Stimmen und Entwicklungen zur Europawahl 2024 - Gabriel greift SPD-Spitze an: „Professionelle Gesundbeter und Ja-Sager“
Rekord-Wahlbeteiligung in Deutschland bei 64,8 Prozent
6.21 Uhr: Die Beteiligung bei der Europawahl in Deutschland hat mit 64,8 Prozent einen neuen Höchstwert seit der Wiedervereinigung erreicht. Das teilte die Bundeswahlleiterin am Montagmorgen bei Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Ergebnisses der Direktwahl der 96 Abgeordneten des Europaparlaments aus Deutschland mit. Damit lag die Wahlbeteiligung um 3,4 Prozentpunkte höher als 2019 (61,4 Prozent) - und so hoch wie nie seit der Einheit. Der Anteil der ungültigen Stimmen betrug nach Auszählung aller 400 Wahlkreise 0,8 Prozent (2019: 1,1 Prozent).
Bei der ersten gesamtdeutschen EU-Wahl 1994 lag die Beteiligung bei genau 60,0 Prozent, bei späteren Abstimmungen nur zwischen 40 und 50 Prozent. Bisheriger Spitzenreiter im Zeitraum seit der Wiedervereinigung war die vergangene Europawahl 2019: 61,4 Prozent der Wahlberechtigten gaben vor fünf Jahren ihre Stimme ab. Die höchste Beteiligung bei einer EU-Wahl in Deutschland gab es gleich bei der Premiere 1979 mit 65,7 Prozent - damals aber nur in Westdeutschland. Zum Vergleich: Bei Bundestagswahlen gaben bisher nie weniger als 70 Prozent der Berechtigten Stimmzettel ab.
Das Europaparlament hat 720 Abgeordnete. Nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis gewann die Union die Europawahl in Deutschland mit großem Abstand - vor der AfD, die zweitstärkste Kraft wurde. Demnach legten CDU und CSU zusammen auf 30,0 Prozent (29 Sitze) zu. Die AfD verbesserte sich deutlich auf 15,9 Prozent (15 Sitze). Die regierenden Parteien der Ampel-Koalition mussten alle Einbußen hinnehmen: Die SPD fiel auf 13,9 Prozent (14 Sitze) und erzielte damit ihr schlechtestes Ergebnis bei einer bundesweiten Wahl, die Grünen stürzten noch stärker ab auf 11,9 Prozent (12 Sitze), die FDP erlitt mit 5,2 Prozent (5 Sitze) leichte Einbußen.
Das neu gegründete linke Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kam aus dem Stand auf 6,2 Prozent (6 Sitze), die Linke auf 2,7 Prozent (3 Sitze). Auch die Parteien Freie Wähler (3 Sitze), Volt (3 Sitze), Die Partei (2 Sitze), ÖDP (1 Sitz), Tierschutzpartei (1 Sitz) und Familienpartei(1 Sitz) errangen Mandate. Der Bundeswahlausschuss wird das endgültige amtliche Ergebnis 3. Juli bekanntgeben, wie es weiter hieß.
So rechtfertigen die Ampel-Parteien ihre Niederlage bei der EU-Wahl
01:12 Uhr: Die Ampel-Politiker haben am Wahlabend eine Reihe von Ausreden gefunden, mit der sie ihre Wahlniederlage schönreden wollten. Während einige Rechenspiele bemühen, schieben andere das Abschneiden auf die Stimmung. Mehr dazu hier.
Gabriel greift SPD-Spitze an: „Professionelle Gesundbeter und Ja-Sager“
Montag, 10. Juni, 0.04 Uhr: Der frühere SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel geht nach dem Debakel bei der Europawahl hart mit der Spitze seiner Partei ins Gericht. „Es ist falsch, alles der Regierung in die Schuhe schieben zu wollen. Auch wenn deren Politik bei der Europawahl klar abgestraft wurde. Aber etwas anderes macht mich inzwischen nur noch traurig und wütend zugleich. Zusehen zu müssen, wie nach einer solch bitteren Niederlage die professionellen Gesundbeter und Ja-Sager schon vorbereiten, wie man spätestens übermorgen wieder zur Tagesordnung übergehen kann“, sagte Gabriel dem stern.
Gabriel sagte weiter: „In dem zurecht gedrechselten Polit-Technokraten-Sprech wie ‚Wir werden das genau analysieren‘ oder ‚wir haben nicht das erreicht, was wir uns vorgenommen haben‘, kommt immer ein Wort nicht vor: Verantwortung. Niemand sagt mal den Satz: ‚Ich übernehme dafür die Verantwortung‘. Weder für den katastrophalen Wahlkampf noch für die völlig falsche Auswahl der Wahlaussagen und schon gar nicht für die Personalauswahl. Offenbar denken all nur daran, morgen irgendwie noch auf ihren Sesseln sitzen zu bleiben.“ Die SPD hatte am Sonntag mit rund 14 Prozent ihr bislang schlechtestes Europawahl-Ergebnis aller Zeiten eingefahren.
