Countdown für Putins Schwarzmeer-Flotte: Tag für Tag höhere Verluste

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Mobile Raketenabschuss-Rampen: Von der Krim aus wird das ukrainische Kernland massiv bedroht; deshalb steht die Schwarzmeer-Flotte im Fokus der ukrainischen Abwehrbemühungen. Mit Erfolg. (Archivfoto) © IMAGO / Cover-Images

Ohne eigene Schiffe schlägt sich die Ukraine wacker auf dem Schwarzen Meer; Russlands Flotte streicht nach und nach die Segel. Krim bleibt umkämpft.

Sewastopol – Dmytro Pletenchuk scheint mitgezählt zu haben – der Sprecher der ukrainischen Marine redete gegenüber den Medien von keiner ungefähren Größe, sondern äußerte sich präzise: „Mittlerweile wurden 25 verschiedene Einheiten zerstört und 15 werden derzeit repariert“, sagte er. Pletenchuk sprach von der Schwarzmeer-Flotte Russlands, die während des Ukraine-Kriegs kräftig gelitten hat; wenn auch die Zahlen Pletenchuks zunächst Behauptungen bleiben.

Der Untergang der „Moskwa“ im April 2022 war der Anfang vom Ende – eines Endes, das schneller kommen könnte, als sich Wladimir Putin das hätte träumen lassen. Der Lenkwaffenkreuzer war das Flaggschiff der Schwarzmeer-Flotte Russlands. Inzwischen ist vermutlich auch deren Kommandeur tot. Admiral Wiktor Sokolow soll vergangenen September durch einen Raketenschlag der Ukraine in seinem Hauptquartier in Sewastopol gefallen sein. Laut dem britischen Geheimdienst trifft auch das die russische Schwarzmeer-Flotte ins Mark und lähmt ihre Verteidigungsfähigkeit – das jedenfalls schreibt Business Insider.

Putins Fantasie: Die Schwarzmeer-Flotte beansprucht die Herrschaft über das Schwarze Meer

Die kleinste der vier russischen Flotten hat inzwischen mächtig Schlagseite bekommen: Die Verteidiger aus der Ukraine wollen mit ihren Attacken gegen die russische Marine nicht nur Material zerstören und die Operationsfähigkeit der Schwarzmeer-Flotte schwächen, sondern das System von Russlands Präsident Wladimir Putin stürzen: Die Krim wurde bereits 2014 von Russland besetzt und bildet den Brückenkopf von Putins Fantasien, die Ukraine in die Russische Föderation einzugliedern – und genauso von seinem Vorhaben, international wieder als Seemacht aufzutrumpfen.

Die russische Schwarzmeerflotte verfügt über folgende Schiffe 

1 Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“ (versenkt)
2 U-Jagd-Fregatten
7 Raketenboote
2 Luftkissen-Katamarane
3 moderne Fregatten
6 moderne Patrouillenschiffe (zwei versenkt)
1 moderne Flugkörper-Korvette
4 kleine Flugkörper-Korvetten
6 U-Jagd-Boote
6 U-Boote diesel-elektrisch (eines beschädigt)
3 moderne Küsten-Minensucher
5 Hochsee-Minensucher
1 Hochsee-Minenjäger
7 Landungsschiffe (eines beschädigt)

Hilfsschiffe, Kleinstboote und Reserveeinheiten, Plattformen – Quelle: marineforum.online

Die Schwarzmeer-Flotte beansprucht die Herrschaft über das Schwarze Meer mit seiner Größe von fast einer halben Million Quadratkilometern. Russland verfolgt im Schwarzen Meer seit Jahrhunderten sein Interesse an einem eisfreien und möglichst ganz­jährig warmen Zugang zu den vitalen See­verbindungswegen um Europa herum. Ein solcher Zugang soll Russlands Anspruch als Seemacht unter­mauern, schreibt Fregattenkapitän Göran Swistek für den Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik. Laut dem deutschen Autoren und Kapitän zur See, Axel Stephenson, bräuchte die russische Marine im Schwarzen Meer tatsächlich allerdings das Doppelte an Material, um diesem Anspruch gerecht zu werden.

Bis zu 35 dieser Schiffe dieser Flotte stellten eine „echte Bedrohung“ für die Ukraine dar, sagte Pletentschuk, da sie Russland die Fähigkeit zu Langstreckenangriffen boten und russische Operationen rund um die annektierte Halbinsel Krim und in der Südukraine ermöglichten. Ende vergangenen Jahres tauchten erste Informationen auf, dass die Schwarzmeer-Flotte durch kleinere Raketenschiffe verstärkt würde, wie marineforum.online berichtet, weil die Türkei das Schwarze Meer für Schiffe der kriegführenden Parteien sperrt. Deshalb können nur kleinere, lokal gebaute oder auf Binnenwasserstraßen transportierte Boote zur Schwarzmeer-Flotte gelangen – wie die kleinen Raketenschiffe, die bei Kasan an der Wolga gebaut werden.

