Sorge um Sondervermögen: „Blankoscheck für die Länder“ könnte zum Selbstbedienungsladen mutieren

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Politiker und Ökonomen fürchten, die Länder-Milliarden aus dem Sondervermögen könnten versickern. Doch die Länder wehren sich Kritik und fordern noch mehr Geld.

Berlin – Die Bundesregierung will den Ländern weitgehend freie Hand lassen, wie sie die für sie reservierten 100 Milliarden Euro des Sondervermögens für die Sanierung der Infrastruktur investieren. Das geht aus dem „Entwurf eines Gesetzes zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen von Ländern und Kommunen“ hervor, der dem Handelsblatt vorliegt. „Die Länder stellen die zweckentsprechende Mittelverwendung sicher und legen hierfür die Verfahren fest“, heißt es in dem Entwurf. Wo sie aber konkret investieren, „obliegt im Wesentlichen den Ländern“.

Das schuldenfinanzierte Sondervermögen soll am 24. Juni vom Kabinett beschlossen

Finanzminister Lars Klingbeil will den milliardenschweren Sondertopf für Investitionen in Infrastruktur und Klimaschutz noch in diesem Monat auf den Weg bringen. Das schuldenfinanzierte Sondervermögen solle am 24. Juni vom Kabinett beschlossen werden, berichtet die Nachrichtenagentur dpa. Damit schafft die Bundesregierung die Möglichkeit, abseits von der Schuldenbremse Kredite über 500 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen in Zivil- und Bevölkerungsschutz, Verkehr oder Bildung aufzunehmen. 100 Milliarden Euro sind für Infrastrukturinvestitionen der Länder eingeplant. Bei den Ländern bestehe „insbesondere“ bei Bildung, der Energie- und Verkehrsinfrastruktur, bei Krankenhäusern, der Digitalisierung und dem Bevölkerungsschutz „ein hoher Investitionsbedarf“, heißt es in dem Entwurf.

Doch der Präsident des Steuerzahlerbunds, Reiner Holznagel, warnte laut Handelsblatt: „Der 100-Milliarden-Blankoscheck für die Länder weckt Begehrlichkeiten, Dinge zu finanzieren, für die er gar nicht vorgesehen war.“ Unionshaushaltspolitiker Yannick Bury mahnt, das Sondervermögen dürfe „nicht zum Selbstbedienungsladen“ für die Länder werden. Die Frage ist, ob die Länder das viele Geld auch wirklich für sinnvolle Investitionen nutzen, oder ob die Mittel in den Länderhaushalten versickern oder zum Stopfen von Haushaltslöchern genutzt werden. Steuerzahlerbund-Chef Holznagel warnte: „Die Riesenmittel des Sondervermögens können sogar verpuffen, wenn wir uns nicht genau überlegen, was wir mit den Krediten erreichen wollen und wie wir diese Ziele steuern und überwachen können.“

Bundesländer erhalten 100 Millionen Euro aus dem Sondervermögen für Investitionen

Der Bund stellt den 16 Bundesländern über das Sondervermögen jeweils gewaltige Summen zur Verfügung, die sich nach dem sogenannten „Königsteiner Schlüssel“ verteilen. Demnach erhält jedes Land prozentual zu seinem Bevölkerungsanteil und dem Steueraufkommen Geld. Laut Gesetzentwurf darf sich das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen allein über 21,1 Milliarden Euro freuen. Bremen bekommt mit 930 Millionen Euro am wenigsten, eine immer noch beträchtliche Summe für das kleine Bundesland.

Gerade angesichts der gewaltigen Dimensionen ist die Sorge in Berlin groß, die Länder könnten das Geld zweckentfremden. Beispiele aus der Vergangenheit gibt es einige: Im Jahr 2020 hatte der Bund den Ländern geholfen, um ihre Nahverkehrsbetriebe in der Coronapandemie zu stabilisieren. Nach Schadensprognosen durch die Länder vereinbarten Bund und Länder zu gleichen Teilen 2,5 Milliarden Euro bereitzustellen. Als die Länder gar vor einem Schaden von sieben Milliarden Euro warnten, spendierte der Bund eine weitere Milliarde.

Doch dann prüfte der Bundesrechnungshof und kam zu dem Ergebnis: Die Länder hatten die Schäden zu hoch kalkuliert und nur das Geld des Bundes an ihre Kommunalunternehmen überwiesen – aber zum Teil nicht einen eigenen Cent. Ähnliche Fälle, erinnert Steuerzahlerpräsident Holznagel, gab es bei Bundeshilfen zum sozialen Wohnungsbau, zur frühkindlichen Bildung oder für Brennpunktschulen. „In solchen Fällen kommt es immer wieder vor, dass einige Bundesländer die Mittel nicht dazu genutzt haben, um etwas Neues zu schaffen, sondern um Haushaltslücken zu schließen.“

Gesetz zum Sondervermögen soll Investitionsausgaben der Bundesländer steuern

Der Gesetzentwurf ähnliche Vorkommnisse in Zukunft verhindern. Die Länder dürfen die neuen Gelder des Bundes demnach nicht in bereits bestehende Projekte stecken. Außerdem muss bis zum 31. Dezember 2929 „mindestens ein Drittel der ihm aus dem Sondervermögen zur Verfügung gestellten Mittel durch konkrete Investitionsmaßnahmen gebunden sein“, berichtet das Handelsblatt. Das soll sicherstellen, dass das Geld schnell abfließt, aber auch, dass die Länder das Geld nicht trickreich in ihren Haushalten bunkern. Und schließlich sollen die Länder „mindestens“ 60 Prozent ihrer Gelder an die Kommunen weiterreichen. In den Kommunen wird mit über 70 Prozent ein Großteil aller staatlichen Investitionen getätigt.

Allerdings sorgt diese Regelung bereits für Streit, bevor sie überhaupt in Kraft getreten ist. Kritikern gehen diese Vorsichtsmaßnahmen nicht weit genug. Sie wollen sicherstellen, dass auf jeden Fall 70 Prozent des Geldes bei den Kommunen ankommt.

Die Länder hingegen fordern schon jetzt mehr Geld. Sie pochen unter anderem auf einen finanziellen Ausgleich für Steuerausfälle durch die von der Bundesregierung geplanten Steuersenkungen für Unternehmen zur Ankurbelung der Wirtschaft. Die Summen, um die es gehe, ließen sich von Ländern und Kommunen „nicht nebenbei so schultern“, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) laut dpa nach einer Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin. Bundesländer und Kommunen bräuchten „einen finanziellen Ausgleich“. Niedersachsens Regierungschef Olaf Lies (SPD) forderte vom Bund eine an die finanzielle Situation von Gemeinden und Ländern angepasste „Linderung der Konsequenzen“ der Steuersenkungen, um Einnahmeausfälle abzufedern.

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