Ringen um den „Rostgürtel“: Wie Harris bei der US-Wahl verprellte Arbeiter von Trump zurückgewinnen will

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Wer noch zur Arbeiterschaft in den USA gehört, fühlt sich häufig nicht mehr von den Demokraten gesehen. Kamala Harris geht jetzt auf die Abgehängten zu.

Berlin – Barack Obama hat seine Hoffnungen griffig auf den Punkt gebracht. „Yes, she can!“, sagte der frühere US-Präsident in Anspielung auf seinen weltbekannten Wahlkampfslogan „Yes, we can!“. In einer umjubelten Rede rief er die Demokraten beim Parteitag in Chicago auf, sich geschlossen hinter ihrer Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris zu versammeln. Sie sei „bereit für den Job“.

Wenn es nach Obama geht, hat Amerika die Chance, „jemanden zu wählen, der sein ganzes Leben damit verbracht hat, den Menschen die gleichen Chancen zu geben, die Amerika ihr gegeben hat“. Jemanden, der den Amerikanerinnen und Amerikanern zuhört. „Sie wird sich für jeden Amerikaner einsetzen.“

Vor der US-Wahl plötzlich wieder zentral: der „Rust Belt“, die frühere industrielle Herzkammer

Das sind große Worte, wenn man sich die jüngere Parteigeschichte vor Augen führt. Wer in Amerika noch zur klassischen Arbeiterschaft gehört, fühlt sich schon lange nicht mehr von den Demokraten gesehen. „Die Partei hat die Verbindung zu ihrer ursprünglichen Klientel, zur Industriearbeiterschaft, verloren – und bisher nicht wiederhergestellt“, sagt der Amerikanist Volker Depkat im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.

In Pennsylvania begrüßten Trump-Anhänger Kamala Harris‘ Wahlkampf-Tross.
In Pennsylvania begrüßten Trump-Anhänger Kamala Harris‘ Wahlkampf-Tross. Wie reagiert die Präsidentschaftskandidatin? © Montage: picture alliance/dpa/AP/Julia Nikhinson/fn

Das gilt vor allem für den ehemaligen Manufacturing Belt, die industrielle Herzkammer im Nordosten der USA. „In diesen Staaten wurde früher sehr viel Reichtum produziert“, erklärt Depkat, Professor für Amerikanistik an der Universität Regensburg. „In den 1990-er Jahren wurden dann zahlreiche Arbeitsplätze von Michigan nach Mexiko verlagert, aus dem Manufacturing Belt wurde – in Anlehnung an die verrosteten Fabriken – der Rust Belt, der Rostgürtel.“

Sogar Bruce Springsteen konnte den Wählergroll im „Rostgürtel“ verstehen

Als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten ist Hillary Clinton im Wahlkampf 2016 kaum noch in diese Region gefahren – „obwohl ihr Ehemann, Ex-Präsident Bill Clinton, sie inständig darum gebeten hat“, wie Depkat sagt. Kaum jemand habe sich noch für die wirtschaftlich abgehängten ehemaligen Industriearbeiter interessiert. „Sogar Bruce Springsteen, der nun wirklich jeder rechtspopulistischen Neigung unverdächtig ist, hat gesagt, er könne zumindest verstehen, warum Menschen in diesen Regionen Trump gewählt haben.“

In den Vereinigten Staaten gibt es keinen Diskurs über soziale Gerechtigkeit, wie man ihn aus Deutschland und Europa kennt. „Es gibt auch nicht dieses soziale Netz, das wir kennen“, erklärt Depkat. „Die US-Demokraten haben ihre Klientel vernachlässigt, indem sie sich sagten: Mit den Anliegen der Armen gewinnt man keine Wahlen.“

Kamala Harris setzt gegen Trump auf einen „regular guy“ – ihren Vize Tim Walz

Können die Demokraten die Verbindung zu ihrer ursprünglichen Klientel wieder einigermaßen herstellen? Und wenn ja, wie? Depkat, geboren in El Paso, Texas, sieht zumindest eine kleine Chance, die Verletzungen zu heilen. „Kamala Harris hat mit Tim Walz einen Vizepräsidentschaftskandidaten ausgewählt, der die Verbindung in genau diese Wählergruppe schlagen kann“, sagt er. Walz stehe für das körperlich arbeitende Amerika. „Er ist auf einer Farm im Mittleren Westen aufgewachsen, er kommt als das herüber, was die Amerikaner einen ‚regular guy‘ nennen.“

Im Gegensatz zu Walz, dem Kerl von nebenan, gilt Harris in der strukturkonservativen Arbeiterschaft häufig als zu linksliberal. Wie sie habe Walz „jedoch ebenfalls eine klar progressiv-linksliberale Grundhaltung“, sagt Depkat. Der USA-Experte glaubt deshalb, dass Harris mit einer entschieden linksliberalen Agenda versuchen werde, Wählerinnen und Wähler im Rust Belt für die Demokraten zurückzugewinnen. „Es geht ihr offenbar um die möglichst vollständige Mobilisierung des linksliberal-progressiven Amerika.“

Bis zur US-Wahl im November bleibt dem Demokraten-Duo Harris und Tim Walz nicht mehr viel Zeit, um verprellte Wahlberechtigte noch zu überzeugen. „Der Anfang ihrer Kampagne deutet aber darauf hin, dass beide sich sehr stark um Rust-Belt-Staaten wie Michigan, Ohio und Pennsylvania bemühen werden“, erklärt Depkat. Er sieht für die Demokraten die Chance, den Kandidaten der Republikaner zu stellen: „Trump hat in seiner ersten Amtszeit versprochen, Industriearbeitsplätze nach Amerika zurückzubringen – dieses Versprechen hat er nicht eingelöst.“

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