Söders Bürgergeld-Irrweg: Ukrainische Geflüchtete kommen nicht wegen Sozialleistungen

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Sehr wenig Ukraine-Geflüchtete arbeiten in Deutschland, weil die Versorgung im Bürgergeld zu gut sei, so die These von Markus Söder. Eine Studie widerspricht.

München – Markus Söder (CSU) hat die Debatte um Bürgergeld-Zahlungen an Geflüchtete neu angeheizt. Der bayerische Ministerpräsident erklärte, dass Ukrainerinnen und Ukrainer kein Bürgergeld mehr erhalten sollten, „und zwar am besten nicht nur die, die in der Zukunft kommen“.

Bürgergeld statt Arbeit: Studie widerspricht Söder-These zu Geflüchteten aus der Ukraine

Es gebe „kein Land der Welt“, das im Falle von Geflüchteten aus der Ukraine so verfahre wie Deutschland mit dem Bürgergeld, erklärte Söder. „Deswegen sind bei uns auch so wenige Menschen aus der Ukraine in Arbeit, obwohl sie gute Ausbildungen haben.“ Unterstützung bekam Söder von Kanzleramtschef Thorsten Frei. Söder habe recht, dass wir hier „Leistungen ausbringen, wie es kein anderes Land der Erde tut“, sagte der CDU-Politiker NTV. Das habe auch zu einer schlechteren Integration in den Arbeitsmarkt als in anderen Ländern geführt.

Besucher gehen an einem Hinweisschild der Initiative Ukrainian Coordination Center (UCC) zur Unterstützung von ukrainischen Geflüchteten vorbei.
Zu wenig Anreiz zum Arbeiten, weil die Unterstützung durch das Bürgergeld zu hoch ist? Eine Studie widerspricht der These, dass Ukrainerinnen und Ukrainer sich wegen Sozialleistungen für die Zielländer entscheiden. © Frank Rumpenhorst/dpa

Söder und Frei füttern damit das Narrativ, wonach das Bürgergeld für Geflüchtete eine „soziale Hängematte“ sei. Eine neue Studie wirft daran jedoch Zweifel auf. Ukrainerinnen und Ukrainer „entscheiden sich für Länder mit guten Jobchancen“, erklärt das Ifo Institut. „Weniger relevant sind höhere Sozialleistungen.“

Aussicht auf Arbeit und bessere Löhne größere Motivation für Einreise als das Bürgergeld

„Die Aussicht auf einen Arbeitsplatz, der zur eigenen Qualifikation passt, und ein höheres Lohnniveau haben einen deutlich stärkeren Effekt auf die Entscheidung der Geflüchteten, in welches Land sie gehen, als Sozialhilfen oder andere staatliche Leistungen“, erklärte Panu Poutvaara, Leiter des Ifo Zentrums für Migration und Entwicklungsökonomik. „Wir sehen, dass Lohnunterschiede eine fast vier Mal stärkere Rolle bei der Wahl des Ziellands von ukrainischen Geflüchteten spielen als Unterschiede in Sozialleistungen.“ Wobei das nicht heiße, dass diese keine Rolle spielen, räumte der Forscher ein.

Für die Studie hatte das Ifo Institut über 3300 ukrainische Geflüchtete in Europa befragt. In einem hypothetischen Szenario konnten diese zwischen zwei Ländern mit verschiedenen Bedingungen wählen, etwa bessere Jobchancen oder höhere Löhne. Bei positiveren Aussichten in der Berufswahl hätten sich die Befragten mit einer um 15 Prozentpunkten höheren Wahrscheinlichkeit dafür entschieden, erklärte das Ifo Institut. Bei einem um 500 Euro höheren Durchschnittslohn entschieden sich die Befragten mit einer um neun Prozentpunkten höheren Wahrscheinlichkeit dafür.

Auch arbeitslose Ukrainerinnen und Ukrainer hoffen auf Arbeit – statt im Bürgergeld zu hängen

Auch für Arbeitslose seien die Beschäftigungsmöglichkeiten und höhere Löhne „entscheidende Faktoren“, erklären die Fachleute. „Sie planen offenbar, in Zukunft in den Arbeitsmarkt einzusteigen“, so die Schlussfolgerung, die damit den Unterstellungen von Söder und Frei widersprechen. Dazu passen frühere Auswertungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, wonach Migration für die zunehmende Zahl der Erwerbstätigen verantwortlich ist.

„Passende politische Maßnahmen auf nationaler und internationaler Ebene lassen sich nur planen, wenn die Politik die Motive der Geflüchteten, bestimmte Länder auszuwählen, zur Kenntnis nimmt“, erklärte Yvonne Giesing. Die Diskussionen um Kürzungen von Sozialleistungen, um die Flucht in die Länder unattraktiver zu machen, hätten damit nur wenig Wirkung. „Staatliche Hilfe zu kürzen, könnte sich auch langfristig negativ auf die Integration auswirken“, sagte Giesing.

Union und SPD wollen Ukrainerinnen und Ukrainern kein Bürgergeld mehr zahlen

Um genau diese Integration zu vereinfachen und damit den Weg aus der Arbeitslosigkeit zu ebnen, forderte auch Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Geflüchtete ins Bürgergeld zu integrieren. „Geflüchtete brauchen Beratung, Vermittlung, Qualifizierung. Das gibt es in der Grundsicherung“, erklärte der Ökonom. Für eine schnellere Integration und „Aufstieg im Arbeitsmarkt“ brauche es zügige Verfahren, eine Anerkennung von Abschlüssen sowie Sprachförderung und Qualifizierung – „auch berufsbegleitend“.

Union und SPD planen jedoch das genaue Gegenteil. Wenn sie nach dem 1. April 2025 nach Deutschland gekommen sind, sollen Ukraine-Geflüchtete kein Bürgergeld mehr erhalten, sondern die geringeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, so der Koalitionsvertrag.

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