ihre Betriebe erfolgreich führen.

Die neue Bundesregierung wird deswegen vor allem auf Freiwilligkeit, Anreize und Eigenverantwortung setzen. Das wird auch unsere Richtschnur bei den kommenden Vorschlägen der Europäischen Kommission zur Gemeinsamen Agrarpolitik sein.

Meine Damen und Herren,

Verantwortung tragen wir auch für den Fortbestand der offenen Gesellschaft. Die Freiheit, in der wir miteinander in diesem Land leben, ist das größte Erbe, das uns mitgegeben worden ist. Sie ist zugleich die größte Zukunftskraft, die wir haben.

Es ist eine Kernaufgabe einer jeden Bundesregierung, für den Fortbestand der Freiheit in unserem Land Sorge zu tragen.

Das setzt eine Innenpolitik voraus, die den Bedrohungen unserer Freiheit wirksam begegnet. Unsere Bürgerinnen und Bürger erwarten zurecht, dass sie sich ohne Angst im öffentlichen und im digitalen Raum bewegen können. Sie verdienen ein Höchstmaß an Sicherheit und Schutz.

Deutschland ist trotz der verschärften Sicherheitslage nach wie vor ein sehr sicheres Land. Und das ist wesentlich das Verdienst unserer Einsatzkräfte. Sie prägen das Gesicht unseres Landes, oft unter größtem persönlichen Einsatz. Unter all dem, worauf wir als Bundesrepublik besonders stolz sein können, steht ganz vorne die Einsatzbereitschaft und die Professionalität, mit der sich unsere Polizistinnen und Polizisten, unserer Rettungskräfte, unsere Soldatinnen und Soldaten tagtäglich an die Arbeit machen.

Sie haben dafür die größte gesellschaftliche Anerkennung und die besten Arbeitsbedingungen verdient. Und ich möchte ihnen allen sagen: Dafür wird die neue Bundesregierung Sorge tragen. Auch indem wir den strafrechtlichen Schutz der Einsatzkräfte verbessern:

Die Zunahme von Aggression und Gewalt gegen unsere Einsatzkräfte werden wir nicht weiter tolerieren: Sie vergiftet das Klima in unserem Land. 

Wir werden darum unsere Sicherheitsbehörden gezielt stärken und besser ausrüsten. Wir werden mit aller Entschlossenheit tätig werden gegen die Feinde unserer Demokratie und wir werden uns dabei keine blinden Flecken erlauben. Wir werden vor allem dem unerträglichen Antisemitismus den Kampf ansagen, der sich im alten und im neuen Gewand auf den deutschen Straßen und in der deutschen Öffentlichkeit bis hinein in den Raum der Kunst und der Wissenschaft wieder tagtäglich zeigt. Das muss uns beschämen. 

In Verantwortung vor unserer Geschichte: Deutschland muss ein Schutzraum sein für Jüdinnen und Juden. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einige Sätze zu Israel sagen: Wir haben am Montag in Gegenwart des israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog auf 60 Jahre diplomatischer Beziehungen zum Staat Israel zurückgeblickt. 

Bundespräsident Steinmeier hat anlässlich des Festaktes an diesem Tag von einem Wunder gesprochen. Ja: Die diplomatische Annäherung, mehr noch die Partnerschaft, die seit einigen Jahrzehnten zwischen Deutschland und Israel besteht, sie ist ein Wunder. Sie ist aber auch eine Gabe des Staates Israel, der israelischen Gesellschaft, auf die wir in der Bundesrepublik nicht haben hoffen dürfen.

Für die Bundesrepublik folgt daraus: Existenz und Sicherheit Israels sind unsere Staatsraison. Mit dem 7. Oktober ist diese historische Verantwortung wieder sehr konkret geworden. Israel ist an diesem Tag auf barbarischste Weise angegriffen worden. 

Überlebende des Holocaust haben erleben müssen, wie ihre Angehörigen in die Geiselhaft der Hamas genommen worden sind. Ich möchte unseren israelischen Freunden daher sagen: Wir stehen unverbrüchlich an der Seite Israels.

