Zündet der „Job-Turbo“ für Ukrainer?
Ende des vergangenen Jahres kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil den „Job-Turbo“ für ukrainische Kriegsgeflüchtete in Deutschland an. Wechselte die Vermittlung in neue Jobs damit auf die Überholspur?
Landkreis – „Das Ziel ist klar: Geflüchtete aus der Ukraine, die Bürgergeld beziehen, sollen so schnellstmöglich in Arbeit oder Ausbildung vermittelt werden“, erklärt Jan Riediger, Geschäftsführer des Jobcenters in Weilheim.
Wurde bislang das Augenmerk darauf gelegt, dass die Ukrainer möglichst gute Deutschkenntnisse erwerben, habe in dieser Frage ein Umdenkprozess eingesetzt, so Riediger: „Wir versuchen, die Ukrainer zu vermitteln, sobald sie das Sprachniveau A2 oder B1 erreicht haben.“
B1 bedeutet, dass der Betroffene „die Hauptpunkte verstehen kann, wenn klare Standardsprache verwendet wird und wenn es um vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit und so weiter geht“. Die Idee dahinter sei, dass der Spracherwerb meist schneller gelingt, wenn man sich im Zuge einer Berufstätigkeit verständlich machen muss, so der Jobcenter-Chef.
Das bisherige Ziel, alle vor der Vermittlung idealerweise auf Sprachniveau B2 zu bringen, „würde wahrscheinlich noch Jahre dauern“, sagt Riediger weiter. Die Zusammenarbeit mit den Anbietern von Sprachkursen sei bestens, aber dort würden schlichtweg die Kapazitäten fehlen.
„Jobtag“ Ende März in Peißenberg geplant
Deswegen begrüßt er den neuen Ansatz. Und macht gleich Nägel mit Köpfen. In Zusammenarbeit mit Peißenbergs Bürgermeister Frank Zellner – seinem Vorgänger als Jobcenter-Chef – hat Riediger 200 Unternehmer in Peißenberg angeschrieben und zu einem „Jobtag“ Ende März in Peißenberg eingeladen.
„Dabei sollen Menschen und Arbeit zusammengebracht werden“, so Riediger. Die Firmenchefs und die Jobsuchenden sollen unkompliziert und zwanglos aufeinandertreffen. „Dabei geht es in erster Linie nicht um die Vermittlung von ausgebildeten Fachkräften, sondern eher um Quereinsteiger, die im Helferbereich die Unternehmen bereichern können.
Als Beispiel nennt er die Solarzentrum Oberland GmbH, die im vergangenen Jahr zwei Ukrainer, die eigentlich eine ganz andere Ausbildung hatten, als Helfer bei der Montage von Solaranlagen einstellten. „Die sind immer noch im Unternehmen tätig – und beide Seiten profitieren davon“, so Riediger. Bei der täglichen Arbeit erlernen sie schnell die deutsche Sprache. Ein Modell, das im Landkreis Schule machen soll.
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„Sanktionsmöglichkeiten müssen wieder geschaffen werden“
In den vergangenen Monaten entzündete sich ein Streit über die Einführung des Bürgergelds. Insbesondere von Seiten der Union wurde die Höhe der Leistungen kritisiert, die Bürgergeldempfänger vom Jobcenter bekommen.
Dessen Leiter im Landkreis Weilheim-Schongau, Jan Riediger, versucht, die Debatte zu versachlichen. „Das Jobcenter übernimmt Miete und Nebenkosten für die Bürgergeldempfänger“, erklärt er. Dazu gebe es 563 Euro pro Monat für einen Alleinstehenden, Partner und Kinder erhalten einen geringeren Regelbedarf. „Davon muss dann allerdings alles bestritten werden“, so Riediger. Nicht nur der Kauf von Lebensmitteln und Kleidung, sondern auch die Stromrechnung. „Und gerade beim Strom haben wir alle mitbekommen, wie teuer das in den vergangenen Jahren war.“ Dazu kommen die Kosten für Handy, Internetanschluss zu Hause, gegebenenfalls für ein Auto und ja, auch für Kultur oder einen Streaminganbieter. Schaue man sich das alles an, falle auf, dass die 563 Euro zwar auskömmlich, aber keinesfalls überzogen oder üppig seien.
