Wende für Putin? Smartphones verraten zu viel – und Russlands Truppen beherrschen den Funk
Wende für Putin? Smartphones verraten zu viel – und Russlands Truppen beherrschen den Funk
Am Boden herrscht ein Patt. Im Raum elektromagnetischer Wellen scheint Russlands Armee im Vorteil: Sie dominiert im Ukraine-Krieg die Elektronische Kriegführung.
Kiew – „Der nächste Krieg wird lediglich im Cyber-Raum geschlagen“, sagte Sönke Neitzel Mitte vergangenen Jahres. Deutschlands bekanntester Militärhistoriker wiederholte diesen Satz als die beherrschende These vorheriger Expertengremien.
Basis der Einschätzung: Erkenntnisse aus fast anderthalb Jahren Krieg. Also das Wissen, dass eine Katastrophe wie der Ukraine-Krieg eben früher gekommen ist als befürchtet, und tatsächlich wie eh und je am Boden und vorrangig Mann gegen Mann geführt wird – aber eben doch bereits weitestgehend digital. Daher stimmt die These wohl dennoch – und, noch schlimmer: Russland schickt sich an, in der Elektronischen Kriegführung seinen Gegner abzuhängen.
Bislang galten Wladimir Putins Truppen in der Ukraine als wenig flexibel und schlecht geführt. Neuere Studien zeichnen jedoch ein anderes Bild. Demnach hat die russische Armee dazugelernt. Den ukrainischen Streitkräften sei es „in einer noch nie da gewesenen Weise“ gelungen, Daten aus zivilen und militärischen Quellen zu aktuellen Lagebildern zu verdichten, um sie anschließend gegen die Invasoren aus Russland einzusetzen, sagt Oberst Tim Zahn im Bundeswehr-Podcast Nachgefragt.
„Aufgrund der Datenmenge konnten erhebliche Zeitgewinne, die im militärischen Kontext immer eine wichtige Rolle spielen, erzielt werden“, so der Leiter des Zentrums für Cyber-Sicherheit der Bundeswehr. Deshalb gerieten die Konvois ins Stocken, deshalb schoss die russische Artillerie so wenig präzise. Deshalb hatte die Ukraine in der Gegenoffensive Oberwasser bekommen. Das Problem: Das haben sich die Russen jetzt allerdings abgeschaut.
Verluste der Ukraine: 10.000 Drohnen pro Monat
Das ukrainische Militär war mit GPS-gesteuerten Waffen sehr effektiv, darunter Storm Shadow- und SCALP-EG-Marschflugkörper, gelenkte Mehrfachraketen, die von HIMARS-Trägerraketen abgefeuert werden, und M982 Excalibur 155-mm-Artilleriegeschosse, berichtete BusinessInsider.
Laut der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute (RUSI) macht das russische Militär allerdings selbst immer stärkeren Gebrauch von Störsendern, um die Kommunikation von Fluggeräten auf dem Schlachtfeld zu unterbinden. Gemeint ist damit vor allem die elektronische Bekämpfung von Drohnen, die hauptsächlich zur Feindaufklärung eingesetzt werden. Das führe zu einer Verlustrate von ungefähr 10.000 ukrainischen Drohnen pro Monat; also mehr als 300 Drohnen pro Tag, schreiben die Studienautoren. Die Ukraine beginnt, auf dem Schlachtfeld zu erblinden.
Aber auch die artilleristische Leistung der russischen Aggressoren hat zugenommen, wie Jack Watling vom RUSI-Thinktank behauptet. Seiner Expertise nach haben die Russen inzwischen die Fähigkeit entwickelt, ukrainische Artilleriestellungen innerhalb von nur zwei Minuten nach deren erstem Schuss mit Gegenfeuer zu belegen. Vorher hatten die russischen Soldaten zwischen fünf und zwanzig Minuten zum Gegenschlag benötigt. Offenbar ist dies nicht durch Einführung neuer Systeme gelungen, sondern alleine deswegen, weil die Russen den Prozessablauf verschlankt hätten: Den schießenden Artilleriekräften wurde offenbar direkter Zugriff auf die dafür notwendigen Zielortungsfähigkeiten ermöglicht.
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Neue Geschütze der Ukraine: Schlagkraft eingeschränkt – Soldaten spähen wieder zu Fuß
Im Gegenzug könnte die ukrainische Artillerie deshalb jetzt an Schlagkraft einbüßen – deren neue Wunderwaffe FH-77BW L52 Archer (Bogenschütze) ist eine Selbstfahr-Lafette aus schwedischer Produktion mit einem Kaliber-155-mm-Artilleriegeschütz und verschießt die intelligente Excalibur-Munition, erzielt damit sogar eine enorme Reichweite von rund 50 Kilometern. Was künftig zu reinen Zufallstreffern verkommen könnte: Die Russen können aufgrund falscher eingespielter Signale Munition oder Drohnen falsche Zielkoordinaten übermitteln. Schlimmer noch für die Ukraine: Der Westen scheint wenig erpicht darauf, der Ukraine zu helfen, könnte doch sensible Technik in die Hände des Feindes fallen. Der Westen behält seine militärischen Geheimnisse meist für sich. Elektronische Kriegführung bedeutet grundsätzlich Dreierlei:
- Stören der Kommunikation sowie der Navigation des Gegners und ihn dadurch zu verwirren;
- Senden falscher Signale, um Waffen vom Ziel abzulenken;
- Übernahme der Kontrolle der Waffen.