Dazu gehört auch, dass wir uns für einen raschen Frieden in der Region einsetzen. Wir hoffen, dass die Verhandlungen über einen Waffenstillstand gelingen und die Freilassung aller Geiseln, auch der deutschen Staatsangehörigen, die die Hamas immer noch gefangen hält, möglich wird. Und wir unterstützen alle Bemühungen und erwarten sie auch für eine bessere humanitäre Versorgung der Bevölkerung in Gaza, deren Leiden wir sehen, das der Kinder, der Frauen und der älteren Menschen vor allen Dingen.

Ein Wiederaufbau Gazas ohne die Hamas und die Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung, so entfernt sie heute auch erscheinen mag, bleiben nach unserer Überzeugung die beste Chance auf Frieden und Sicherheit für Israel und seine Nachbarn.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich habe schon von der Verantwortung für die offene Gesellschaft gesprochen. Verantwortung für die offene Gesellschaft bedeutet auch, dass wir anerkennen: Die in weiten Teilen ungesteuerte Migration hat unsere Gesellschaft in den letzten Jahren überfordert.

Ich sage gleichwohl in aller Deutlichkeit: Deutschland ist ein Einwanderungsland – das war so, das ist so, und das bleibt auch so. Wir wollen ein freundliches und respektvolles Land bleiben, gerade gegenüber denjenigen, die zu uns gekommen sind und die bei uns leben und arbeiten. Sie sind ein fester und unverzichtbarer Teil unserer Gesellschaft und unseres Landes.

Doch die Entwicklung in den letzten zehn Jahren hat auch gezeigt: Wir haben zu viel ungesteuerte Einwanderung zugelassen und zu gering qualifizierte Migration in unseren Arbeitsmarkt und vor allem in unsere sozialen Sicherungssysteme ermöglicht. Wir ziehen jetzt die Schlussfolgerungen daraus.

Wir ordnen Migration – mit mehr Begrenzung, mehr Zurückweisungen, mehr Steuerung, mehr Rückführungen.

Unsere wichtigsten Schritte werden sein: Wir kontrollieren verstärkt unsere Staatsgrenzen und werden Versuche der illegalen Einreise konsequent zurückweisen. Freiwillige Aufnahmeprogramme, die zur Überforderung unserer Gesellschaft beitragen, werden eingestellt.

Dazu gehört auch, dass wir den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten aussetzen. Gleichzeitig beginnen wir mit einer Rückführungsoffensive – auch in Herkunftsländer wie Syrien und Afghanistan.

Wir machen dabei keinen nationalen Alleingang und verhalten uns im Einklang mit europäischen Recht.

Wir sind uns einig, die Außengrenzen konsequent zu schützen – und bei dieser Aufgabe werden wir die Außengrenzstaaten unterstützen.

Wir setzen die EU-Asylreform konsequent um und wollen gemeinsam mit unseren europäischen Partnern auch die Voraussetzungen für Asylverfahren in Drittstaaten schaffen.

Wir werden Integration ermöglichen, aber auch einfordern. Denn auch und gerade da, wo Menschen in Freiheit zusammenleben, braucht es einen gemeinsamen Horizont von Werten und eine gemeinsame Sprache. Wir werden es deshalb zur Priorität machen, dass die Menschen, die bei uns bleiben, schnellstmöglich in Arbeit kommen. Für gut integrierte Geduldete, die für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen und Deutsch können, schaffen wir ein Bleiberecht.

Unsere neue Migrationspolitik ist ein Zeichen der Verantwortung – klar, gerecht und am Wohle unseres Landes orientiert.

Meine Damen und Herren,

wir haben in den vergangenen Wochen die Grundlagen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen CDU, CSU und SPD gelegt. Wir haben uns verständigt darauf, wie wir Politik gestalten wollen:

Zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger. Problemlösend. Ohne öffentlichen Streit. Mit Blick nicht nur auf die Risiken, sondern vor allem auf die Chancen.

