40 Milliarden jährlich für den Verkehr – doch Experte warnt vor „sehr schlechter Nachricht“

  1. Startseite
  2. Wirtschaft

Kommentare

Mit einer Investitionsoffensive will die Bundesregierung die Wirtschaft stärken. Helfen soll das 500 Milliarden Euro Sondervermögen. Doch wie wird es verteilt?

Berlin – Kurz vor Ende seiner Legislaturperiode hatte der 20. Bundestag im März mit einem neuen Artikel im Grundgesetz (Art. 143h GG) den Weg für das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität in Höhe von 500 Milliarden Euro geebnet. Es soll der Bundesregierung in den kommenden Jahren einen großen kreditbasierten Handlungsspielraum bieten und zuvor lange stockende Investitionen kräftig ankurbeln, um entstandene Standortnachteile zu beseitigen sowie Wirtschaftswachstum und Wohlstand langfristig zu sichern. Fest steht, dass 100 Milliarden Euro des Sondervermögens den Ländern für ihre Infrastruktur zukommen soll. Weitere 100 Milliarden sind für den Klima- und Transformationsfonds (KTF) geplant, über die restlichen 300 Milliarden soll der Bund verfügen. Was aber ist darüber hinaus bisher zur konkreten Verteilung bekannt?

Merz-Regierung will 2025 „mehr als 9 Milliarden Euro“ des Sondervermögens in das Schienennetz investieren

Wochenlang wurde darüber spekuliert, in welche Bereiche die Milliarden des immensen Sondervermögens konkret fließen könnten, um die ausgegebene Investitionsoffensive beziehungsweise den Modernisierungsschub für Deutschland möglichst effektiv voranzutreiben. Nun hat das Bundesministerium der Finanzen Referentenentwürfe zur Errichtung des Sondervermögens sowie zur Verteilung der Geldmittel an die Länder veröffentlicht, außerdem berichtet der Tagesspiegel ausgehend von bislang internen Regierungsdokumenten von weiteren Plänen, wie das Sondervermögen investiert werden soll.

In einer am Dienstag (24. Juni) veröffentlichten Pressemitteilung schreibt die Bundesregierung, noch 2025 „etwas mehr als 9 Milliarden Euro“ in den Bahnverkehr investieren zu wollen. Darüber hinaus sollen Kindertagesstätten und der digitalen Bildung noch in diesem Jahr Investitionen von über 6,5 Milliarden Euro zukommen. Und auch die Digitalisierung selbst will die Bundesregierung mit mindestens 4 Milliarden Euro jährlich aus dem Sondervermögen angehen, wobei jene Mittel laut Bundesregierung in den Folgejahren „deutlich“ anwachsen sollen.

Bis 2029 will der Bund 40 Milliarden Euro des Sondervermögens in den Verkehrssektor fließen lassen

Über offenbare langfristige Investitionsziele der Bundesregierung berichtet der Tagesspiegel nun ausgehend von einem Wirtschaftsplan, der in Regierungskreisen die Runde machte. Demnach plane der Bund, von seinen 300 Milliarden alleine bis 2029 rund 40 Milliarden Euro pro Jahr in den Verkehrssektor zu investieren, wobei die Verwendung der Mittel für jedes Jahr in einem eigenen Wirtschaftsplan in einer Anlage zum Haushaltsgesetz festgeschrieben werden soll.

Fotomontage des Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) und Schienennetz © IMAGO / Andreas Gora und IMAGO / Rene Traut

Wie der Tagesspiegel berichtet, sollen aus dem Bundeshaushalt, den die Koalition aus Union und SPD noch im September durch den Bundestag bringen will, in diesem Jahr rund 18,9 Milliarden Euro abfließen – und damit etwas weniger, als die Bundesregierung in ihrer Pressemitteilung schreibt. Auf 11,7 Milliarden Euro beziffert der Tagesspiegel die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, von denen der Großteil dem maroden Schienennetz zugutekommen soll. Neben den 4 Milliarden Euro für Digitalisierung, die sich in den Ausführungen des Tagesspiegels und der Pressemitteilung der Bundesregierung decken, seien auch noch rund 1,5 Milliarden Euro für die Modernisierung von Krankenhäusern und jeweils weniger als eine Milliarde für die Energie-, Forschungs- und Wohnungsinfrastruktur eingeplant.