Putins Realität: Seine hochwertigen Einheiten müssen aus der Schusslinie

Spätestens nach dem zweiten Angriff der Ukraine auf Sewastopol mittels Drohnen, hat Russland die hochwertigen Einheiten – die Fregatten Admiral Essen und die Makarow, drei U-Boote und fünf Landungsschiffe aus der Schusslinie zu gezogen und meist nach Noworossijsk verlegt, so marineforum.online. Satellitenbilder zeigen zunehmend verwaiste Hafenbereiche der Krim-Metropole.

Des Weiteren funktioniert Russland offenbar Material um: marineforum.online berichtet von Bildern, auf denen auf dem Flugdeck einer russischen Korvette der Wassili-Bykow-Klasse ein taktisches Kurzstrecken-Flugabwehrraketen-System Tor-M2KM festgeschnallt war. Russland will sich die Möglichkeit der Anlandung russischer Streitkräfte von See her offen halten, sowie weiterhin das Schwarze Meer als Operations- und Abschussgebiet für russische Marschflugkörper nutzen. Das verwendete Tor-System wiegt etwa 15 Tonnen und wird von zwei Mann bedient, es besteht aus einem Modul inklusive Radar- und Feuereinheit und kann unabhängig von der Energieversorgung und Operationszentrale des Schiffes aus bedient werden. marineforum.online: „Auffällig auf den Bildern erschien, dass das Modul im dunklen Olivton der Landstreitkräfte gehalten war und auf eine Anpassung an das maritime Umfeld verzichtet wurde.“

Russland improvisiert augenscheinlich, die Verluste zeigen offenbar Wirkung. Ende Dezember behauptete der britische Verteidigungsminister Grant Shapps, Russland habe in den vergangenen vier Monaten 20 Prozent seiner Schwarzmeer-Flotte verloren. Bekannt ist, dass die Ukraine ein russisches U-Boot auf seiner Werft in Sewastopol zumindest schwer beschädigt hat, daneben mehrere russische Landungsschiffe wie die Minsk, die Saratov und die Olenegorsky Gornyak. Anfang des Monats teilte die Ukraine mit, dass ihr Militärgeheimdienst eine mit Raketen bewaffnete russische Korvette, die Ivanovets, mit einer Reihe von Seedrohnen zerstört habe. Diesen Weg verfolgt die Ukraine stringent.

Putins Bedrohung: Ukraine plant einen Feldzug mit autonomen Unterseebooten

Sie heißen Fury, Orca oder Kronos und sollen den Unterwasser-Krieg revolutionieren. Nach dem erfolgreichen Einsatz der Drohne Magura 5, will die Ukraine plant einen Feldzug autonomer Unterseeboote gegen die Schwarzmeer-Flotte von Wladimir Putin und will Russland damit von der Krim vertreiben. Inzwischen existiert ein Tarnkappen-U-Boot ukrainischer Ingenieure. Und auch der Flugzeugbauer Boeing hat mittlerweile fünf unbemannte U-Boote an die US-Marine ausgeliefert; die könnten ebenfalls für die Ukraine interessant werden; allerdings setzen die verstärkt auf Eigenbau, um sich auch gegenüber ihren bisherigen Unterstützern zu emanzipieren.

Aber auch über Wasser rüstet die Ukraine auf: Neben der Lieferung von Panzern und Raketen gab der britische Verteidigungsminister Grant Shapps im Dezember bekannt, dass zwei Minenjäger der Royal Navy an die ukrainische Marine übergeben würden, obwohl die Schiffe aufgrund des eingeschränkten Zugangs zum Schwarzen Meer bis Kriegsende nicht in ukrainische Häfen einlaufen könnten – die Türkei verweigert auch denen die Durchfahrt ins Schwarze Meer.

Wie die Zeitung The Telegraph schreibt, könnte Großbritannien aber sogar noch nachlegen – aufgrund der eigenen Personalnot. Danach fehlen der britischen Royal Navy so viele Seeleute, dass sie Berichten zufolge zwei Fregatten des Typs 23, also der Duke-Klasse, außer Dienst stellen muss, um ihre neue Fregatten-Klasse zu besetzen. Damit würde sie die Duke-Klasse von elf auf neun Schiffe verkleinern; zur Disposition stehen laut Informationen aus Verteidigungs- und Regierungsquellen die 1991 beziehungsweise 1994 in Dienst gestellten Fregatten HMS Argyll und HMS Westminster. Weder die Royal Navy noch das britische Verteidigungsministerium sind auf die Behauptungen bisher eingegangen.

Die Ukraine will aber in Zukunft mehr erreichen, als sich lediglich zu verteidigen. Sie will den Krieg in dessen Ursprungsland zurücktragen, sagte kürzlich Vizeadmiral Oleksiy Neischpapa auf Sky News: Da sich Russland anpasse, müsse auch die Ukraine ihre Strategie verfeinern. „Ein moderner Krieg ist ein Krieg der Technologien, und wer auch immer im technologischen Sinn gewinnt, trägt den Sieg davon“, resümierte Neischpapa: „Wir hätten gerne die Möglichkeit, um Russland davon abzubringen, jemals wieder ein Auge auf die Ukraine zu werfen, in diesem Fall auch auf das Meer.“ (Karsten Hinzmann)

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