Angriff tief in Russland: Ukraine-Drohne setzt Putins Waffenfabrik in Brand

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Die neueste selbst entwickelte Drohne der Ukraine: Die Peklo-Raketendrohne, die eine Reichweite von 700 Kilometern und eine Geschwindigkeit von 700 Kilometern pro Stunde hat, ging Mitte Dezember 2024 in die Serienproduktion. © IMAGO/Volodymyr Tarasov

Für mehr Druck in den Friedensgesprächen verfolgt die Ukraine ihre Drohnenangriffe in Russland. Dort explodieren Fabriken, aber der Krieg rast weiter.

Moskau – „Viele in Kiew sind überzeugt, dass ein erweitertes Langstreckenarsenal unerlässlich ist, um einen tragfähigen Frieden mit Russland zu sichern“, schreibt Peter Dickinson. Jetzt hat die Ukraine Wladimir Putins Invasionsarmee erneut vor ihrer eigenen Haustür getroffen – sogar so empfindlich, dass Moskau zeitweise verstummt ist. Dieser Angriff sei lediglich ein Vorgeschmack gewesen auf das, was in diesem Jahr folgt, vermutet der Autor des US-Thinktanks Atlantic Council. Dickinson geht davon aus, dass die ukrainischen Langstrecken-Angriffe eskalieren werden.

Wie die Moscow Times berichtet, hätten ukrainische Drohnen durch einen massiven Luftangriff eine russische Fabrik für Militärelektronik ins Visier genommen und die mobilen Internetdienste in der Nähe von Moskau unterbrochen. Das teilten offizielle Stellen am frühen Mittwoch mit. Wie Andrej Klitschkow sagte, habe ein „groß angelegter feindlicher Drohnenangriff“ auf die rund 200 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernte Stadt Bolchow das dort liegende Halbleiterwerk Bolchowsky beschädigt, so der Gouverneur der Region Orjol, wie ihn die Moscow Times wiedergibt. In dem Werk scheinen Komponenten für elektronische Kriegsführungssysteme hergestellt worden sein.

Selenskyjs Drohung: Mit einer deutlichen Eskalation der ukrainischen Drohnenangriffe ist zu rechnen

Laut dem russischen Verteidigungsministerium soll der Luftangriff umfassender gewesen sein – über neun Regionen hinweg, darunter wohl auch die russische Hauptstadt selbst: Die russische Luftabwehr will allein 159 Drohnen abgeschossen haben. Wie Analyst Dickinson im Dezember 2024 geschrieben hat, habe das ukrainische Verteidigungsministerium angekündigt, im Jahr 2025 mehr als 30.000 Langstrecken-Angriffsdrohnen auszuliefern. Seit Anfang 2024 führte die Ukraine eine umfangreiche Luftoffensive gegen die russische Energiewirtschaft und militärische Infrastruktur mit Langstreckendrohnen durch, so Dickinson. Aufgrund der Ankündigung der erhöhten Produktion auf ein bisher nie dagewesenes Niveau rechnet der Analyst mit „einer deutlichen Eskalation der ukrainischen Angriffe“.

„Die Ukraine hat mit Trumps Einzug ins Weiße Haus nicht mehr viel zu verlieren. Sie können also mit diesen gezielten Angriffen ruhig weitermachen.“ 

Welchen Erfolg die Schläge letztendlich mit sich bringen, bleibt ungewiss. US-Präsident Joe Biden hatte der Ukraine Ende vergangenen Jahres die Reichweiten-Beschränkungen für aus den USA gelieferte Waffen teilweise aufgehoben. Allerdings hatte die Ukraine da schon begonnen, Waffen aus eigener Entwicklung für Schläge auf russisches Territorium einzusetzen. „Die Entscheidung kommt spät, und wie bei anderen Entscheidungen dieser Art könnte sie zu spät sein, um den Verlauf der Kämpfe noch wesentlich zu ändern“, zitierte die Nachrichtenagentur Reuters Ende 2024 Michael Kofman. „Langstreckenangriffe waren immer ein Teil des Puzzles und in diesem Krieg mit übermäßigen Erwartungen behaftet“, so der Analyst des US-Thinktanks Carnegie Endowment for International Peace laut Reuters.

Andere Analysten kommen zu einer durchaus gegenteiligen Meinung. Eine gemeinsame Untersuchung von Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), Frontelligence Insight und einer Gruppe von Freiwilligen habe ergeben, dass ukrainische Angriffe auf den russischen Energiesektor Schäden in Höhe von mindestens 714 Millionen US-Dollar (630 Millionen Euro) verursacht haben, berichtet RFE/RL. Die Analysten haben anhand von Satellitenbildern die Auswirkungen ukrainischer Luftangriffe im halben Jahr zwischen September 2024 und Februar 2025 beobachtet. Darunter waren erfolgreiche Schläge gegen Öl- sowie Munitionsdepots oder Flugplätze. Allerdings räumen die Analysten ein, dass lediglich die Hälfte der analysierten Angriffe nennenswerte Schäden auf russischer Seite verursacht habe – demzufolge sind die Hälfte der zu beobachtenden Einschläge von Raketen oder Drohnen wirkungslos verpufft.

