Kein Entkommen: Shark-Drohnen der Ukraine machen Jagd auf Putins Artillerie
Video-Feeds für zwei Millionen Stunden: Die Ukraine sammelt Bilder, um den Drohnen ein Gedächtnis zu programmieren und Russland die Deckung zu nehmen.
Kiew – „Die Luftaufklärung hat sich grundlegend verändert. Sensoren und Waffen, die auf einer Vielzahl von unbemannten Systemen und im Weltraum montiert sind, sind allgegenwärtiger, haben eine größere Reichweite und sind kostengünstiger als je zuvor“, sagte Randy George. Anfang Februar vergangenen Jahres hat der US-Generalstabschef diese Aussage getätigt, wie das Magazin Flight Global veröffentlichte – und das, wovon andere Länder noch weitgehend träumen, setzen die Verteidiger im Ukraine-Krieg fort: Wladimir Putins Invasionstruppen müssen offenbar ihre Artillerie zurückziehen, weil die Aufklärung der Ukraine schärfer wird.
Die Verteidiger jagen ihre Feinde offenbar mittlerweile wie ein hungriger Hai seine Beute. Wie das Magazin Defense Express schreibt, hat die Ukraine offenbar eine russische 2S5 Giatsint-S-Selbstfahrlafette zerstört, weil der Angriff vermutlich die Munitionsladung pulverisiert hat. Die Einheit hat davon ein Video in den Sozialen Medien veröffentlicht. Vorausgegangen war ein erfolgreicher Flug einer Shark-Drohne, die die Ukraine inzwischen zur Aufklärung einsetzt.

Russlands Geschütz Hyazinthe: Massives Feuer aus einer Entfernung, die kaum zu überbrücken ist
Das mit dem deutschen Blumennamen Hyazinthe betitelte Geschütz nutzen die Russen für Fern- und Unterstützungsfeuer aus befestigten Stellungen heraus. Ihre Ziele sind Truppenkonzentrationen oder ebenfalls befestigte Stellungen; für die Ukraine liegt genau darin die Bedrohung: Das massive Feuer aus einer Entfernung, die kaum zu überbrücken ist. Oder war. Bis die Shark-Drohne vorgestellt worden war.
„Der Shark ist wie das iPhone unter den Drohnen dieser Art. Er ist sehr einfach zu warten und zu bedienen. Während der gesamten Zeit haben wir kein einziges Fluggerät verloren“
Das Magazin Defense Post berichtet von einem Post auf dem Portal LinkedIn, auf dem das Unternehmen Ukrspecsystems Ende Januar die neue Shark-M-Drohne vorgestellt hat. Sie soll besser sein in allem, was ihre Vorgängerin konnte: mit einer Reichweite von 180 Kilometern, automatisierten Lageberichten, einer Missionszeit von sieben Stunden, verbessertem Schutz gegen elektronische Abwehr. Welche Version gegen die russische Haubitze im Einsatz war, ist unbekannt. Die Shark-M-Drohne soll auch ausgestattet sein mit einer Kamera, die sich kontinuierlich um 360 Grad drehen könne, sowie mit Sensoren, die tagsüber bis zu 35 Kilometern und nachts bis 14 Kilometerweit spionieren könnten, wie Defense Post schreibt. Sie könne damit Ziele verfolgen, Bilder in Echtzeit aufnehmen und Videos an Bord aufzeichnen, so das Magazin.
Die 2S5 Giatsint-S-Selbstfahrlafette mag einen kleinen militärischen Erfolg bedeuten, allerdings könnte sie auch lediglich ein Beifang sein, weil die Nachrichtenagentur Reuters meldet, dass die Ukraine gerade eine riesige Menge an Kriegsdaten sammle, um KI-Modelle zu trainieren. Nach Ansicht von Max Hunder gehe die Ukraine strategisch vor und bereite sich womöglich tatsächlich schon auf den Krieg von morgen vor: „Während sich die Zukunft der Kriegsführung in Richtung künstlicher Intelligenz dreht, verfügt die Ukraine über eine wertvolle Ressource: Millionen Stunden an Filmmaterial von Drohnen, mit dem KI-Modelle trainiert werden können, um auf dem Schlachtfeld Entscheidungen zu treffen“, schreibt der Reuters-Autor.
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Ukraine-Krieg offenbart: Tarnen und Täuschen zählen wieder zu den Generaltugenden einer Armee
Reuters zitiert als Quelle Oleksandr Dmitriev. Der Gründer des ukrainischen Digitalunternehmens OCHI sammelte im Auftrag der Regierung Video-Feeds von bisher mehr als 15.000 an der Front kämpfenden Drohnenbesatzungen; laut Angaben von Dmitriev sollen allein aus dem Jahr 2022 Schlachtfeldvideos von insgesamt zwei Millionen Stunden zusammengekommen sein; das wären 228 Jahre Laufzeit, so Hunder.
Die gegenseitige, fast lückenlose Aufklärung lähmt offenbar die Kräfte beider Seiten. Tarnen und Täuschen seien wieder zu den Generaltugenden einer modernen Armee zu zählen, erklärte beispielsweise Oberstleutnant Martin Winkler, Leiter des Sachgebietes „Auswertung“ im Kommando Heer, im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt. Bei den Einsätzen beispielsweise in Afghanistan oder Mali waren Armeen im Gegenteil darum bemüht, wie Winkler sagte, „offen Präsenz zu zeigen und zu stabilisieren“.
