Chaos im Bundestag bei Merz-Wahl: Abgeordnete sprechen von schlechter Vorbereitung
Dass ein nominierter Bundeskanzler nicht im ersten Wahlgang ausreichend Stimmen erhält, ist im Fall Friedrich Merz erstmals passiert. Entsprechend groß war das Chaos.
Berlin – Als der CDU-Politiker Friedrich Merz am Dienstagnachmittag (6. Mai) im zweiten Wahlgang zum zehnten Bundeskanzler der Bundesrepublik gewählt wird, hat der Bundestag bereits einige chaotische Stunden hinter sich. Offene Fragen, nachdem Merz im ersten Wahlgang als erster Kanzlerkandidat knapp durchfällt, dazu Spekulationen über mögliche Konsequenzen der geheimen Nein-Stimmen aus der schwarz-roten Regierungskoalition.
Dass auch Diskussionen aufkommen über die Frage, wann ein zweiter Wahlgang überhaupt möglich sein wird, dafür sehen Beobachter im Rückblick auch die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner in der Verantwortung. Eine Analyse im Tagesspiegel geht etwa der Frage nach, ob das knappe Durchfallen im ersten Wahlgang die neue Parlamentsvorsitzende unvorbereitet getroffen habe.

Unvollständige Informationen: Kritik an Klöckner nach gescheiterter Kanzlerwahl
Klöckners klare Antwort auf die Frage, die auch im Polit-Talk von Sandra Maischberger am Abend nach der Wahl aufkommt: Sie sei sehr wohl auf den eingetretenen Fall vorbereitet gewesen, die Regeln waren ihr bekannt. Und Kritiker, die ihr nun das Gegenteil vorwerfen, sollten „die Kirche im Dorf lassen“. Tatsächlich sprachen laut Tagesspiegel etwa Vertreter der Grünen davon, dass Klöckner und die Bundestagsverwaltung zunächst „unvollständige Informationen“ gehabt hätten. Seitens der Regierungskoalition ist sogar die Rede davon, dass die Kanzlerwahl „nicht professionell vorbereitet“ gewesen wäre.
Die Schwierigkeit, die zunächst dafür gesorgt hatte, dass kurz nach der gescheiterten Kanzlerwahl die Information herausgegeben wurde, dass ein neuer Wahlversuch am selben Tag nicht möglich sein würde, ist den Berichten zufolge eine Besonderheit in der Geschäftsordnung des Bundestags. Die legt fest, dass nur im ersten Wahlgang der Bundespräsident den Kanzler vorschlägt, während weitere Vorschläge von mindestens einem Viertel der Bundestagsabgeordneten nominiert werden müssen. Das wiederum erfordere jedoch in der Regel, dass nach dem Bekanntmachen des Vorschlags drei Tage verstreichen, bevor darüber entschieden werden darf.
Rolle der SPD bei Scheitern und Rettung der Wahl von Merz zum Kanzler
Die Lösung, die schließlich dafür gesorgt hatte, dass die Wahl am Dienstag doch noch wiederholt werden konnte und Merz zum Kanzler gewählt wurde, sei laut Informationen des Tagesspiegel auch über die Mithilfe von Klöckners Amtsvorgängerin Bärbel Bas (SPD) gefunden worden. Die hatte im Laufe der Diskussion um die Wartezeit und eine mögliche Änderung der Geschäftsordnung wohl – neben anderen – darauf hingewiesen, dass es neben der Möglichkeit eines Fristverzichts aller Bundestagsfraktionen auch die Option gäbe, Ausnahmen von der Geschäftsordnung mit Zweidrittelmehrheit zu beschließen. Der schwarz-roten Koalition reichte damit die Unterstützung von Grünen und Linken, um eine erneute Abstimmung zu ermöglichen.
Öffentliche Kritik gibt es nach dem Chaos am Tag der Kanzlerwahl jedoch in mehrere Richtungen und nicht nur gegen Klöckner. So berichtet der Spiegel, dass man SPD-Chef Lars Klingbeil durchaus Naivität vorwerfen könnte, wenn er wirklich nicht mit der Gefahr einer missglückten Kanzlerwahl gerechnet habe. So sei nicht nur der Kandidat Merz selbst in den Reihen der SPD durchaus umstritten gewesen – auch Klingbeils Personalentscheidungen in Sachen der SPD-Ministerposten standen nach ihrer Bekanntgabe recht offen in der Kritik.
Rückblick auf die Kanzlerwahl von Friedrich Merz: Holpriger Start für Schwarz-Rot
Kritik hagelt es auch am Durchfallen von Merz gewaltig. Politiker und Medien sprechen von einer drohenden Staatskrise, der Dax macht Anstalten zu schwächeln, auch im Ausland verbreitet sich die Nachricht, dass Merz als erster Kanzlerkandidat in über 75 Jahren Bundesrepublik nicht genügend Unterstützung aus den Reihen seiner Regierungskoalition erhalten hat. Der Spiegel rekonstruiert zwar, dass es zuletzt auch bei Angela Merkel und Olaf Scholz einige fehlende Stimmen aus eigenen Reihen gegeben habe – zum Problem sei bei Merz aber die generell knappe Mehrheit von Schwarz-Rot geworden. Die Koalition kam nach der Bundestagswahl im Februar schließlich nur durch das Ausscheiden von FDP und BSW überhaupt als Zweierbündnis zustande.
Dass die Merz-Regierung durch die gescheiterte Kanzlerwahl noch geschwächter in ihre Amtszeit starten könnte, das zeigten den Medienberichten zufolge auch die Reaktionen der AfD-Fraktion. Die nutzte die Nachricht Kritikern zufolge auch für ihre Zwecke, womöglich auch um von den neuesten Vorwürfen des Verfassungsschutzes abzulenken, der die Partei in der Vorwoche als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft hatte und inzwischen eine „Stillhaltezusage“ abgeben musste. Auch für sie ist es laut vieler Kommentatoren eine wichtige Botschaft seitens der anderen Bundestagsparteien, dass ihre Zusammenarbeit Merz‘ Wahl am Dienstag trotz all dem Chaos noch ermöglicht hat. (saka)