Für die Neue Zürcher Zeitung hat sich mit dem Eingraben der Russen nach der ins Stocken geratenen Gegenoffensive das Blatt in der Ukraine gewendet: „Russland hat vor dem Krieg in die elektronische Kriegsführung investiert. Die Systeme, die den Gegner orten und stören, wirken erst richtig, seit die russische Armee die besetzten Gebiete verteidigt.“ Laut NZZ berichten Militär-Blogger vermehrt über ukrainische Zweier-Trupps, die über komplizierte Sperrstellungen der Russen vorgerückt sind um Nachrichten zu beschaffen. Offenbar haben sie das Vertrauen in ihre Nachrichtentechnik verloren; die Russen dagegen scheinen die Hoheit über den elektromagnetischen Raum erreicht zu haben, wie die NZZ schreibt.
Russland rüstet Störsender nach: alle zehn Kilometer eine Station
Das RUSI sieht Russlands Armee inzwischen tatsächlich besser aufgestellt: Alle zehn Kilometer entlang der Front soll ein größeres Störsystem aufgebaut sein, jeweils sieben Kilometer von der Hauptkampflinie entfernt. Die Plattformen seien vor allem auf die Drohnenabwehr ausgerichtet, schreiben die beiden Autoren Jack Watling and Nick Reynolds. Sie sehen die elektronische Kriegführung kaum mit den übrigen Aktivitäten auf dem Gefechtsfeld synchronisiert, weshalb die russischen Truppen sogar noch weit von ihrer möglichen Schlagkraft entfernt seien.
Ein besonderer Fokus der russischen Abhör- und Störtruppen liegt ihnen zufolge auf der Entschlüsselung des ukrainischen Taktik-Funkverkehrs. Das versetze Russland in die Lage, die Kommunikation über die ukrainischen Motorola-Funkgeräte praktisch in Echtzeit mitzuverfolgen oder sogar bis zu zehn Kilometer hinter der Kampflinie zu unterdrücken.
Für beide Kontrahenten wird die Drohnen-Abwehr zum Unterfangen mit vielen Unbekannten – und reicht demnächst bis in die elektronischen Schaltungen hinein. Drohnen-Abwehr heißt zunächst: die Kleinstflieger sichtbar zu machen. Für das Auge oder das Radar. Weil die aktuellen Drohnen zu einem großen Teil mit Teilen aus dem Baumarkt flögen, seien sie gegenüber Störungen über Funk sehr sensibel, sagte der britische Drohnen-Experte Steve Wright dem Portal Newsweek. Das gelte zum Beispiel auch für die von Russland massenhaft eingesetzte Shahed-Drohne und besonders für die verschiedenen ukrainischen Do-It-Yourself-Drohnen.
Ukraine verliert langsam ihren Nimbus als Drohnenmacht
Laut einer Studie des European Council on Foreign Relations (ECFR) sollen in der Ukraine Hunderte verschiedene Drohnensysteme im Einsatz sein; vieles davon ist Baumarkt-Ware. Wright zufolge wird aktuell fieberhaft an Abwehr-Strategien gegen Drohnen geknobelt. Entsprechende Unternehmen schießen aus dem Boden.
Laut Fortune Business Insights wird der weltweite Markt für militärische Drohnen von aktuell 13,3 Milliarden Euro auf 33,4 Milliarden Euro im Jahr 2030 wachsen. Todbringende genauso wie spionierende Drohnen können heute auf die Größe eines Handtellers schrumpfen – die Raketenabwehr ist schlichtweg finanziell mörderisch. Gefragt ist die zündende Idee, die beste Lösung: Entwickelt werden Drohnen, die Drohnen ausschalten können. „Die Ukraine ist in den letzten Jahren und insbesondere seit Beginn des Krieges zu einer Drohnenmacht geworden“, sagte Ulrike Franke, vom ECFR dem ZDF.
Allerdings wird aktuell im Cyber-Raum noch erbittert um die Vorherrschaft gekämpft: Beispielsweise hatte die Ukraine ihre Kommunikation eingangs des Krieges über das Satelliten-Collier des Amerikaners Elon Musik geführt und sich an Internet-Hotspots einwählen können, um ihre Drohnen zu navigieren, wie der Wissenschaftsjournalist Peter Welchering im Deutschlandfunk erläuterte; allerdings hat die russische Seite diese Verbindungen okkupiert und über die Smartphones gefangener ukrainischer Soldaten diese Leitung mitgenutzt, weil sie darüber gespeicherte Ortungsdaten haben auslesen können; daraus ergaben sich dann teilweise Daten über Stellungen von Geschützen: Aus der Triangulation von Längen- sowie Breitengraden und Zeitstempeln verschiedener Internet-Hotspots ließen sich im Verlauf des Krieges immer genauere Lagekarten erstellen.
Welchering betonte: „Auf diese Weise hat dann die russische Armee auch Smartphones von Bedienungs-Mannschaften ukrainischer Geschütze geortet, die dann entsprechend mit eigenem Feuer belegt und die ukrainischen Haubitzen zerstört. Man kann sagen, auch im Krieg verraten Smartphones mit ihren Metadaten ihre Besitzer.“