Das könnte in kommenden militärischen Konflikten überholt sein, das Gefechtsfeld wird gläsern werden. Umso wichtiger sei das Legen falscher Fährten beziehungsweise das Vermeiden eigener Spuren. Die Shark-Drohne bildet einen speziellen Baustein, um eben das zu verunmöglichen. Ihre Kosten werden geschätzt auf etwa 50.000 US-Dollar (48.000 Euro). Noch dazu ist die Ukraine mit dem im eigenen Land produzierten Waffen von westlicher Unterstützung autonom.
Selenskyjs neuer Trumpf: „Der Shark ist wie das iPhone unter den Drohnen dieser Art“
Möglicherweise ist gerade diese Waffe mit dem markanten Haifisch-Maul der wahre Gamechanger des Ukraine-Krieges. „Der Shark ist wie das iPhone unter den Drohnen dieser Art“, sagt „Soliara“ gegenüber Sender CBC. „Er ist sehr einfach zu warten und zu bedienen. Während der gesamten Zeit haben wir kein einziges Fluggerät verloren“, wie der Drohnenpilot gegenüber dem kanadischen Sender äußerte. Viele Aufgaben, die früher einzelne Truppengattungen übernehmen mussten, lassen sich heute von Drohnen erledigen – vor allem diejenigen, die von Panzeraufklärern oder Fernspähern übernommen werden mussten.
Was aber schwierig wurde aufgrund fehlenden Personals oder tief gestaffelter Verteidigungslinien des Gegners. Auch Patrouillen auf See sind jetzt leichter, günstiger und effektiver. Genauso wie sich die Fähigkeit des Zurückschlagens verbilligt und vereinfacht hat. Johann Ivanov zitiert in diesem Zusammenhang Elon Musk und dessen Zweifel an dem vielleicht zunehmend fallenden Wert eines Mehrzweck-Kampfflugzeuges wie der US-amerikanischen F-35, wie der Analyst des deutschen Thinktanks Friedrich Ebert Stiftung schreibt. Tatsächlich laufen in allen Armeen gerade Überlegungen dahingehend, dass sich Panzer, Schiffe und Flugzeuge zu Drohnen-Mutterschiffen entwickeln und eher koordinierende Aufgaben bedienten.
Wie Reuters bereits früher ausgeführt hatte, bedeute die Entwicklung von KI-Drohnen in der Ukraine im Wesentlichen die Optimierung visueller Systeme, die bei der Identifizierung von Zielen und im Anfliegen dieser Ziele mit Drohnen helfen; daneben die Optimierung von Geländekartierungen für die Navigation sowie die Realisierung komplexerer Programme, die den UAV (Unmanned Aerial Vehicle) ermöglichen, in miteinander verbundenen „Schwärmen“ zu operieren. Menschliche Operatoren würden da schnell an ihre Grenzen stoßen, sagte Serhii Kupriienko gegenüber der Nachrichtenagentur.
Daten-Offensive: Im Durchschnitt kommen fünf bis sechs Terabyte neue Daten pro Tag hinzu
Der Chef des ukrainischen Drohnen-Produzenten Swarmer zielt ab auf die Integration der Ziel- und Objekterkennung mit Satelliteninformationen – für die die Shark-Drohne den Rohstoff bietet, wie Reuters darstellt. Jede erfolgreiche Mission des selbstständig zurückkehrenden Vogels ist ein Erfolg an sich – auch ohne Feindkontakt oder einen Verlust des Gegners. „Im Wesentlichen handelt es sich dabei um Erfahrung, die in Mathematik umgesetzt werden kann“, sagte Oleksandr Dmitriev und fügte hinzu, dass ein KI-Programm die Flugbahnen und Winkel untersuchen könne, bei denen Waffen am effektivsten seien, schreibt Reuters. Also auch Flugbahn und Winkel, über die die russische Haubitze neutralisiert werden konnte – mit einem Präzisionsschlag.
Wie die Nachrichtenagentur den Unternehmer zitiert, habe sich die Drohnentechnik von einer reaktiven Stütze zu einem Aktivposten der Kriegsführung entwickelt. Was anfänglich half, ein Lagebild zu liefern, um die Stellungen in bestimmten Frontabschnitten klar vor Augen zu haben, könnte die KI aufgrund der visuellen Daten auch Entscheidungen unterstützen über Kampftaktiken, Zielerkennung und dem Einsatz beziehungsweise der möglichen Wirkung von Waffensystemen. Der einzeln vernichtete Panzer einer Aufklärungsdrohne mag für den einzelnen Soldaten oder Kompanie-Chef von Bedeutung sein, das Material kann das Überleben einer Brigade oder eines gesamten Frontabschnittes sichern helfen.
Shark & Co. sammeln fleißig weiter, wie Oleksandr Dmitriev gegenüber Reuters sagt: „Im Durchschnitt kämen durch die Kämpfe fünf bis sechs Terabyte neue Daten pro Tag hinzu.“