„Ernsthaft verstörend“: Entsetzte Reaktionen auf Merz-Rede vor der Wahl
Entsetzen folgt auf eine Merz-Rede am Vortag der Bundestagswahl: Wissenschaftler warnen; die SPD zeigt sich vor möglichen Koalitionsverhandlungen entsetzt.
München - Am Vortag der Bundestagswahl hat sich Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz – ausgerechnet in einem Bierkeller in München – in Rage geredet und einen Teil der deutschen Bevölkerung aus der „Mehrheit“ ausgeschlossen, für die er Politik machen will. Seine Worte fielen unter tobendem Applaus und Pfiffen von 1200 Anhängern von CDU und CSU im Münchner Löwenbräukeller.
Merz hatte gegen „Antifa“ und „grüne und linke Spinner“ gebrüllt und dem jubelnden Publikum versprochen, die Zeit der „linken Politik“ sei „vorbei“. Außerdem warf er den Menschen, die gegen Rechts demonstriert hatten, zu Unrecht vor, es habe bei der Ermordung von Walter Lübcke keine Demonstrationen für Demokratie gegeben – oder auch keinen Widerspruch gegen Antisemitismus aus Reihen pro-palästinensischer Demonstrierender.
Enthemmte Merz-Rede „lässt sich nur damit erklären, dass Merz (...) doch eine Koalition mit der AfD anstrebt“
„Diese hasserfüllte, enthemmte Merz-Rede in München lässt sich eigentlich nur damit erklären, dass Merz, entgegen seiner Versprechen (denn was sind die schon wert?) doch eine Koalition mit der AfD anstrebt“, schreibt die Journalistin und Expertin für US-Rechtsextremismus Annika Brokschmidt auf Bluesky. „Wie soll denn eine andere Koalition aussehen, wenn er so gegen Menschen links von ihm hetzt?“
„Das ist ernsthaft verstörend“, schreibt die Zukunftsforscherin Maja Göpel. „Für Demonstrationen gegen rechts ‚linke & grüne Spinner‘ beschimpfen, die ‚nicht mehr geradeaus denken können‘? Das sind +/- 45% der Bürger:innen in Deutschland – gegenüber 35%, die nicht rechtsradikal wählen.“ Und Bernd Wolf, Sozialpsychologe an der Leibniz Universität Hannover, zeigt sich im Berufsnetzwerk LinkedIn äußerst besorgt: „Nun ist er in letzter Sekunde doch noch ehrlich und alle im Land wissen, was der heutige Wahltag bedeutet.“ Außerdem stellt Wolf die Frage: „Was kommt da auf uns zu? Ziele wie die Bekämpfung des Klimawandels und der sozialen Ungleichheit werden von ihm nicht mehr verfolgt werden.“
Reaktionen auf Merz-Rede: „Wer wird als nächstes zum Feindbild erklärt?“
„Anders als Friedrich Merz habe ich übrigens auch nach Walter Lübckes Tod gegen den Rechtsradikalismus demonstriert. Wie auch viele Tausend andere Bürger, die nach Merz Ansicht ‚grüne und linke Spinner‘ sind, für die er ausdrücklich keine Wahl machen will“, schreibt die Rechtsanwältin Miriam Vollmer auf LinkedIn.
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„Linke Politik setzt sich für gesellschaftliche Gleichheit, soziale Gerechtigkeit und individuelle Freiheit ein. Sie bekämpft strukturelle Ungleichheiten in Einkommen, Bildung und politischer Teilhabe und fördert Umverteilung durch progressive Steuern und soziale Sicherungssysteme“, schreibt Romina Stawowy, Verlegerin des femMit-Magazins. Merz habe keine Argumente mehr, sondern werfe mit Beleidigungen um sich, was entlarvend sei. Und sie stellt zwei Fragen: „Wer wird als nächstes zum Feindbild erklärt?“ Und: „Was wird das für ein Kanzler, der Politik nur für Menschen macht, die in sein Weltbild passen?“
„Mini-Trump“ und „rechter Demagoge“ – Merz-Rede ruft heftige Reaktionen hervor
„Wer so hetzt und spaltet, darf doch kein Kanzler werden“, schreibt eine Userin unter dem Instagram-Account von „Frauen gegen Merz“. Eine andere: „Ein irrer Mini-Trump, der wieder gezeigt hat, dass er sich nicht im Griff hat.“ Und eine andere Userin unterstellt ihm „Das ist Taktik. Wenn keiner mit ihm arbeiten will, bleibt ihm ja „leider keine andere Wahl“ um sich doch mit der AfD zusammen zu tun.“
Auch der mögliche Koalitionspartner SPD zeigt Erschütterung. Die Spitze wirft Merz vor, das Land zu spalten. „Friedrich Merz macht auf den letzten Metern des Wahlkampfes die Gräben in der demokratischen Mitte unseres Landes nochmals tiefer“, kritisierte SPD-Chef Lars Klingbeil auf X. Generalsekretär Matthias Miersch sprach vom Tiefpunkt des Wahlkampfes. „Statt zu einen, entscheidet sich Friedrich Merz, noch einmal richtig zu spalten. So spricht niemand, der Kanzler für alle sein will – so spricht ein Mini-Trump“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Wer linke Politik beenden wolle, erkläre Millionen Menschen, dass ihre Sorgen keinen Platz mehr hätten. „So redet kein Bundeskanzler, so redet ein rechter Demagoge“, so Miersch. (dpa/kat)