Auf X fügte Gabriel hinzu: „Bei 14 % und einem dritten Platz hinter der AfD ist uns Sozialdemokraten vor allem zu raten: Demut vor dem Wählerwillen und tabulose Analyse darüber, was WIR falsch machen. Es muss eine ganze Menge sein. Haben wir den Mut dazu?“
Knobloch: „Großer Teil der Menschen mit Fakten nicht mehr zu erreichen“
22.44 Uhr: Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, hat sich enttäuscht über die Zugewinne der AfD bei der Europawahl gezeigt. „Ich hatte vor diesem Urnengang die Hoffnung gehabt, dass die AfD nach allem, was allein in den vergangenen Monaten vorgefallen ist, in der Wählergunst verlieren könnte“, sagte Knobloch am Sonntagabend. „Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt.“
„Stattdessen müssen wir am Wahlabend erneut erkennen, dass ein erschreckend großer Teil der Menschen mit Fakten und Argumenten im demokratischen Diskurs nicht mehr zu erreichen ist“, sagte Knobloch.
Eine breite Mehrheit habe zwar mit ihren Stimmen ein Ausrufezeichen gegen die AfD gesetzt. Das allein werde aber „nicht reichen, damit jüdische Menschen und andere Minderheiten ihr Vertrauen in die Stabilität dieser Demokratie auf Dauer nicht verlieren“, sagte Knobloch. „Diese Gefahr ist sehr real, und zwar in ganz Europa.“
Ursula von der Leyen: „Wir haben die EU-Wahl gewonnen“
22.18 Uhr: Ursula von der Leyen hat das gute Abschneiden ihrer Parteienfamilie EVP bei der Europawahl gefeiert. „Heute ist ein guter Tag für die EVP. Wir haben die Europawahlen gewonnen, meine Freunde“, sagte sie am Sonntagabend in Brüssel. „Die EVP ist die stärkste politische Fraktion im Europäischen Parlament.“ Die Parteienfamilie habe viele führende Köpfe. Es könne also keine Mehrheit ohne die EVP gebildet werden.
Von der Leyen betonte, dass sie gemeinsam mit anderen Parteien „ein Bollwerk gegen die Extreme von links und von rechts“ bilden wolle. „Wir werden sie stoppen“, sagte die 65-Jährige. Die EVP mit den deutschen Parteien CDU und CSU wird nach einer Prognose des Europäischen Parlaments 186 und damit ein Viertel der 720 Sitze im Europäischen Parlament besetzen können.
Nach Europawahl in Deutschland: Klingbeil bezeichnet AfD als „Nazis“ - vor Weidel
22.07 Uhr: In einer Diskussionsrunde der Parteivorsitzenden nach der Europawahl in Deutschland sind SPD-Chef Lars Klingbeil und die AfD-Vorsitzende Alice Weidel heftig aneinandergeraten. Klingbeil sagte bei der sogenannten Elefantenrunde im Sender RTL/NTV: „Ich glaube auch, dass das Ergebnis der Europawahl viele Menschen noch einmal wachrüttelt, dass die Nazis bei dieser Wahl stärker geworden sind, ich glaube da wachen viele auf, kämpfen auch für die Demokratie.“ Weidel sagte, den Begriff „Nazis“ für sie und ihre Partei zu verwenden, sei eine „Unverschämtheit“.
Die BSW-Vorsitzende, Sahra Wagenknecht, schaltete sich daraufhin ein und sagte: „Man sollte auch mit der AfD etwas differenzierter umgehen.“ An Weidel gerichtet, fügte Wagenknecht hinzu: „Sie haben schon Leute in ihren Reihen, das wissen Sie auch Frau Weidel, für die das zutrifft.“ Als Beispiele nannte sie den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden, Björn Höcke, und den Spitzenkandidaten der AfD für die Europawahl, Maximilian Krah.
Weber: Mitte-Rechts-Bündnis beansprucht Kommissions-Vorsitz
21.31 Uhr: Das Mitte-Rechts-Bündnis EVP beansprucht nach seinem Sieg bei der Europawahl den Vorsitz der EU-Kommission. Amtsinhaberin Ursula von der Leyen soll demnach weitere fünf Jahre an der Spitze der mächtigen Brüsseler Behörde stehen. Der Gewinner der Wahl habe nun das Recht, den Kommissionspräsidenten zu stellen, sagte EVP-Chef Manfred Weber (CSU) am Sonntagabend in Brüssel.
Lindner nennt Bedingungen für Unterstützung von der Leyens
21.24 Uhr: FDP-Chef Christian Lindner knüpft ein Eintreten der Bundesregierung für eine zweite Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) nach der Europawahl an Bedingungen. „Ich kann mir eine deutsche Unterstützung für Frau von der Leyen nur vorstellen, wenn sie nicht die Politik der letzten Jahre macht“, sagte der Finanzminister am Sonntagabend im Sender ntv. Er erwarte dafür eine klare Verabredung zur künftigen politischen Agenda. Konkret nannte Lindner auch mit Verweis auf Zusagen der CDU in Deutschland: keine Gemeinschaftsschulden in der EU und kein Verbot des Verbrennungsmotors.
CDU-Chef Friedrich Merz sagte, ein Kurswechsel der EU-Kommission in der Klima-, Wirtschafts- und Energiepolitik sei bereits vollzogen worden. Er machte deutlich, dass die Union gemeinsam mit von der Leyen unter anderem auch zugesagt habe, einen großen Teil von Berichtspflichten der EU rückgängig zu machen.
Nach Europawahl: Macron löst das Parlament auf
21.20 Uhr: Nach der Niederlage seines Mitte-Lagers bei der Europawahl will Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die französische Nationalversammlung auflösen. Macron kündigte am Sonntagabend in Paris Neuwahlen in wenigen Wochen an. Mehr dazu hier.
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