Kim Jong-un im Ukraine-Krieg an Putins Seite: „Damit kann man Nordkorea als Kriegspartei bezeichnen“

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Im Ukraine-Krieg kämpfen auch Tausende Soldaten aus Nordkorea. Diktator Kim Jong-un deswegen zur Rechenschaft zu ziehen, sei schwierig, sagt ein Experte – aber nicht unmöglich.

Seit vergangenem Herbst unterstützt Nordkoreas Diktator Kim Jong-un den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht mehr nur mit Waffen und Munition, sondern auch mit Soldaten. Mehrere Tausend Mann soll Kim Geheimdienstberichten zufolge in die russische Region Kursk geschickt haben, Hunderte von ihnen wurden angeblich bereits verletzt oder getötet. Song Sang-hyun, der ehemalige Präsident des Internationalen Strafgerichtshofs, fordert nun, Kim wegen seiner Beteiligung am Ukraine-Krieg in Den Haag anzuklagen. Ist das möglich? Völkerrechtler Simon Gauseweg sagt: Eine Anklage wegen Kriegsverbrechen ist schwierig. Es gebe allerdings einen Weg, Kim trotzdem zur Rechenschaft zu ziehen.

Herr Gauseweg, gehört Nordkoreas Staatschef Kim Jong-un wegen der Beteiligung seines Landes am Ukraine-Krieg vor Gericht, wie es der ehemalige Präsident des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag fordert?

Song Sang-hyun wirft dem nordkoreanischen Staatschef Kriegsverbrechen vor. Kriegsverbrechen sind besonders schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts, also zum Beispiel die Bombardierung von Krankenhäusern oder das Töten von Zivilisten. Kim Jong-un stellt allerdings „nur“ Soldaten für den russischen Angriffskrieg bereit. Und diese Soldaten kämpfen offenbar nur auf russischem Staatsgebiet, wo sich kaum ukrainische Zivilisten aufhalten dürften. Daraus abzuleiten, er begehe Kriegsverbrechen, ist schwierig.

Wäre es denn überhaupt möglich, Kriegsverbrechen direkt mit Kim Jong-un in Verbindung zu bringen?

Auch das wäre schwierig. Nordkorea ist zwar ein autoritärer Staat, und Kim Jong-un duldet keinen Widerspruch. Um ihn für mögliche Kriegsverbrechen seiner Soldaten verantwortlich zu machen, müsste man dennoch nachweisen, dass entsprechende Befehle direkt von ihm stammen. Naheliegender wäre es deshalb, Kim wegen der Unterstützung des russischen Angriffskriegs anzuklagen, also wegen dem, was das Völkerstrafrecht „Aggression“ nennt.

Zur Person

Simon Gauseweg ist akademischer Mitarbeiter an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Völkerrecht, Europarecht und ausländisches Verfassungsrecht.

„Man könnte Kim Jong-un wegen Beihilfe an russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine anklagen“

Aber?

Das Problem ist, dass der Internationale Strafgerichtshof hier nicht zuständig ist. Auch der Haftbefehl, den der IStGH 2023 gegen Wladimir Putin erlassen hat, gründet deshalb nicht auf dem Verbrechen der Aggression. Das Gericht wirft ihm vielmehr Kriegsverbrechen vor, konkret: dass er aus den besetzten ukrainischen Gebieten Kinder entführen und in russische Familien überführt lässt. Kim Jong-un müsste man ebenso Kriegsverbrechen nachweisen, und das halte ich, wie gesagt, für schwierig.

Kim kommt also ungeschoren davon?

Man könnte Kim möglicherweise wegen Beihilfe an den russischen Kriegsverbrechen anklagen: weil er Russland mit der Bereitstellung von Soldaten und der Lieferung von Waffen und Munition dabei hilft, die Kriegsverbrechen zu begehen, die Wladimir Putin vorgeworfen werden. Möglicherweise ist er sogar Mittäter bei diesen Kriegsverbrechen. 

Selbst wenn es zu einer Anklage käme: Dass sich Kim in Den Haag verantworten muss, ist extrem unwahrscheinlich.

Genau, weder Kim noch Putin werden wohl jemals nach Den Haag ausgeliefert werden. Eine Anklage wären also vor allem symbolisch. Das gilt auch für das Sondertribunal, das die EU-Staaten zusammen mit der Ukraine einrichten wollen, um Verantwortliche aus dem Kreml und dem russischen Militär wegen des Angriffskriegs zur Rechenschaft zu ziehen.

„Nordkorea wäre ein legitimes Ziel ukrainischer Kampfhandlungen“

Die Ukraine hat Anfang des Jahres zwei nordkoreanische Kriegsgefangene öffentlich präsentiert. War das aus völkerrechtlicher Sicht in Ordnung?

Nein, das war es nicht. Auch Kriegsgefangene haben Rechte, und eines davon besagt, dass sie nicht öffentlich vorgeführt werden dürfen. Und da ist es egal, auf welcher Seite sie kämpfen oder wer einen Krieg begonnen hat.

Autokraten unter sich: Russlands Wladimir Putin (Mi.) und Nordkoreas Kim Jong-un (re.).
Autokraten unter sich: Russlands Präsident Wladimir Putin (Mitte) und Nordkoreas Diktator Kim Jong-un (rechts). © IMAGO / Russian Look

Ist Nordkorea denn überhaupt Kriegspartei?

Im vergangenen Jahr, als es erste Berichte über nordkoreanische Truppen in Russland gab, soll Russland den Soldaten russische Uniformen und russische Papiere gegeben haben – offenbar, um zu verschleiern, dass es sich um Nordkoreaner handelt. Man hätte die Soldaten völkerrechtlich damals also Russland zuordnen können. Vor Kurzem haben aber sowohl Russland als auch Nordkorea den Einsatz der Soldaten bestätigt. Damit kann man die Soldaten Nordkorea zuordnen – und Nordkorea als Kriegspartei bezeichnen.

Also hat die Ukraine auch das Recht, gegen diese nordkoreanischen Soldaten zu kämpfen?

Die Ukraine hätte jedes Recht, mit Panzerkolonnen Richtung Moskau zu fahren, um sich zu verteidigen. Und wenn sich nordkoreanische Soldaten in den Weg stellen, dann hat die Ukraine das Recht, gegen diese Soldaten zu kämpfen. Auch Nordkorea selbst wäre – zumindest rein theoretisch – ein legitimes Ziel ukrainischer Kampfhandlungen.

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