Trump umschifft Ukraine-Kernfrage: Experte rügt „Fake-Verhandlungen“ – Putin könnte es freuen
Trump fordert von der Ukraine Gebietsabtretungen – doch ein Russland-Experte rügt „Fake-Verhandlungen“, die Putin Zeit an der Front verschaffen.
Er liebe die Ukrainer und die Russen, beteuerte Donald Trump am Montag beim Gipfel mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und europäischen Spitzenpolitikern. Der russische Angriffskrieg solle so schnell wie möglich ein Ende finden, ein „Deal“ müsse her, sagt Trump. Doch so leicht, wie er sich das vorgestellt habe, sei es nicht, gibt er zu.
Was bei dem historischen Treffen zwischen Trump, Selenskyj und wichtigen EU-Vertretern hervorsticht: Der wohl schwierigste Punkt der Verhandlungen – mögliche Gebietsabtretungen – wurde nicht besprochen. Jedenfalls nicht vor laufenden Kameras.
Ukraine-Gipfel mit Selenskyj: Donald Trump vermied das Thema Gebietsabtretungen
Dabei waren die Sorgen vor dem Treffen groß, Trump würde auf Selenskyj Druck ausüben, umgehend Gebietsabtretungen zu akzeptieren. Doch vor den Augen der Weltöffentlichkeit verlief das Treffen harmonisch. „Trump wollte schöne Bilder, er wollte sich als Friedensstifter ohne größere Konflikte darstellen und hat es wohl vermieden, das Thema anzusprechen, als Selenskyj und die europäischen Führer im Raum waren“, sagt Politologe Stefan Meister im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA. Das sei typisch für Trump. „Er kommt immer dem entgegen, mit dem er gerade spricht“, führt er aus.
Der Experte für Russland und postsowjetische Konfliktzonen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) geht aber stark davon aus, dass der Druck auf Selenskyj weiter bestehe. Trump erklärt auf seiner Plattform „Truth Social“, dass er einen Waffenstillstand nicht als „sinnvoll“ ansehe. Der 79-Jährige erhofft sich ein schnelles Friedensabkommen, wenn Selenskyj bereit ist, die Donbass-Region abzutreten – darunter auch Gebiete, die derzeit nicht von russischen Truppen kontrolliert werden.
Selenskyj und seine europäischen Verbündeten haben solch einen Deal bisher ausgeschlossen. Doch Politikexperte Klemens Fischer ist sich sicher, dass die Gebietsabtretungen hinter den Kulissen bei dem Treffen eine Rolle spielten. „Diesmal war die Regie besser als beim letzten Treffen zwischen Trump und Selenskyj. Man wollte einen öffentlichen Streit umgehen“, sagt er der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA.
Der ukrainische Präsident habe verdeutlicht, dass das Thema für ihn vom Tisch sei. Doch aus Sicht Fischers besitzt Russland derzeit die besseren Karten. „Realistisch gesehen, was soll Selenskyj tun? Jeden Tag, an dem er darüber diskutiert, nehmen russische Truppen noch mehr ukrainischen Boden ein“, sagt der Professor für Sicherheits- und Außenpolitik der Universität Köln.
Russland-Experte spricht von „Fake-Verhandlungen“ – die Putin Zeit verschaffen
Auf der anderen Seite sieht Meister keinen realistischen Deal für Gebietsabtretungen. „Die russische Seite stellt Forderungen, die nicht akzeptabel sind, auch weil sie davon ausgeht, dass die ukrainische Seite sie dann ablehnt und unter Druck durch den US-Präsidenten gerät“, sagt er. Gleichzeitig rücke die russische Armee vor. „Putin möchte auf dem Schlachtfeld die ukrainische Armee brechen“, meint Meister.
Für ihn laufen „Fake-Verhandlungen“, die nichts mit der Situation an der Front oder russischen Interessen zu tun haben. Sie würden nur das Ego von Trump bedienen. Meister befürchtet, dass Putin mit den Verhandlungen Zeit gewinnen will, um Durchbrüche im Osten der Ukraine militärisch zu erreichen.
„Kein Computerspiel“: Ukraine-Botschafter warnt vor Gebietsabtretungen
Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew, warnt nach dem Ukraine-Gipfel vor Gebietsabtretungen. „Es geht nicht nur um Gebiete. Das ist kein Computerspiel, wo man so ein Gebiet da abgeben kann und weiterspielen kann mit Mausklick. Dort leben Millionen und Millionen von Ukrainern“, zitiert ihn die ARD-„Tagesschau“. Auch Makejew weist darauf hin, dass Putin auf Zeit spiele: „Wir wissen das von den Russen. Sie fangen an mit verschiedenen Arbeitsgruppen und Arbeitskreisen und langen Diskussionen. Und gleichzeitig greift Russland uns tagtäglich mit Bomben, Raketen, wie es berichtet wurde, an.“
Dazu kommt auch die Frage auf, ob am Ende Gebietsabtretungen an Russland zu einem langfristigen Frieden führen würden. Laut Fischer hängt das vor allem davon ab, wie robust die Europäer ihre möglichen Sicherheitsgarantien einhalten können.
Russland abschrecken: Sicherheitsgarantien für Ukraine bringen enorme Probleme mit sich
Ihm zufolge wären damit viele Herausforderungen verbunden – von hohen Kosten sowie Personalmangel bis hin zur Verpflegung der Truppen und der Frage, wer sie am Ende anführen soll. „Diese Truppen müssten an Tag eins bei einem möglichen Waffenstillstand in der Ukraine stehen. Das ist ein enormer logistischer und kostspieliger Akt“, warnt Fischer. Die USA halten sich zur Ausgestaltung einer möglichen Beteiligung bislang bedeckt. Trump pocht auf eine maßgebliche Rolle der Europäer.
Fischers Vermutung nach läuft es am Ende darauf hinaus, dass die Ukraine die gesamte Donbass-Region an Russland abtreten wird. Zumindest räumt er der Ukraine keine Chancen mehr ein, die bereits von Russland besetzten Gebiete zurückzuerobern. Putin werde die Gebietsabtretung mithilfe seiner Staatspropaganda in Russland als „großen Sieg“ verkaufen. Nach der Devise, er habe angebliche „russische Muttererde“ zurückgeholt.
Dass Putin das langfristig ausreicht, bezweifeln Sicherheitsexperten seit Längerem. Sie gehen davon aus, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine nicht einfrieren, sondern ausweiten wolle. Auch der deutsche Geheimdienst und die Bundeswehr warnen von der Gefahr eines russischen Angriffs auf NATO-Territorium.