Wirtschaftsforscher kritisiert die große Freiheit der Bundesländer im Umgang mit dem Sondervermögen

Die einzelnen Bundesländer sollen bei der Verwendung ihrer insgesamt 100 Milliarden Euro großen Handlungsspielraum bekommen. Dem bisherigen Gesetzentwurf zufolge sollen die Mittel bis 2036 beantragt werden müssen, was im Schnitt gut acht Milliarden Euro pro Jahr bedeutet, die nach dem Königsteiner Schlüssel auf die einzelnen Bundesländer verteilt werden.

Zunächst waren die förderfähigen Bereiche auf Länderebene denen auf Bundesebene sehr nahe, bis sie vom Bundesfinanzministerium um die Bereiche Bildung, Betreuung und Bevölkerungsschutz erweitert wurden. Auf der Ministerpräsidentenkonferenz in der Vorwoche forderten die Länderchefs von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) außerdem, Mittel in die Bereiche Sport, Kultur, innere Sicherheit, Wasserwirtschaft und Wohnungsbau investieren zu dürfen, was Merz genehmigte.

„Sehr schlechte Nachricht“: ZEW kritisiert Freiheiten für das Sondervermögen

Zudem lockert der Bund wohl die Vorgaben zur Verwendung des Sondervermögens in den Ländern auch in anderer Hinsicht: Bislang war eine Zusätzlichkeitsregel vorgesehen, die sicherstellen sollte, dass der 100-Milliarden-Euro-Anteil des Sondervermögens nur für zusätzliche wachstumswirksame Investitionen verwendet werden darf, die über das bisherige Investitionsniveau hinausgehen. Nun könnte die Regel entfallen. 

Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim kritisiert das scharf: Er befürchtet, das Sondervermögen könnte damit nicht vornehmlich der kommunalen Infrastruktur zugute kommen, sondern dazu genutzt werden, das Investitionsniveau zu stabilisieren. „Die freie Hand der Länder für die Verwendung ihres Anteils am Sondervermögen ist eine sehr schlechte Nachricht“, wird Heinemann in einer ZEW-Pressemitteilung zitiert. „Das Geld wird in eine Verschiebeoperation fließen, um wachsende Sozialausgaben zu finanzieren“, führt der ZEW-Experte aus.

Gaspreise sollen mit Sondervermögen subventioniert werden – Kritik von WWF und Grünen

Das dritte Standbein des Sondervermögens ist der KTF, dem über 10 Jahre je zehn Milliarden Euro aus dem riesigen Investitionspaket zugutekommen sollen. 16,6 Milliarden Euro sollen alleine im laufenden Jahr in den Klimaschutz im Gebäudebereich investiert werden. Wie aus dem Finanzplan hervorgeht, sollen die weiteren KTF-Mittel für das laufende Haushaltsjahr darüber hinaus klimafreundlichen Mobilitätsformen (3,2 Milliarden), dem Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft (2,1 Milliarden), der Industrietransformation (1,6 Milliarden) sowie Maßnahmen für natürlichen Klimaschutz (0,6 Milliarden) zugutekommen

Daneben sollen 2025 aus dem KTF-Sondervermögen 6,3 Milliarden Euro zur Entlastung der Verbraucher bei den Energiepreisen investiert werden, was mitunter die Grünen, aber auch der Umweltschutzbund WWF kritisieren. Der WWF wendet etwa ein, das KTF-Sondervermögen zur Subventionierung der Gaspreise zu nutzen, sei eine Zweckentfremdung. „Sinnvoller wäre es, die Menschen beim Umstieg auf saubere Energien zu unterstützen, wie etwa mit einem Klimageld als fairen sozialen Ausgleich für CO₂-Preise“, schrieb der WWF am Dienstag in einer Pressemitteilung. (fh)

Auch interessant

Kommentare