Ukraine-Geflüchtete und die Arbeit: Warum Deutschlands Weg doch der „nachhaltigere“ sein könnte

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Kein Bürgergeld, mehr Arbeit – 2024 rückten Ukraine-Geflüchtete plötzlich ins Visier der Politik. Ein Experte erklärt der FR aber: Es gibt durchaus positive Daten.

Berlin – Die mutmaßliche neue Regierungspartei CSU hatte sich schon vor geraumer Zeit klar geäußert: „Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der West-Ukraine“, forderte Landesgruppenchef Alexander Dobrindt im Sommer 2024 mit Blick auf Geflüchtete aus der Ukraine. Zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs schien sich der Wind zu drehen – auch wenn CDU-Chef Friedrich Merz später etwas relativierte.

Ein Anlass für die markigen Forderungen waren viel debattierte Zahlen: Knapp 27 Prozent der kriegsgeflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer in Deutschland hatten im Juli 2024 eine sozialversicherungspflichtige Arbeit. Kein Top-Wert – in Polen waren es im März 2024 65 Prozent. Aber: Die Arbeitsquote ukrainischer Geflüchteter in der Bundesrepublik ist gestiegen. Und Deutschlands Kurs könnte letztlich nachhaltiger gewesen sein, wie Jan Schneider vom Sachverständigenrat für Integration und Migration der Frankfurter Rundschau sagt.

Flucht vor dem Ukraine-Krieg: Mehr arbeitende Geflüchteten in Deutschland – „Nachhaltigerer“ Weg?

Teils klang es in den deutschen Debatten so, als sei der direkte Anspruch auf Bürgergeld ein Anreiz für Ukrainerinnen und Ukrainer, sich auf die faule Haut zu legen – Schneider sieht andere Gründe für die lange mauen deutschen Statistiken. Etwa die Integrationskurse, die Hunderttausende der ankommenden Geflüchteten absolvierten. Und einen verknüpften „Lock-In-Effekt“: „Wenn man einen Integrationskurs macht, einen halben Tag, fünf Tage die Woche und vielleicht noch alleinerziehend ist, dann kann man nicht arbeiten“, betont der Forscher im Gespräch am Rande der Berliner Ukraine-Konferenz „Cafe Kyiv“.

Ein großer Teil der Ukraine-Geflüchteten in EU-Staaten sind Frauen und Kinder. Gerade alleinerziehende Frauen müssten sich aber um ihre Kinder, um deren Betreuung in Kita und Schule, um den eigenen Sprachkurs, vielleicht um die Anerkennung eigener Diplome kümmern, erläutert Schneider. Diese Phase könne ein oder zwei Jahre dauern, ende nun aber vielfach: „Deswegen haben wir in den vergangenen Monaten eine recht gute Steigerung der Erwerbsquoten gesehen, bis auf über 40 Prozent derjenigen, die im erwerbsfähigen Alter sind.“ Das zeigten Daten einer Befragung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.

Deutschland könnte letztlich einen besseren Weg gefunden haben, als Länder, die die Ankommenden schneller in den Arbeitsmarkt integrierten, meint Schneider. Wo die Maßgabe „Hauptsache arbeiten“ gelte, seien viele Geflüchtete in Hilfstätigkeiten oder unqualifizierte Jobs gegangen. „Später können sie aber mit ihren Berufsabschlüssen aus der Ukraine nichts mehr anfangen – denn die verlieren ja auch an Wert, je länger die Ausbildung her ist“, sagt Schneider. Womöglich gingen diese Arbeitskräfte den Gastländern am Ende auch schneller wieder verloren. „Insofern würde ich schon davon sprechen, dass der deutsche Ansatz der Integration für die Ukrainer im europäischen Vergleich recht nachhaltig ist.“

Unklare Zukunft für viele Ukraine-Geflüchtete: EU-Regel läuft aus – und dann?

Was indes viele nicht wissen: Die Zukunft der Geflüchteten aus der Ukraine ist EU-weit unklar. Noch bis 4. März 2026 gilt in der ganzen EU der „vorübergehende Schutz“ für aus der Ukraine geflohene Menschen. Wie es danach weitergeht, ist noch offen. Die polnische EU-Ratspräsidentschaft sucht nach einer Lösung im Eilverfahren, wie Kamil Kisiel aus Polens Innenministerium in einem Panel des „Cafe Kyiv“ erklärte. Demnächst will sie einen Fragebogen an die EU-Mitgliedsstaaten schicken. Was man laut Kisel auf jeden Fall vermeiden will: Dass schutzsuchende Ukrainerinnen und Ukrainer von einem EU-Staat in einen anderen weiterziehen müssen.

Hans-Ulrich Benra, Chef der „Taskforce Ukraine“ im deutschen Innenministerium, erklärte in derselben Runde: Auch Deutschlands neue Regierung werde ziemlich sicher eine EU-weite Lösung bevorzugen – und Menschen in Arbeit sollen idealerweise so lange bleiben können, wie sie wollen. Tatsächlich steigt Umfragen zufolge die Zahl derer, die bleiben wollen. Schneider sieht da allerdings mit dem Ende des „vorübergehenden Schutzes“ Probleme heraufziehen.

Jan Schneider, Kamil Kisiel und Hans-Ulrich Benra (v.l.) auf dem Podium beim „Cafe Kyiv“ der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Jan Schneider, Kamil Kisiel und Hans-Ulrich Benra (v.l.) auf dem Podium beim „Cafe Kyiv“ der Konrad-Adenauer-Stiftung. © Florian Naumann

Für Hochqualifizierte gebe es etwa die „Blue Card“ der EU. Einige Menschen drohten aber „durch das Raster zu fallen“. Eine Teil-Lösungsoption gebe es aber zumindest für Beschäftigten in unqualifizierten Helfertätigkeiten: Über die „Beschäftigungsverordnung könne Staatsangehörigen bestimmter Länder die Ausübung aller Beschäftigungen erlaubt werden. Elf Staaten stehen aktuell auf dieser „Best-Friends-Liste“, etwa Großbritannien, Israel oder Neuseeland. „Die Ukraine könnte der zwölfte sein“, sagt Schneider.

„Es geht ja nicht darum, dass alle ukrainischen Geflüchteten hier bleiben, nach dem Motto ‚wir brauchen Arbeitskräfte‘ – sodnern darum, dass die Menschen eine Chance haben, ihren eigenen Lebensweg mitzubestimmen“, fügt er hinzu. Diese Ziel könnte auch die Antwort auf ein drohendes Dilemma sein: Wenn der Ukraine-Krieg eines Tages zu Ende ist, wird das Land junge Menschen brauchen, die beim Wiederaufbau helfen. „Zu sagen, man zwingt alle, in ihr Heimatland zurückzugehen, hat migrationspolitisch noch nie funktioniert“, meint der Experte. Helfen könnten zu gegebener Zeit „Anreizsysteme“ – und den Betroffenen klare Optionen und transparente Bedingungen an die Hand zu geben. (fn)

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