Die Einführung des Bürgergelds im vergangenen Jahr sei mittlerweile weitestgehend abgeschlossen. Nun gelte es, die Erfahrungen aus der Praxis aufzuarbeiten. Riediger bezieht sich dabei auf die Möglichkeiten, Bürgergeld-Empfängern, die nicht mitwirken wollen, zu sanktionieren. Da gebe es derzeit kaum Handlungsspielräume für die Mitarbeiter der Jobcenter: „Sobald einer sagt ,beim nächstem Mal mach’ ich dann mit’, ist es nicht mehr möglich, eine Leistungsminderung auszusprechen.“ Das sei nicht unbedingt zielführend, so Riediger weiter. Denn auch wenn es nur „einen niedrigen einstelligen Bereich unserer Kunden“ betreffe, die seiner Ansicht nach sanktioniert werden müssten, „wäre es hilfreich, wenn die Regelungen diesbezüglich noch einmal angepasst werden. Schließlich sind es Steuergelder, die wir hier auszahlen“ und eine Partnerschaft zwischen Jobcenter und Bürgergeld-Empfänger setze voraus, dass sich beide Seiten gleichermaßen engagieren.
Für die Firmen ist es eine Möglichkeit, sich schnell motivierte Hilfskräfte zu sichern, für die Jobsuchenden eine Eintrittskarte ins Berufsleben. „Wenn sie im Unternehmen angekommen sind und sich qualifizieren wollen, gibt es für sie und die Betriebe Förderprogramme von der Agentur für Arbeit“, wirbt Riediger. Das Angebot richte sich übrigens nicht nur an die ukrainischen Kriegsgeflüchteten, sondern an alle Kunden des Jobcenters.
Bei den Ukrainern verstärke man derzeit die Bemühungen, sie in Beschäftigung zu bringen. „Wenn die nötigen Kurse abgeschlossen sind, werden sie häufiger eingeladen und intensiv betreut“, so der Jobcenter-Chef. Das sei auch nötig, denn es gebe viele Sorgen und Missverständnisse, die ausgeräumt werden müssen. „Wir müssen viel erklären, den Menschen zeigen, dass es sich immer lohnt, arbeiten zu gehen – auch wenn sie am Ende noch Leistungen vom Jobcenter bekommen.“ Aber wer arbeiten gehe, der habe am Ende durch die Freibeträge definitiv mehr Geld in der Tasche, als wenn er nur Bürgergeld beziehen würde.
„Es wird Zeit, sich hier eine Existenz aufzubauen“
Viel zu erklären gibt es auch beim dualen Ausbildungssystem in Deutschland. Das sei ein Alleinstellungsmerkmal, um das wir weltweit beneidet werden, so Riediger. Das Konzept sei aber auch schwierig zu verstehen. „Da müssen wir ran: Wir wollen den jungen Menschen Lust darauf machen, eine Ausbildung anzunehmen – gerade mit Blick auf die vielen freien Lehrstellen.“
Das Jobcenter in Weilheim betreut derzeit 1150 Ukrainer, 750 von ihnen sind älter als 15 Jahre, können also gleich oder in absehbarer Zeit auf den Arbeitsmarkt vermittelt werden. Es gelte nun, ihnen klarzumachen, dass es in ihrem und dem Interesse des Gastlandes Deutschlands ist, wenn sie eine Beschäftigung aufnehmen. „Am Anfang ging es darum, die Menschen zu versorgen, ihnen eine sichere Zuflucht zu bieten“, erinnert sich Riediger. Mittlerweile setze sich aber die Erkenntnis durch, dass niemand sagen könne, wie lange der russische Angriffskrieg in der Ukraine noch wüten wird. Und dass es deswegen Zeit wird, sich hier eine Existenz aufzubauen.
Der „Job-Turbo“ soll dabei helfen. Der Tag in Peißenberg ist ein Testballon. Ist er ein Erfolg, sollen ähnliche Aktionen in anderen Städten und Gemeinden des Landkreises folgen. Die ersten Vorgespräche mit Bürgermeistern hat Riediger bereits geführt, wie er im Gespräch mit der Heimatzeitung mitteilte.