Wir werden dabei eng mit diesem Hohen Haus, dem Bundesrat, den Ländern und den Kommunen zusammenarbeiten. Auch sie tragen Verantwortung für eine gute Zukunft in Deutschland und Europa.

Und gleiches gilt für die Bürgerinnen und Bürger selbst, für jede und jeden Einzelnen von uns. „Der Staat“ sind wir alle, jeder einzelne und wir alle zusammen als Gemeinschaft. Jede Forderung an „den Staat“ richtet sich also zugleich an jeden einzelnen, auch an denjenigen, der eine solche Forderung erhebt.

Ich will dem Deutschen Bundestag und den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land sagen: Wir können alle Herausforderungen, ganz gleich wie groß sie auch sein mögen, aus eigener Kraft heraus bewältigen. Es gibt kein Problem, das wir jedenfalls auf Zeit nicht lösen könnten. Es liegt nicht an externen Einflüssen oder Ereignissen, sondern an uns selbst. Unser Land hat alle Stärken, um wieder nach vorne zu kommen.

Was wir brauchen, ist nicht mehr und nicht weniger als eine gemeinsame Kraftanstrengung. Ich habe große Zuversicht, dass uns das in den nächsten Jahren gemeinsamen gelingen kann.

Dabei wende ich mich ganz besonders an die junge Generation: Die neue Bunderegierung wird mit aller Kraft dafür arbeiten, dass wir einen neuen Generationenvertrag verwirklichen. Wir wissen, dass wir angesichts des demographischen Wandels in dieser Legislaturperiode die Weichen für Eure Zukunft stellen müssen. Wir wissen, dass es Eure Chancen sind, für die wir heute arbeiten. Aber ich bitte Euch auch: 

Helft mit, denn die Zukunft gehört Euch, und dafür wollen wir gemeinsam arbeiten.

Dabei hat auch die Bundesregierung nicht auf alle Fragen eine schnelle Antwort. Ich auch nicht. Mein Angebot an Sie alle ist: Lassen Sie uns gemeinsam nach Antworten suchen, um Lösungen ringen, manchmal auch streiten - aber lassen Sie es uns zusammen machen.

Uns eint die Zuversicht, dass die Geschichte dieser Bundesrepublik Deutschland eine denkwürdige Erfolgsgeschichte ist, die wir fortschreiben können. Sie ist das Ergebnis vieler gemeinsamer Aufbrüche. Immer wieder haben sich die Menschen in unserem Land entschieden, die Dinge besser zu machen.

Für den Aufbruch, der nun vor uns liegt, wünsche ich mir dabei, dass wir alle in Deutschland – in Nord, Süd, Ost und West – eine Fähigkeit zeigen, die wir immer wieder unter Beweis gestellt haben, die Fähigkeit nämlich, mit Mut und aus eigener Kraft das eigene Leben, die eigene Zukunft in die Hand zu nehmen.

Wir sind als Regierung angetreten, unseren Teil dieser Verantwortung wahrzunehmen.

Wir streben kein ideologisches Großprojekt zur Veränderung unserer Gesellschaft an. Wir wollen einen guten Rahmen setzen für das Zusammenleben der Menschen in Deutschland.

Wir schlagen dabei neue Wege ein, aber wir bleiben verlässlich und diskussionsbereit.

Ich möchte, dass Sie, die Bürgerinnen und Bürger, schon im Sommer spüren: Hier verändert sich etwas zum Guten, hier geht es jetzt voran!

Wenn wir alle – jeder für sich und wir alle gemeinsam, als ein Land gemeinsam daran arbeiten, dann kann uns das gelingen.

Alles, was ich selbst als Bundeskanzler dazu beitragen kann, will ich in den kommenden Jahren tun: nach dem Besten meiner Möglichkeiten und mit ganzer Kraft, aus Verantwortung für Deutschland.

Vielen Dank!