Protestwelle erschüttert das Land: Was der Kanzler nun tun müsste
Die Bauern legen mit ihrem Protest das Land lahm. Gleichzeitig formieren sich radikale Kräfte immer stärker. Befindet sich Deutschland bereits in einer Staatskrise? Ein Kommentar von Georg Anastasiadis.
Am selben Tag, an dem die Bauern in einer machtvollen Großdemonstration das Land lahmlegen, erblickt in Deutschland mit der Wagenknecht-Partei eine neue politische Kraft das Licht der Welt. Was wie zufällig wirkt, sind in Wahrheit Krisensymptome, die auf ein und dieselbe Ursache zurückzuführen sind: den Autoritätsverlust dreier etablierter Parteien, die trotz tiefer weltanschaulicher Differenzen gemeinsam eine aus freien Wahlen hervorgegangene Regierung bilden (mussten) und dabei von der Wucht globaler Ereignisse überwältigt werden. Regierungskrisen gehören zum Wesen von Demokratien. Gefährlich wird es erst, wenn dahinter gesellschaftliche Zerrüttungen sichtbar werden, die Regierungs- in Staatskrisen münden lassen. Befindet sich Deutschland bereits in einer solchen Staatskrise?
Das Sonderopfer für die Bauern war ein schwerer Fehler
Tritt man einen Schritt zurück, wird zumindest erkennbar, welche ausländische Macht am stärksten von den aktuellen Problemen in Deutschland profitiert: Es ist Russland und sein blutiger Diktator Putin, der nach der AfD nun mit der Wagenknecht-Partei über eine zweite ihm zu Diensten stehende politische Bewegung in Deutschland verfügt. Das muss jedenfalls jene mit tiefer Sorge erfüllen, denen gesellschaftliche Toleranz und Frieden auf der Basis von Freiheit und Achtung der Rechte anderer wichtig ist und die nicht wollen, dass Europa immer stärker unter den Einfluss einer aggressiven, auf Landgewinn erpichten Großmacht gerät.
Bleibt man fair, muss man die Ampel-Sturzgeburt des Sonderopfers für die Bauern kritisch bewerten: Ausgerechnet dem Berufsstand, der billige Lebensmittel produzieren und die nationale Versorgungssicherheit gewährleisten, die Kulturlandschaft bewahren und mit immer neuen, teuren, aber teils ja notwendigen Umweltauflagen die Natur schützen soll, plötzlich die dafür notwendigen Subventionen zu entziehen, war keine wohldurchdachte Politik. Die Wut der Bauern, erkennbar an der beachtlichen Mobilisierung bei den gestrigen Blockaden, wirkt nun wie ein Katalysator auf andere Teile der Gesellschaft. Es droht ein Flächenbrand.
Große Koalition könnte Hochkonjunktur radikaler Parteien dämpfen
Gerade den Volksparteien SPD, CDU und CSU kommt in dieser Lage besondere Verantwortung für das Land zu. Es ist verständlich, dass SPD, Grüne und FDP aufgrund ihrer aktuellen Schwäche Neuwahlen scheuen. Doch auch der Union muss daran gelegen sein, dass das Gemeinwesen, das sie morgen regieren will, seinen gesellschaftlichen Grundkonsens bewahrt und im Schatten tektonischer Verschiebungen in der Geopolitik – von den aktuellen Kriegen bis hin zur möglichen Wahl Trumps – nicht radikale Kräfte die Oberhand gewinnen. Da zu befürchten ist, dass die hilflose Ampel über eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners auch in den letzten beiden Jahren ihrer Amtszeit nicht mehr hinauskommen wird, wäre es das Beste, wenn der Kanzler und seine SPD der Union die Bildung einer Großen Koalition aus der Mitte des 2021 gewählten Bundestags vorschlügen, mindestens für eine einjährige Übergangszeit, um wichtige nationale Weichenstellungen – etwa die gemeinsame europäische Verteidigung und eine Reform der Schuldenbremse – gemeinsam umzusetzen. Das könnte Wunden heilen, das aufgewühlte Land befrieden und die gefährliche Hochkonjunktur radikaler Parteien zumindest dämpfen.
Georg Anastasiadis