Verluste für Putin spürbar: Durch Angriffe rund zehn Prozent der russischen Raffineriekapazität lahmgelegt

„Auch wenn die Zahl der ukrainischen Angriffe in diesen sechs Monaten möglicherweise nicht ausreicht, um das Kriegsglück zugunsten der Ukraine zu wenden, sind Häufigkeit und Erfolgsquote der Angriffe doch wesentlich höher als in den Jahren 2022 und 2023. Auch die Fähigkeit der Ukraine, russische Ziele anzugreifen, hat im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zugenommen“, bewertet Frontelligence Insight die Militäroperationen der Ukraine. Allerdings tasten sich die Verteidiger mit ihren Drohnen scheinbar nur langsam vor in Richtung des Zentrums Russlands.

Der jetzt erfolgte Drohnen-Angriff ist über eine eher kürzere Distanz erfolgt; laut den Analysten von Frontelligence Insight hätten die meisten der von ukrainischen Drohnen oder Raketen getroffenen Ziele 100 bis 150 weit im russischen Hinterland gelegen, etwas seltener über längere Distanzen bis 200 Kilometer oder über kürzere Distanzen zwischen 50 und 100 Kilometern. „Dies deutet darauf hin, dass Angriffe am häufigsten gegen Ziele in der Nähe der russisch-ukrainischen Grenze oder Frontlinie durchgeführt werden. Angriffe in einer Entfernung von 450 bis 500 Kilometern sind seltener (in dieser Zone gibt es zahlreiche aktive russische Ölraffinerien und Militärdepots)“, so die Analyse. Das hieße, dass Russland noch empfindlicher getroffen werden könnte, als das jetzt bereits geschieht.

Wirkung zeigen die ukrainischen Drohnenangriffe allemal, wie Reuters bereits im Februar berichtet hat. Durch die seit Januar gestiegene Zahl an ukrainischen Luftschlägen seien acht russische Raffinerien sowie Öldepots und Industrieanlagen getroffen worden, berichtet die Nachrichtenagentur. Die Angriffe hätten rund zehn Prozent der russischen Raffineriekapazität lahmgelegt, will Reuters aufgrund von Händlerdaten nachgewiesen haben, weil Russland weder Zahlen seiner Rohölexporte veröffentlicht noch den Ausstoß seiner Raffinerien – ein Zehntel weniger; bleibt zu fragen, inwieweit das den russischen Offensivdrang behindert, beziehungsweise inwieweit diese Verluste den Aufwand der ukrainischen Bemühungen lohnen.

Frieden möglich? In Kiew finden sich Stimmen für verstärkte Langstreckenangriffe der Ukraine

Der in den Friedensgesprächen mit den USA durchschimmernde Wille Wladimir Putins, seine Kriegsziele durchsetzen zu wollen, könnte letztendlich auch der Ukraine helfen. „Es ist offensichtlich, dass Russland Zeit schinden will, um seinen Krieg und die Besatzung fortzusetzen“, schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auf Online-Medien, wie ihn auch die Tagesschau zitiert.

Insofern finden sich in Kiew Stimmen für verstärkte Langstreckenangriffe der Ukraine gegenüber Russland, wie Atlantic-Council-Analyst Peter Dickinson schreibt. Das würde Putin den womöglich einzigen Grund liefern, eine Einigung anzustreben: Wenn die Ukraine in der Lage wäre, den Krieg mitten im russischen Volk zu verankern. Befürworter dieser Strategie „glauben, dass Raketenangriffe Russlands militärisches Potenzial schwächen und gleichzeitig Putins Kriegsmaschinerie durch Angriffe auf Ölraffinerien und andere Bereiche der wirtschaftlich wichtigen, aber hochgradig anfälligen Energiewirtschaft des Landes finanziell aushungern könnten“, schreibt Dickinson.

Trump als Motivator: „Die Ukraine hat mit Trumps Einzug ins Weiße Haus nicht mehr viel zu verlieren“

Laut den Analysen von Frontelligence Insight ist die Ukraine davon aber noch weit entfernt. Die Ergebnisse der ausgewerteten Satellitenbilder ergeben neben den hohen Streuverlusten der Angriffe selbst auch ernüchternde Folgen der erfolgreichen Luftschläge: Die Analyse des Ausmaßes der Zerstörung der Ziele zeige, dass mehr als die Hälfte der registrierten Angriffe auf militärische Einrichtungen und Infrastruktur mittlere bis geringe Schäden verursachten. Die Analysten führen das darauf zurück, dass Drohnen wie die Liutyi, der angeblichen Super-Drohne, die der russisch-iranischen Shahed ähnelt, auf relativ kleine Sprengköpfe mit bis zu 75 Kilogramm beschränkt ist.

Allerdings kann diese Drohne Distanzen bis zu 2.000 Kilometer zurücklegen. Angesichts dessen, so argumentiert Frontelligence Insight, würde eine Vergrößerung ihrer Sprengköpfe Anpassungen an Gewicht, Treibstoffkapazität und Gesamtdesign erfordern, so die Experten. Was wahrscheinlich auch folgen wird. Ob diese Strategie verfängt oder nicht, scheint eher sekundär zu sein; der Weg drängt sich militärisch nahezu als alternativlos auf; was auch Jeff Hawn bereits im Januar mit Blick auf die Niederlage der Demokraten in den USA gegenüber France24 gemutmaßt hat.

„Die Ukraine hat mit Trumps Einzug ins Weiße Haus nicht mehr viel zu verlieren“, sagte der Sicherheitsexperte an der London School of Economics gegenüber dem Sender. „Sie können also mit diesen gezielten Angriffen ruhig weitermachen.“ 

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