„Warum soll ich arbeiten?“ ZDF-Doku offenbart bittere Schwächen des Bürgergelds
- Im Video oben: Nahles will Bürgergeld-Merkblatt künftig nur noch auf Deutsch anbieten
„Warum soll ich arbeiten gehen?“ Das ist der erste Satz der ZDF-Doku „Die Jobcenter-Falle: Was läuft falsch beim Bürgergeld?“ Einfacher lässt sich das Problem jener 52.000.000.000 Euro, die sich Deutschland das Bürgergeld kosten lässt, kaum auf den Punkt bringen. Fast jeder zehnte Euro im Bundeshaushalt fließt ins Bürgergeld. „Warum“, so geht das Einstiegszitat weiter, „soll ich 40 Stunden die Woche arbeiten gehen für 1200 Euro, wenn ich 1100 Euro kriege fürs Nichtstun?“
Jobcenter-Mitarbeiter: „Für wenige wünsche ich mir ein schärferes Schwert …“
Es ist ein Verdienst der ZDF-Dokumentation, das riesengroße Thema auf die ganz kleine Ebene herunterzubrechen. Das Fernsehteam begleitet Arbeitsvermittlerin Silke Pusakowski vom Jobcenter Berlin Tempelhof-Schöneberg auf ihrer Tour zu Menschen, die Termine im Amt nicht wahrgenommen haben – Klinkenputzen bei einer schwierigen Kundschaft. Willkommenskultur geht anders.
Zusammen mit ihrem Kollegen steht Pusakowski vor der verschlossenen Tür. Seit 2018 lebt eine Ukrainerin mit Mann und zwei schulpflichtigen Kindern vom Jobcenter. „Für wenige Kunden wünsche ich mir ein schärferes Schwert“, sagt ihr Kollege Marcel Eichenseher: „Also jetzt mal ehrlich – die Wohnung kann doch untervermietet sein und die ganze Familie ist nicht mehr da, wir wissen es nicht.“
Wir sehen die Hilflosigkeit unseres Staates beim Bürgergeld
Es ist bitter, dem Team vom Amt zuzuschauen. Wir sehen die Hilflosigkeit unseres Staates gegenüber Menschen, die das soziale System gezielt missbrauchen. Daten fehlen, weil der Datenzugriff fehlt. Sanktionen kommen zu spät gegenüber Leuten, die arbeiten könnten, aber nicht arbeiten wollen. Tatsächlich ist Arbeit ja auch mühsam. Wie mühsam sie sein kann, zeigen gerade auch die beiden Klinkenputzer. In ihrem Jobcenter platzt fast jeder zehnte Termin. „Ich sitz‘ da im Jobcenter“, sagt Eichenseher, „und keiner kommt – was soll ich machen: Den ganzen Tag Kaffee trinken geht auch nicht.“
Er hat Kunden, zu denen er seit zehn Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Wieder steht das Team an einer verschlossenen Wohnungstür. „Sie haben Dielen, das quietscht!“, ruft Pusakowski. Die Tür bleibt zu. Das ist Detektivarbeit der ganz bitteren Art. Mit Arbeitsvermittlung hat das kaum etwas zu tun.
ZDF-Doku offenbart mangelnden Druck
Die Drohung der Politik, die Leistungen auf Null zu kürzen? Ein anonymer Andy, der sich seit Jahren sehr kommod im System eingerichtet hat, nicht: „Das wäre auf jeden Fall eine Option, die mehr Leute animieren würde – mich eingeschlossen. Es gibt im Moment keinen Druck, es gibt im Moment keine Strafen.“
Tatsächlich fehlen Anreize für die Arbeit. Die ZDF-Doku rechnet es an einem Beispiel vor. Wenn eine Alleinerziehende mit zwei Kindern für 3000 Euro den Monat arbeitet, bleiben ihr unterm Strich nur 59 Euro mehr. Da hat die Hängematte, die soziale, durchaus ihren Reiz. Wer nachrechnet, arbeitet eher nicht.
Wer arbeitet, ist – zu oft – der Dumme
Es geht noch dreister. Die ZDF-Doku beschreibt den Fall eines Paares, das von einer Wohngemeinschaft ins Häuschen mit Garten umgezogen ist. Die Miete beträgt nun 2100 Euro im Monat. Das Amt zahlt – und zwar einen Betrag, den sich die zuständige Sachbearbeiterin für sich selber nicht leisten könnte. Fehlanreize im System? Eine Mitarbeiterin erinnert an eines: „Wir reden von Steuergeldern – und das sind ja Gelder, die von den Menschen erwirtschaftet werden, die arbeiten gehen. Dieses Ungerechtigkeitsgefühl stellt sich schon ein.“
Wer den Jobcenter-Mitarbeitern zuschaut, dem bleibt nur ein Gedanke: Wer arbeitet, ist – zu oft – der Dumme.
